In Russland geht der Kampf gegen oppositionelle Bewegungen in die nächste Runde. Am Mittwochabend stufte ein Gericht in Moskau die Anti-Korruptions-Stiftung des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny (FBK) und seine Regionalstäbe als extremistisch ein. Damit setzt die russische Justiz die oppositionellen Organisationen auf eine Liste mit terroristischen Gruppierungen wie al Kaida oder dem sogenannten Islamischen Staat. Ihre Aktivität ist ab sofort auf dem Gebiet der Russischen Föderation verboten.
Auf welcher Grundlage die Einstufung stattfand, ist völlig unklar. Die Verhandlung des Falls fand hinter verschlossenen Türen statt, da einige der Dokumente als "geheim" eingestuft worden waren – eine gängige Verschleierungspraxis der russischen Justiz. Alle Anträge der Verteidigung auf Freigabe des Falles wurden vom Gericht abgelehnt. Nach Angaben des Anwalts Iwan Pawlow legte die Staatsanwaltschaft unter anderem die Zusage der Stiftung, Geldstrafen für Demonstrationsteilnehmer zu übernehmen, als Beweis der Finanzierung "extremistischer Aktivitäten" aus.
Alexej Nawalny: "Kämpfer gegen Korruption werden zu Extremisten"
"Wenn Korruption die Grundlage der Macht ist, werden Kämpfer gegen die Korruption zu Extremisten", kommentierte Nawalny aus der Haft heraus das Urteil in seiner gewohnt sarkastischen Manier. "Es ist sehr bezeichnend, dass die Interessen Putins in diesem Prozess der Moskauer Staatsanwalt Popow vertreten hat", heißt es in dem Instagram-Post weiter, den Nawalny über seine Anwälte übermitteln konnte.
Denis Popow übernahm 2019 sein Amt. Wenig später enthüllte Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung, dass er eine Reihe nicht deklarierter Immobilien besitzt, sowohl in Russland als auch in Europa. "Er stiehlt, nimmt Bestechungsgelder an, beraubt die Bürger Russlands. Er investiert Geld in Villen und Hotels in Spanien und Montenegro. Seine Familie lebt dort. Während er hier in seiner blauen Uniform herumläuft und das Recht Putins und seiner Beamten verteidigt, so zu leben, wie sie leben – indem sie um ihres luxuriösen Lebens willens Land und Leute ausplündern", so Nawalny.
"Für die Nawalny-Organisationen bedeutet dies die Katakomben"
Das Urteil bedeutet nicht nur ein Verbot der Nawalny-Organisationen. Im Zusammenhang mit einem neuen Gesetz hat es zur Folge, dass Anhänger und Unterstützer des Oppositionellen nun bei keinen Wahlen mehr antreten dürfen. "Für die Nawalny-Organisationen bedeutet dies den Übergang in die Katakomben", erklärt der Politologe Andrej Kolesnikow im Gespräch mit dem stern. Es bleibe die Arbeit im Untergrund, hauptsächlich aus dem Ausland. "Dmitrij Gudkow hat alles sehr gut erklärt: Es ist unmöglich geworden, etwas aus dem Inneren des Landes zu tun", so der Politologe und Leiter der Abteilung für russische Innenpolitik und politische Institutionen am Moskauer Carniege-Zentrum.
Der Oppositionspolitiker und ehemalige Abgeordnete Dmitri Gudkow hatte am vergangenen Sonntag bekanntgegeben, in die Ukraine geflohen zu sein. Informanten aus dem Umfeld des Kreml hätten ihn gewarnt, dass er auf Grundlage gefälschter Vorwürfe festgenommen würde, falls er Russland nicht verlassen sollte.

"Zu diesem Zeitpunkt hat die repressive Linie der Regierung die Opposition geschlagen", sagt der Politologe Kolesnikow. "Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ernsthafte Proteste gegen die Wahlen möglich sein werden." Im September stehen in Russland Duma-Wahlen an und schon jetzt sind zahlreiche Manipulationen bekannt geworden. "Die Nawalny-Anhänger werden weiter zur sogenannten Intelligenten Wahl aufrufen", so Kolesnikow. "Aber daraus ist längst eine dumme Wahl geworden, weil es außer den Kandidaten, die der Regierung genehm sind, keine weiteren Kandidaten gibt."
Nawalny hatte einst die Intelligente Wahl ins Leben gerufen, um Putins Partei Einiges Russland aus den Parlamenten zu drängen und somit Putin seine Machtbasis zu entziehen. Das Prinzip ist einfach: Anstatt auf unter Umständen hoffnungslose Kandidaten der eigenen Partei zu setzen, sollen die Bürger jene Oppositionspolitiker wählen, die die größten Chancen haben, in die Parlamente zu kommen und den Mitgliedern von Einiges Russland die Plätze wegzunehmen. Doch nun ist Unterstützern und Mitstreitern von Nawalny verboten worden, bei jeglichen Wahlen zu kandidieren – egal ob jemand nur irgendwann gespendet hat oder sich aktiv engagiert hat.
Alexej Nawalny will nicht aufgeben
Aufgeben will der Oppositionsführer trotz des Urteils nicht. "Wen interessiert, wie wir heißen? FBK ist nicht FBK [...] Wir sind kein Name, kein Stück Papier oder ein Büro", richtet Nawalny aus der Haft aus. "Wir werden uns anpassen. Aber wir werden uns nicht von unseren Zielen und Vorstellungen verabschieden. Das ist unser Land und wir haben kein anderes."
Die EU hat das Verbot verurteilt. Der Schritt habe keine Grundlage und sei "der bisher schwerwiegendste Versuch der russischen Regierung, die unabhängige politische Opposition und Antikorruptionsuntersuchungen zu unterdrücken", erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell im Namen der Mitgliedstaaten am Donnerstag. Ziel sei es, den Einfluss von Nawalnys Netzwerk vor den Wahlen zur Staatsduma im September "und darüber hinaus zu beseitigen".