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Natrium-Pentobarbital Sollen Sterbewillige Zugang zu einem tödlichen Medikament erhalten? Richter müssen Grundsatzurteil fällen

Das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital wird in Belgien, den Niederlanden und der Schweiz im Rahmend der dort erlaubten Sterbehilfe eingesetzt
Das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital wird in Belgien, den Niederlanden und der Schweiz im Rahmend der dort erlaubten Sterbehilfe eingesetzt
© Picture Alliance
Jeder Mensch hat das Recht auf einen selbstbestimmten Tod. So hat das Verfassungsgericht geurteilt. In Münster sind jetzt drei Menschen vor Gericht gezogen, die sterben wollen, es aber nicht können, weil ihnen eine Bundesbehörde im Weg steht. Ein Verfahren mit weitreichenden Konsequenzen.

Wie so oft in der Justiz klingt der Gegenstand des Verfahrens zunächst einmal bürokratisch. Doch was heute am Oberverwaltungsgericht Münster unter dem Aktenzeichen 9 A 146/21 verhandelt wird, hat Konsequenzen für uns alle. Es geht um den Tod. Darum, ob und unter welchen Umständen es jemandem erlaubt sein sollte, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen. Und ganz konkret: Ob so jemand das Recht auf Zugang zu einem todbringenden Medikament erhalten darf.

Spätestens nach dem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020 steht fest: Jeder Mensch hat im Rahmen seines Persönlichkeitsrechts ein Grundrecht auf einen selbstbestimmten Tod. Doch wer derzeit dieses Grundrecht in Deutschland ausüben will, steht vor einem Problem: Er bekommt nirgendwo Zugang zu einem todbringenden Medikament. Zumindest nicht, wenn er seinen Vorsatz, aus dem Leben zu scheiden, selbstbestimmt und möglichst schmerzlos umsetzen möchte.

Die Behörde, die in Deutschland den Zugang zu Arzneimitteln regelt, ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit Sitz in Bonn. Seit 2017 sind dort nach Angaben der Bundesregierung von September 2021 insgesamt 223 Anträge auf Erlaubnis zum Erwerb des todbringenden Medikaments Natrium-Pentobarbital anhängig. Kein Fall wurde bewilligt. Zum Teil auch deshalb, weil der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) das Amt extra angewiesen hatte, ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2017 nicht anzuwenden, das den Erwerb für den Fall erlaubt hatte, dass der Antragsteller sich in einer extremen Notlage befinde.

Trio klagt gegen Verschleppungspraxis des Bundesinstituts

Gegen diese Verschleppungspraxis hat ein Trio stellvertretend für weitere Antragsteller, geklagt, so dass der Fall nun am Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen angekommen ist. Einer der Kläger ist 51 Jahre alt und leidet seit über 20 Jahren an Multipler Sklerose. Der Mann ist unterhalb der Schulter gelähmt und muss rund um die Uhr betreut werden. Eine weitere Klägerin aus dem Landkreis Schwäbisch-Hall ist 68 Jahre alt und leidet neben Krebs an multiplen Erkrankungen. Nach zahlreichen Operationen muss sie erhebliche Schmerzen erdulden. Ähnliches gilt für den 77-jährigen Hans-Jürgen Brennecke aus Reppenstedt (Landkreis Lüneburg), der neben Krebs auch an einer Herzerkrankung leidet. "Ich möchte selbst die Freiheit haben, zu entscheiden, wann ich ein unerträgliches Leiden nicht mehr ertragen will", sagt Brennecke in einem NDR-Beitrag zu seinem Fall.

Es geht um das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital

Genau wie seine Mitstreiter hatte Brennecke beim BfArM die Erlaubnis beantragt, das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital erwerben zu dürfen und war gescheitert. Das Mittel wird in Belgien, in den Niederlanden und der Schweiz im Rahmen der dort erlaubten Sterbehilfe eingesetzt und gilt als zuverlässiges und vor allem schmerzloses Mittel zur Selbsttötung. Die Vorinstanz, das Verwaltungsgericht in Köln, hatte argumentiert, dass es möglicherweise auch Alternativen für die Kläger gebe, die ebenfalls auf zumutbarem Weg zum Tode führen können.

Darüber muss nun des Oberverwaltungsgericht befinden. Der Richterspruch ist auch deshalb von grundlegender Bedeutung, weil er Leitplanken setzen könnte, mit denen die Sterbehilfe hierzulande konkret geregelt wird. Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht vor zwei Jahren das Verbot der organisierten Sterbehilfe gekippt, weil damit das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben verletzt würde. Aber de facto läuft das so höchstrichterlich festgestellte Grundrecht ins Leere, weil es aufgrund des Zugangsverbots zum tödlichen Mittel der Wahl nicht umgesetzt werden kann.

Die Frage, wie hierzulande die Sterbehilfe organisiert werden soll, steht in der laufenden Legislaturperiode auch auf der Agenda des Bundestags. Ohne Fraktionszwang entstehen dort gerade von mehreren Parlamentarier-Gruppen Anträge mit ganz unterschiedlichen Ansätzen. Doch das Verfahren ist langwierig. Für Brennecke und seine Mitstreiter kommt ein entsprechendes Gesetz womöglich zu spät. Er klagt: "Seltsam ist es, ein Recht zu haben, es aber von einer Bürokratie nicht umgesetzt zu bekommen."

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