Vor ein paar Stunden erst hat sie mit dem Emir von Katar gesprochen, dessen Land als wichtiger Hamas-Unterstützer gilt. In ein paar Stunden wird sie nach Israel fliegen, wo diese Hamas mit ihrem grausamen Terror gerade einen Krieg angezettelt hat. Dazwischen ist Annalena Baerbock in die Astor Filmlounge gekommen, ein altes Berliner Ku'damm-Kino. Eine Stunde lang will die grüne Außenministerin vor überwiegend weiblichem Publikum Rede und Antwort stehen. (Hier können Sie die Aufzeichnung des Gesprächs im Video sehen.)
Eigentlich soll "Brigitte Live" immer ein bisschen die menschliche Seite des Politischen präsentieren, oder wie Chefredakteurin Brigitte Huber es nennt, "den Menschen hinter dem Amt und hinter dem Parteiprogramm". Aber dies sind keine Zeiten für Küchen-Bekenntnisse wie einst bei Angela Merkel ("Wenn ich im Kochtopf rühre, denke ich nicht jede Sekunde: Die Kanzlerin rührt im Kochtopf"), die einst bei diesem Anlass auch verriet, dass sie auf Vorrat schlafen könne, wie ein Kamel.
Annalena Baerbock reist Freitag nach Israel
Dies sind Zeiten des Krieges – und seit dem vergangenen Wochenende ist damit leider nicht mehr nur die Ukraine gemeint. Also wird Baerbock am Freitagmorgen dorthin aufbrechen, wo am Wochenende die Hamas-Hölle über die Menschen hereingebrochen ist. Nach Israel, wo seitdem Trauer und Panik, Hoffen und Angst zeitgleich die Menschen quälen. Es wird ein Solidaritätsbesuch. Und wohl auch ein erster Zug in einer gerade anlaufenden Pendeldiplomatie.
Sie wird ihrem israelischen Amtskollegen Eli Cohen nicht nur ihr Mitgefühl überbringen und die "uneingeschränkte Solidarität" ihres Landes. Baerbock wird ihm auch mitteilen, was ihr der Emir gesagt hat. Katar hat sich bereits als Vermittler ins Gespräch gebracht für anstehende Verhandlungen über einen Austausch der nach Gaza entführten Geiseln. Sie müssten schnell freikommen, das würde helfen, einen Flächenbrand zu verhindern. "Alle Akteure sind jetzt gefragt", sagt Baerbock. Die engsten Freunde; die direkten Nachbarn, wie Ägypten; Länder, mit denen es zuletzt eine Annäherung gegeben habe, wie Saudi-Arabien; Länder, die Einfluss nehmen können, wie Katar.
Baerbock spricht von unvorstellbaren Gräueltaten
Außerdem will Baerbock Menschen treffen, "die nicht wissen, wo ihre Familienangehörigen gerade sind. Das ist etwas, was mich jetzt schon bewegt, bevor ich überhaupt losgeflogen bin." Es wird wohl eines jener Gespräche werden, die Baerbock später als die eigentlich schweren Treffen in ihrem Amt bezeichnet. Anders als man vielleicht vermuten würde, seien das nicht unbedingt jene mit Vertretern von Diktaturen und anderen Unrechtsregimen. Sondern solche, wie das Treffen mit einem Mädchen, das sechs Jahre in ISIS-Gefangenschaft gefoltert worden ist. "Was sagt man da?", fragt Baerbock.
Die Menschen in Israel hätten Unvorstellbares erlitten. Wie sie gehetzt worden seien, abgeschlachtet, ermordet oder entführt. "Mir geht es schon so, dass ich bei manchen Videos auf Stopp drücken muss", sagt Baerbock. "So was Unvorstellbares haben wir zum Glück alle noch nicht erleben müssen, deswegen ist es nicht an uns, jetzt kluge Ratschläge zu geben."
"Dann spiel ich nicht mit!"
Aber Israel soll nicht der einzige Themenblock bleiben. Das Konzept des Abends sieht vor, dass die Moderatorinnen der Befragten ein Begriffspaar vorgeben, die daraus das ihr passende Wort wählen möge.
Also: "Neustart oder Weiterso?", fragt die Chefredakteurin.
Baerbock: "Keines von beidem."
Chefredakteurin: "Das ist das Spiel!"
Baerbock: "Dann spiel' ich nicht mit!" Sie findet, genau das sei "das Gift unserer Zeit", dieses dauernde Entweder-oder, schwarz oder weiß.
Gut, sagt die Chefredakteurin, dann anders gefragt: Halbzeit, ihr Team liegt 0:2 hinten, was sagt sie dann als Coach in der Kabine?
Baerbock: "Jedes gute Fußballspiel wird in der zweiten Halbzeit entschieden und nicht in den ersten Minuten."
Natürlich muss es in einer Gesprächsreihe einer Frauenzeitschrift auch um den Feminismus gehen, etwa darum, warum einer Umfrage zufolge zwar jede zweite Frau unter 35 Jahren sagt, sie sei Feministin, aber nur jede dritte Frau über 35. Ihre Erklärung?
Baerbock: "Wenn ich jetzt gefragt würde, ob ich Feministin bin, da müsste ich auch erst mal länger drüber nachdenken." Ihre Mutter, erzählt sie dann, sei immer für absolute Gleichberechtigung gewesen, sie habe damals in ihrem Dorf für längere Kita-Öffnungszeiten gekämpft – aber sie hätte sich wohl trotzdem nie als Feministin bezeichnet.
Es geht dann noch um das Thema "Handeschütteln" (Baerbock: "Ich halte, so bin ich erzogen worden, Handgeben für eine sehr wichtige Sache") und um die Frage "aufstehen oder liegenbleiben?" – und so kommt es am Ende des Abends doch noch zu einem Bekenntnis: Sie würde gern öfter mal länger liegenbleiben, verrät die Außenministerin, denn ihr Job bringe es leider mit sich, meist sehr früh aufzustehen. "Es ist sehr anstrengend, alles andere wäre gelogen. Aber ich habe mir diesen Job ausgesucht."
Ob sie denn auch auf ihren Reisen durch sämtliche Zeitzonen der Welt gut schlafen könne? Das gehöre zu den "Schlüsselqualifikationen" für alle, die in der internationalen Politik tätig seien, sagt Baerbock. Aber: "Das Gute daran, wenn man nicht so viel schläft, ist, dass man immer müde ist."
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