Afghanistan Der Gegenschlag der Taliban

Die Lage in Afghanistan eskaliert: Nach Beginn der Großoffensive gegen die Taliban in der Provinz Helmand sind dort mindestens 19 Menschen getötet worden. An der Grenze zu Pakistan werden 16 Minnenräumer vermisst. Die Union streitet über eine Rückzugsstrategie für die deutschen Soldaten.

Zwei Tage nach Beginn der US-Offensive in Südafghanistan haben die radikalislamischen Aufständischen am Samstag einen US-Stützpunkt im Südosten des Landes massiv angegriffen. Die Internationale Schutztruppe Isaf teilte mit, bei den Gefechten am Außenposten in der Provinz Paktika seien zwei Soldaten und zehn Aufständische getötet worden. Taliban-Kämpfer haben nach Aussage eines Sprechers der Provinzregierung einen Tanklastwagen vor der Basis zur Explosion gebracht und den Stützpunkt dann attackiert. Neben diesem Stützpunkt im Distrikt Zhirok griffen die Taliban zwei weitere Isaf-Stellungen in Paktika an. Dabei wurden laut Isaf drei Zivilisten verletzt.

Sicherheit für die Wahlen gewährleisten

In der südafghanischen Provinz Helmand, wo amerikanische und afghanische Truppen am Donnerstag eine Großoffensive begonnen haben, kamen mindestens 19 Menschen ums Leben. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in London vom Sonntag wurden zwei britische Soldaten getötet. Die Zahl der seit Beginn des Einsatzes getöteten Briten stieg damit auf 173. Das Innenministerium in Kabul teilte mit, zwei Polizisten und 15 Taliban-Kämpfer seien bei Gefechten getötet worden. Fünf weitere Polizisten seien verwundet worden. Die Taliban berichteten, ihre Kämpfer hätten seit Samstag 30 ausländische und afghanische Soldaten in Helmand getötet. Angaben der Taliban sind hochgradig unzuverlässig.

Nach Angaben örtlicher Behörden haben Truppen die Taliban aus den Distrikten Nawa und Khanashin vertrieben und bereiteten sich nun darauf vor, in anderen Distrikten Helmands gegen die Aufständischen vorzugehen. Ziel der Operation "Khanjar" (Krummdolch) ist es, die Sicherheit der am 20. August stattfinden Wahlen in Afghanistan zu gewährleisten und den Einfluss der Regierung in der Taliban-Hochburg Helmand wieder herzustellen.

16 Minenräumer vermisst

In Paktika hatten Aufständische am vergangenen Dienstag einen US-Soldaten entführt, dessen Schicksal ungewiss ist. Die Taliban haben bislang keine Forderungen gestellt. In der Provinz ist es in den vergangenen Tagen immer wieder zu Angriffen der Taliban gekommen.

In Paktikas Nachbarprovinz Paktia wurden am Sonntag nach UN-Angaben 16 Minenräumer vermisst, die mit den Vereinten Nationen zusammenarbeiten. Paktias Sicherheitschef Dastagir Rostamyar sagte, er gehe davon aus, dass die Minenräumer möglicherweise von Kriminellen entführt worden seien. In derselben Provinz wurden Rostamyars Angaben zufolge zwei afghanische Soldaten getötet, deren Patrouille in eine Sprengfalle geraten war. In der ostafghanischen Provinz Chost wurde nach Angaben der Behörden ein Polizist getötet.

Soldaten nahmen südlich der Hauptstadt Kabul einen Aufständischen gefangen, der nach Angaben der amerikanischen Streitkräfte Kinder als Selbstmordattentäter rekrutiert hat. Das US-Militär teilte am Sonntag mit, ein zweiter Aufständischer sei bei der Operation in der Nacht zuvor in der Provinz Logar ebenfalls in Gefangenschaft geraten. Die beiden Männer gehörten dem aus dem pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan heraus operierenden Hakkani-Netzwerk an, das "eine der tödlichsten Taliban-Organisationen" sei.

Pakistan bombardiert Taliban-Stellungen

Pakistanische Kampfflugzeuge bombardierten am Sonntag im Grenzgebiet zu Afghanistan mutmaßliche Stellungen der Taliban. Mindestens fünf Menschen seien getötet und rund ein Dutzend weitere verletzt worden, sagte ein Geheimdienstmitarbeiter. Die Armee bereitet eine "entscheidende Operation" gegen die Kämpfer des pakistanischen Taliban-Chefs Baitullah Mehsud in Süd-Waziristan vor.

Diskussionen in der Union

Angesichts der Gewalteskalation streitet die Union über eine Rückzugsstrategie für die deutschen Soldaten. Während die CSU ihre Forderung nach einem Ausstiegs-Szenario bekräftigte, hieß es in der CDU, eine solche Debatte sei verhängnisvoll. Nach "Spiegel"-Informationen hat die Bundesregierung einem offensiveren Vorgehen der deutschen Soldaten in Afghanistan zugestimmt. Entsprechend sollen auch die Regeln für den Einsatz militärischer Gewalt angepasst werden. Das Verteidigungsministerium plant nach Angaben des Magazins Änderungen in der sogenannten Taschenkarte für die Soldaten. Überlegt werde, die Kapitel I und II zu tauschen. Damit würde der Abschnitt "Militärische Gewalt zur Durchsetzung des Auftrags" vor den Abschnitt "Militärische Gewalt zur Selbstverteidigung" rutschen und bekäme eine größere Bedeutung.

CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer sagte im Deutschlandfunk, aus Verantwortung für die Soldaten müssten Abzugskriterien entwickelt werden, sobald die Sicherungsaufgabe in Afghanistan erfüllt sei. Er nannte dafür einen Zeitraum von fünf bis acht Jahren. Zuvor hatte sich der CSU-Sicherheitsexperte Hans-Peter Uhl für einen schnellen deutschen Rückzug ausgesprochen. Demgegenüber wies der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz Diskussionen über einen Abzugstermin der Bundeswehr zurück. "Unmittelbar nach dem Anschlag mit drei deutschen Soldaten ist die Debatte verhängnisvoll", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags der "Bild"-Zeitung. "Es darf deshalb keinen Zweifel an unserer Festigkeit geben."

Außenminister Steinmeier (SPD) kritisierte, gerade im Wahlkampf solle niemand unverantwortlich mit dem Thema Afghanistan umgehen. "Das sollte auch die Kanzlerin den Unions-Abgeordneten deutlich sagen." Als "unsäglich" bezeichnete der SPD-Kanzlerkandidat die Afghanistan-Äußerungen aus der CSU. "Bayern ist das Bundesland, das zur Polizeiausbildung in Afghanistan bisher nichts beiträgt. Seit sieben Jahren hat das bayerische Innenministerium nicht einen einzigen Polizeiausbilder geschickt", sagte er dem Berliner "Tagesspiegel".

Bundespräsident Horst Köhler appellierte an die politische und militärische Führung, die Notwendigkeit des Einsatzes besser zu erklären. "Die Soldaten müssen wissen, warum sie dort sind", sagte er im ZDF. Nach Köhlers Ansicht gibt es "zu viele Widersprüchlichkeiten" in der Strategie der Bündnispartner.

DPA
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