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Tepco und die Katastrophe von Fukushima Verwirrspiel mit der Wahrheit

Der Fukushima-Betreiber Tepco tut angeblich sein Bestes und hat sich vom Skandal-Konzern zum transparenten Unternehmen gemausert. Reine Augenwischerei.
Von Manuela Pfohl

Es ist zum Verzweifeln. Seit mehr als zwei Wochen kämpfen Tepco-Mitarbeiter und von Vertragsunternehmen angeheuerte Mitstreiter darum, die Atomruine von Fukushima unter Kontrolle zu bringen. Doch von Erfolgen kaum eine Spur. Im Gegenteil: Heute, am Montag, musste die Regierung in Tokio einräumen, dass im Reaktor 2 irgendwann in den vergangenen zwei Wochen vermutlich eine teilweise Kernschmelze eingesetzt hat.

Eine Vermutung, die internationale Atomwissenschaftler allerdings schon vor etlichen Tagen geäußert haben - ohne dass sich Tepco, die Betreiberfirma des Unglücks-Kraftwerkes, darum geschert hätte. Und auch jetzt scheint die dramatische Feststellung, dass sich die Lage im AKW bedrohlich einem Super-GAU nähert, bei Tepco und der japanischen Regierung nicht für sonderlich viel Aufregung zu sorgen. Stattdessen gibt es einmal mehr Beschwichtigungen. Man glaube, dass der Prozess der Kernschmelze gestoppt sei, sagte Regierungssprecher Yukio Edano und stellte sich damit demonstrativ auf die Seite von Tepco. Und auch Ministerpräsident Naoto Kan beeilte sich in seiner ersten öffentlichen Äußerung zur drohenden Katastrophe seit einer Woche zu versichern, die Krise habe sich nicht verschärft.

Eine Allianz undurchsichtiger Informationspolitik, die allein in den vergangenen drei Tagen eher zu einem munteren Rätselraten führte, als zur Aufklärung. So hatte Tepco am Samstag zunächst gemeldet, die radioaktive Strahlung in Reaktor 2 sei 10.000.000 Mal höher als sonst - dann, einen Tag später, teilte das größte japanische Energieunternehmen mit, man habe sich geirrt. Die veröffentlichten Werte zur Strahlenbelastung seien viel zu hoch angegeben worden. Die Radioaktivität im Wasser im Turbinengebäude sei nur 100.000 Mal höher als normal und nicht zehn Millionen Mal. Zur Beruhigung der Menschen taugte diese Korrektur allerdings nur bedingt. Die Umweltschutz-Organisation Greenpeace meint: "Wer Atomkraftwerke betreibt, sollte in der Lage sein, Messwerte richtig anzugeben. Spätestens jetzt sind Zweifel an der Zuverlässigkeit und Kompetenz von Tepco angebracht. Entweder der Betreiber ist nicht in der Lage, belastbare Messungen durchzuführen oder er versucht noch immer, das wahre Ausmaß des Desasters in Fukushima zu beschönigen."

"Tepco ist ein ordentliches Unternehmen"

Zwar übte Regierungssprecher Edano nach dem Verwirrspiel scharfe Kritik am Umgang des Betreibers Tepco mit den Strahlungs-Messwerten. Das Vorgehen sei "inakzeptabel". Auch die japanische Atomaufsichtsbehörde wies das Unternehmen an, Maßnahmen zu treffen, damit es nicht wieder zu solchen Irrtümern wie am Wochenende kommt. Doch das war es dann auch.

Folgen? Keine. Es kommt sogar noch besser: Grundsätzlich bleibe es bei dem, was die Behörde am Freitag vergangener Woche öffentlich erklärt habe. Da hatte Hidehiko Nishiyama, Sprecher der japanischen Atomsicherheitsbehörde Nisa, auf einer Pressekonferenz eingeräumt, es stimme zwar, dass Tepco in der Vergangenheit nicht immer ordnungsgemäß Daten bekanntgegeben habe. "Aber Tepco hat viel aus dieser Erfahrung gelernt", beteuerte der stets korrekt in blau-weißer Dienstjacke auftretende Beamte. "Tepco", so versichert der Bürokrat, "ist ein transparentes Unternehmen geworden, das ordentlich seine Daten bekanntgibt".

Immer mehr Japaner bezweifeln das allerdings inzwischen. Wie eine am Sonntag veröffentlichte Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo ergab, missbilligen 58,2 Prozent der Bürger das Krisenmanagement der Regierung, die sich wiederum auf die Informationen von Tepco stützt. Schon als vor Tagen bekannt wurde, dass die drei Arbeiter, die sich bei ihren Rettungsversuchen an den Reaktoren schwerste Verbrennungen zugezogen hatten, von Tepco nicht vor der hohen Strahlenbelastung gewarnt worden waren, wurde die Stimmung in der Bevölkerung gereizter. Dass Tepco den Arbeitern schließlich noch eine Mitschuld gab, weil sie ihre Geigerzähler nicht richtig genutzt hätten, schlug dem Fass den Boden aus. Obwohl Massendemonstrationen wie in Deutschland in Japan keine Tradition haben, gingen am Wochenende auch in Tokio erstmals mehrere Hundert Atomkraftgegner auf die Straße. Viele beklagen, sie seien nicht gut genug informiert über die Verstrahlung und die möglichen Folgen für ihre Gesundheit.

Tepco beruhigt - Greenpeace warnt

Mal heißt es, Babys in Tokio dürften wegen der hohen radioaktiven Belastung kein Trinkwasser mehr trinken, dann wieder gibt es Entwarnung. Mal wird erklärt, das Gemüse aus der Region um Fukushima sei verseucht und dürfe nicht in den Handel, dann wieder erklärt ein Behördenmitarbeiter, man müsse das Gemüse nur gründlich waschen, dann könne nichts passieren. Dann wieder rät die Regierung, die Menschen in der 30 Kilometer-Zone um Fukushima sollten besser ihr Zuhause verlassen, um im nächsten Augenblick zu versichern, es gebe aber keine ernsten gesundheitlichen Bedenken. "Was soll man denn davon noch halten", fragen immer mehr Japaner - und bekommen bestenfalls von ausländischen Fachleuten ehrliche Antworten.

So hatte die Umweltschutzorganisation Greenpeace schon vor Tagen eine Ausweitung der Evakuierungszone rund um das Atomwrack gefordert. In dem Ort Iitate, rund 65 Kilometer nordwestlich des Kraftwerks, gäbe es eine so hohe Strahlenbelastung, dass eine Evakuierung notwendig sei, erläuterte Greenpeace. Vor allem für Kinder und Schwangere sei es dort nicht sicher, weil sie bereits innerhalb weniger Tage der jährlich erlaubten Strahlenbelastung ausgesetzt seien, erklärte Greenpeace. Um das Kraftwerk Fukushima 1 gilt derzeit eine 20 Kilometer weite Evakuierungszone.

Tepco-Chef meldet sich krank

Wie das Unternehmen Tepco die immer mehr außer Kontrolle geratende Situation in den Griff bekommen will, bleibt indes auch mehr als zwei Wochen nach der Katastrophe unklar. Leider gebe es keinen konkreten Zeitplan, um klar zu sagen, in wie vielen Monaten oder Jahren die Krise vorbei sei, sagte Tepco-Vizepräsident Sakae Muto. Offen gezeigte Hilflosigkeit, die die Bedenken gegen das Management ebenso mehren dürften, wie die Enthüllungen in japanischen Medien, die heute, am Montag, berichteten, dass Tepco-Chef Masataka Shimizu sich während der Atomkrise mehrere Tage krank gemeldet habe. Die Zeitung "Mainichi Shimbun" schreibt, der 66-Jährige sei am 16. März erkrankt und habe sich aus dem Krisenmanagement eine Woche lang zurückgezogen. Tatsächlich war Shimizu seit einer Pressekonferenz am 13. März nicht mehr öffentlich aufgetreten. In lokalen Medienberichten wurde dem Tepco-Chef vorgeworfen, unverantwortlich zu handeln.

Vorwürfe, die nicht neu sind. 2002 waren fünf Spitzenmanager des Unternehmens zurückgetreten. Tepco hatte zugeben müssen, mehr als zehn Jahre lang systematisch Inspektionsberichte über Risse in Atomreaktoren gefälscht zu haben. Dabei ging es unter anderem um Probleme bei den Rohren für den primären Kühlwasserkreislauf der Reaktoren. Indem die Schäden vertuscht wurden, konnten die Atomkraftwerke ohne kostspielige Reparaturen weiter am Netz bleiben. Die Regierung wurde schließlich von einem Mitarbeiter des mit den Prüfungen beauftragten Unternehmens informiert. Die Öffentlichkeit aber wurde von den Behörden anschließend über die Betrügereien im Unklaren gelassen.

"Sehr ernst verwarnt"

Jetzt sei das alles aber anders, versichert der Sprecher der japanischen Atomsicherheitsbehörde, Nishiyama. Man habe Tepco zwar "sehr ernst verwarnt", aber in der gegenwärtigen Phase sei es erst einmal wichtig, die Situation an der Anlage in den Griff zu bekommen. Wenn dies geschafft sei, werde man jeden einzelnen Vorgang durchgehen - und dann auch über die Verantwortung sprechen.

Die einzige Hoffnung liegt mittlerweile darin, dass die Kompetenz ausländischer Fachleute hilft, das Schlimmste zu verhindern. Die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEA) schickte in den vergangenen zwei Tagen zwei weitere Expertenteams nach Japan. Sie sollen die Behörden dabei unterstützen, die Strahlung zu messen und eine mögliche Verseuchung von Lebensmitteln im Blick zu behalten. Warum die mehrfach angebotene internationale Hilfe allerdings nicht schon seit zwei Wochen und auch in Bezug auf alle anderen Probleme mit dem Reaktorunglück genutzt wird, ist eine der Fragen, die bleiben.

Mit DPA/Reuters Reuters

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