Afghanistan Die Dealer der Demokratie

Von Martin Gerner
Nach mehr als 30 Jahren ist in Kabul zum ersten Mal das afghanische Parlament zusammengetroffen. Zu Gast war auch US-Vizepräsident Dick Cheney - als Repräsentant derjenigen, die in Afghanistan kräftig mitregieren.

Es war eine feierliche Eröffnung am Montag, die erste Sitzung des afghanischen Parlaments nach mehr als drei Jahrzehnten. Der 91 Jahre alte frühere König Sahir Schah war anwesend, laut Verfassung "Vater der Nation". Ebenfalls zu Gast in Kabul: Dick Cheney, US-Vizepräsident - ein Zeichen, in mehrfacher Hinsicht.

Hamid Karsai ist zwar Präsident und Landes und legitimierter Führer am Hinduksuch, aber einer von Amerikas Gnaden. Der heimliche Herrscher Afghanistans, so sagt der Volksmund in Kabul, ist der dortige amerikanische Botschafter. Er ziehe die Strippen für die Bush-Regierung.

Daraus schöpft die Propaganda der Extremisten, die Karsai eine Marionette nennen und ihn wie auch die Abgeordneten des Parlaments zu Zielen ihres Kampfes erklären. Anders als im Irak, ist der Terror in Afghanistan eine Politik ständiger Nadelstiche. Gleichwohl stehen weder Taliban-Kämpfer noch andere Extremisten kurz vor dem Sturz der frisch gewählten Regierung. Dafür hat diese zuviel Unterstützung in der Bevölkerung.

"Scheinbar hat der Westen keine Prinzipien mehr"

Das Image der US-Regierung ist viel schlechter. "Mir und vielen Afghanen erscheint es, als hätten die westlichen Regierungen zunehmend keine feste Prinzipien mehr", sagt Ramazan Bashardost, Jurist und unabhängiger Abgeordneter im neuen Parlament. Damit meint er etwa die Haftbedingungen im US-Gefangenenlager Guantanamo, die nicht nur Europäer sondern auch Afghanen empört.

Auch die Gefangenenmisshandlungen in Abu Ghreib und zuletzt die Verbrennung von zwei Leichen mutmaßlicher Taliban durch US-Soldaten, macht die US-geführten Koalitionskräfte im Land zunehmend unbeliebt. Zugleich gestehen US-Militärs ein, dass die Jagd nach Osama Bin Laden im Grenzgebiet zu Pakistan nicht mehr oberste Priorität genießt wie noch vor Jahresfrist. Folglich fragen Afghanistans Medien: Wie lange wird die ausländische Militär-Präsenz dauern?

Auch Vizepräsident Cheney konnte oder wollte diese Frage nicht beantworten. Ebenso schwieg er zu dem Hinweis der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, dass nach wie vor US-Geheimgefängnisse in Afghanistan existierten. Er hätte sich dazu vor den Abgeordneten erklären können, um zumindest einen Teil des verloren gegangenen Vertrauens in die Amerikaner am Hindukusch wieder herstellen können.

US-Truppen im Grenzgebiet ruinieren das Image

Besonders die US-Spezialtruppen im Grenzgebiet zu Pakistan ramponieren immer wieder Image der GIs. Etwa indem sie in Missachtung des Islam und des afghanischen Ehrenkodexes in private Wohnungen eindringen und dort Frauen bis auf die Haut durchsuchen.

"Karsai hat die Amerikaner wiederholt aufgefordert, das zu unterlassen", sagt ein enger Berater des Präsidenten. Das US-Militär hat sich bisher aber erfolgreich geweigert, der Regierung Karsai Rechenschaft über diese und andere Vorkommnisse abzulegen. Zugleich wurde Karsais Leibgarde bis zuletzt durch Amerikaner gestellt. Einen symbolischeren Verlust von Souveränität gibt es kaum.

Die Unzufriedenheit mit dem US-Militär strahlt auch auf die ISAF-Truppenteile ab: "Wir haben nach acht Monaten unsere dunkelgrünen Uniformen in helle Kaki-Anzüge umgetauscht", sagt Oberstleutnant Volker Grönhagen, der bis 2003 in Kabul Dienst getan hat. "Zum einen wegen der Hitze, zum anderen, weil die Bundeswehr nicht mit den Amerikanern verwechselt werden wollte".

Karsai als Dompteur

Vom neuen Parlament ist keine strenge Opposition zu erwarten. "Karsai wird eine Art Dompteur sein", prognostiziert Almut Rau-Karimi, "bemüht von Fall zu Fall Koalitionen zu schmieden." Statt Konfrontation praktiziert der Präsident seit Jahren eine Politik der maximalen Umarmung mit erklärten Gegnern. Die Folge sind Kompromisse, echte und faule, Versprechungen, Hand- und Schmiergelder. "Die Verhandlungsführer im Parlament werden Kompensationen für ihre Zustimmung einfordern", so Rau-Karimi, "damit besteht das Risiko, dass das die Korruption anheizt."

"Democracy Afghan Stlye", hat Karsai dem Ausland und seinen Landsleuten versprochen - Demokratie nach afghanischer Art. Dass er viele politische Akteure, die Blut an den Händen haben, damit nachträglich aufwertet, registrieren Afghanen zunehmend irritiert. Dass viele Menschen auf der Strasse Analphabeten sind, heißt nicht, dass sie kein politisches Gespür hätten.

"Viele Wie funktioniert ein Parlament?

Für stabile Verhältnisse wird das Land Jahrzehnte brauchen. "Viele Abgeordnete haben keine Ahnung, wie ein Parlament funktioniert. Und ob die gesetzliche Quote von 25 Prozent Frauen in der neuen Nationalversammlung ein Segen ist, muss sich erst noch herausstellen", sagt Shafik Hakimi vom afghanischen Dienst der BBC. "Ich erwarte nicht viel vom Parlament", sagt Bashardost, der jetzt selbst in ihm sitzt und vor Jahresfrist als Minister unter Karsai das Handtuch geschmissen hatte. Damals wie heute feindet er internationale Hilfsorganisationen wegen der Korruptheit an, die sie über sein Land brächten.

Der Vorwurf ist nicht aus der Luft gegriffen, wenn auch in seiner Pauschalität übertrieben. Kabul ist in diesen Tagen ein Hort ausländischer Consultant-Firmen, die den Rahm der Globalisierung auch in dem pulsierenden Drei-Millionen-Moloch abschöpfen wollen.

Hier kann man schnell reich werden und ausgelassen feiern. "Das große Fressen", hatte eine deutsche Zeitung es neulich treffend überschrieben. Ausländische Geschäftsmänner stoßen in Kabul mit Alkohol auf ihren Erfolg an. Die Afghanen müssen draußen bleiben. Ein Hauch von Apartheid, der den Westen einmal mehr mit seinen eigenen moralischen Ansprüchen konfrontiert.