Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs brach die alte Welt zusammen und das, was wir als Moderne verstehen, entstand. Frauen verließen in Scharen die ihnen zugedachte Rolle als Mutter und Gattin. Gleichzeitig wurde die Gesellschaft von einer Begeisterung für Technik und Geschwindigkeit erfasst. Junge Frauen setzten sich ans Steuer von Automobilen, erkundeten die Welt und eroberten die Cockpits von Flugzeugen. Fast in jedem Land gab es Pionierinnen. In Deutschland erinnert man sich noch an die Testpilotinnen Hitlers. Melitta von Stauffenberg, die Hitlers Sturzkampfbomber teste. Und Hannah Reitsch, die 1945 mit einem selbstmörderischen Einsatz auf der Straße "Unter den Linden" in Berlin landete und Hitler aus der brennenden Stadt ausfliegen wollte. In der UdSSR stellte Marina Raskowa in den 1930ern Flugrekorde auf. Im Krieg überzeugte sie Stalin, drei Luftregimenter nur aus Frauen aufzustellen und an die Front zu schicken. Die "Weiße Rose von Stalingrad" – Lidija Litwjak – erzielte in über 150 Feindflügen gegen die Luftwaffe 13 eigene und vier Gruppenabschüsse, bevor sie im August 1943 fiel.
Die berühmteste aller Pilotinnen
Doch keine Pilotin wurde so berühmt wie die Amerikanerin Amelia Earhart. Das liegt an dem ikonografischen Aussehen der Frau mit dem charakteristischen Kurzhaarkopf. Daran, dass sie ein Medienstar war. Und vor allem aber an ihrem mysteriösen Tod. Earhart wollte die Welt umrunden. Doch ihr Flugzeug, eine Lockheed Electra, kam nie ans Ziel. Über dem Pazifik verschwand die Maschine, seitdem ranken sich Legenden um ihren Tod.
Ihren Platz in der Luftfahrtgeschichte sicherte sich Amelia Earhart einige Jahre vorher. Am 20. Mai 1932 überquerte sie den Atlantik mit einer Lockheed Vega 5B. Fünf Jahre nach Charles Lindbergh wagte sie als erste Frau den Alleinflug über den Atlantik. Vier Jahre zuvor hatte sie den Flug als Passagierin gemacht. So wie ein "Sack Kartoffeln", so spottete sie.
Amelia Earhart war vor allem eines gewesen: mutig, um nicht zu sagen tollkühn. Angst kannte Earhart nicht. Wenn einmal der Entschluss gefasst sei, etwas zu tun, helfe nur Hartnäckigkeit, Ängste seien nur Papiertiger, urteilte sie. Ihre Liebe zu Flugzeugen entdeckte sie im Ersten Weltkrieg. 1922 erhielt sie ihre Fluglizenz – damals eine Sensation.
Ihr Flug von Neufundland nach Paris verlief alles andere reibungslos. Leicht hätte es geschehen können, dass Earhart nicht ans Ziel gekommen wäre. Sie kämpfte wie alle Alleinflieger mit der Müdigkeit. Feuer brach aus, Sprit leckte und es bildete sich Eis auf den Tragflächen. Mit Mühe und Not erreichte sie Europa – kam aber in Nordirland bei Derry an anstatt in Paris. Dennoch schrieb sie: "Nach Mitternacht ging der Mond unter und ich war allein mit den Sternen. Ich habe oft gesagt, dass der Reiz des Fliegens der Reiz der Schönheit ist."
Ein Star der Medien
Ihrem Ruhm trat das keinen Abbruch, im Gegenteil die Gefahr machte sie zu einem Star. Sie bemerkte einmal, dass Ruhm einer abgestürzten Pilotin weit größer sei als der eines verunglückten Mannes. Nicht ahnend, wie treffend sie damit ihr Nachleben vorwegnahm. Dabei war Amelia Earhart keine Eigenbrötlerin, ihren Ruhm nutzte sie, um für die Rechte von Frauen einzutreten. "Eine meiner häufigsten Ängste lautet, dass Mädchen, besonders diejenigen, deren Wünschen nicht zur Routine gehört, keine faire Chance bekommen … Das ist über Generationen weitergegeben worden, ein Erbe uralter Bräuche. Die logische Folge davon ist, dass Frauen zur Schüchternheit erzogen werden."
Nach dem Flug über den Atlantik konnte es nur noch eine Steigerung geben: Ein Flug um die Welt, natürlich in Etappen und nicht allein. Ihr Navigator Fred Noonan begleitete sie. Noonan sagte, sie sie die einzige weibliche Fliegerin, mit der er eine solche Expedition wagen würde. Sie sei nicht nur eine gute Begleiterin und Pilotin, sondern könne auch Härten ertragen und wie ein Mann arbeiten. Doch die beiden kamen nie wieder in den USA an, über dem Pazifik verschwand die Maschine. Natürlich wurde sie gesucht, aber nie gefunden.
Kurz vor ihrem Verschwinden notierte sie: "Vor nicht viel mehr als einem Monat stand ich am anderen Ufer des Pazifiks und blickte nach Westen. Heute Abend blickte ich nach Osten über den Pazifik. In diesen schnelllebigen Tagen, die dazwischengekommen sind, ist die ganze Welt an uns vorbeigezogen, auf diesem weiten Ozean. Ich werde froh sein, wenn wir die Gefahren der Navigation über ihn hinter uns haben."
Verschwunden in der Unendlichkeit
Um ihren Tod ranken sich zahllose Legenden. Auch weil es sich eine Gesellschaft zur Aufgabe gemacht hat, Absturzstelle und Leichnam von Earhart zu finden und es offenbar zum Geschäftsmodell gehört, immer neue Sensationen zu verkünden (Verhungert und verdurstet - Rätsel um den Tod von Flugpionierin Amelia Earhart)
Dazu widmen sich zahllose Hobbydetektive der Suche. Einer präsentierte etwa ein Foto, das Earhart und Noonan auf japanischem Gebiet zeigen sollte – im Hintergrund sollte man die Electra sehen. Tatsächlich war eine gewisse Ähnlichkeit vorhanden, doch der Fahnder übersah, dass sein Beweisfoto aus einem Buch stammte, das weit vor dem Flug gedruckt worden war (Irrtum eines Ermittlers – angebliches Beweisfoto zeigt nicht Earhart)
Viele Thesen, wenig Fakten
Die Gesellschaft zum Aufspüren von Earhart (International Group for Historic Aircraft Recovery (TIGHAR)) war sich sicher, dass sie am Strand der Nikumaroro-Insel landen konnte und dort verdurstete. Als sich trotz aller Mühen keinerlei Spuren auf dem Eiland finden ließen, versteifte man sich auf die Theorie, das Meer habe alle Gegenstände weggespült und die Körper der Toten seien von Riesenkrabben verzehrt und die Knochen verstreut worden (Tod der Flugpionierin – wurde Amelia Earhart von Riesenkrabben gefressen). Richtig ist wohl eher, dass Earhart und Noonan auch heute noch ohne jede Spur verschwunden bleiben. Und das wird sich vermutlich erst ändern, wenn doch noch Teile ihrer Electra gefunden werden sollten.
Sehenswert bleibt bis dahin der Film „Amelia“ (2009). Hilary Swank trifft das ikonografische Aussehen der Pilotin zum Verwechseln gut.
Joni Mitchel meditierte über sie und sang:
Ein Geist der Luftfahrt
Wurde sie verschluckt vom Himmel
Oder der See. Wie ich hatte sie einen Traum vom Fliegen
So wie Ikarus sich erhob
Auf schönen, närrischen Armen