Die üblichen 100 Tage Schonfrist? Von wegen. Vier Wochen lang ist Annalena Baerbock erst im Amt – doch von Anfang an beherrscht Krisendiplomatie die Agenda der neuen deutschen Außenministerin. Auch an diesem Mittwoch in Washington, wenn US-Außenminister Antony Blinken die 41-Jährige empfängt, steht wieder der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine im Mittelpunkt. Es gibt Sorgen, die USA und Russland könnten Deutschland und Europa bei ihren Verhandlungen über eine Lösung der Krise außen vor lassen. Trotzdem dürfte das Treffen eher ein Wohlfühltermin werden.
Die richtig harten Gespräche auf internationalem Parkett stehen für die Grünen-Politikerin noch aus: Gut möglich, dass eine Art Vermittlungsmission sie demnächst auch nach Kiew und Moskau führt. Spannend dürfte sein, wie Russlands Außenminister, der alte Haudegen Sergej Lawrow, die Neue empfängt - auch wegen Baerbocks lautstarker Ankündigungen, gegenüber Russland und China mehr als die schwarz-rote Vorgängerregierung auf das Thema Menschenrechte zu pochen.
Baerbock verkürzt wegen Omikron ihre USA-Reise
Bisher hat Baerbock mit Lawrow nur am Telefon konferiert. In einem dpa-Gespräch kündigte sie kürzlich an: "Es wird sicher zeitnah die Gelegenheit geben, sich auch persönlich kennenzulernen." Das wird interessant. Welche Bedeutung es hat, vor derart schwierigen Reisen den Schulterschluss mit dem wichtigsten transatlantischen Partner zu suchen, macht das Drehbuch für den Washington-Besuch klar. Es ist ein 26-Stunden-Trip über den Atlantik. Tief in der Nacht geht es im Regierungsflieger schon wieder auf die Rückreise.
Ursprünglich war zum Start ins neue Jahr eine längere Visite in den USA geplant. Doch die auch dort grassierende Omikron-Variante des Coronavirus machte der Außenministerin einen Strich durch die Rechnung. Eine Überprüfungskonferenz zum Atomwaffen-Nichtverbreitungsvertrag in New York, wo Baerbock auftreten wollte, musste verschoben werden. Die Nichtverbreitung von Atomwaffen ist eines ihrer wichtigsten Ziele.
Auf das mit der USA-Reise verbundene Signal wollte die Ministerin trotzdem nicht verzichten. Damit unterstreiche sie sehr früh in ihrer Amtszeit und kurz nach der Übernahme des Vorsitzes der Staatengruppe führender demokratischer Wirtschaftsmächte (G7) durch Deutschland Anfang des Jahres die Bedeutung der transatlantischen Beziehungen, begründet das Auswärtige Amt die Stippvisite. Auch um die Klimaaußenpolitik solle es gehen und das gemeinsame Engagement zur Stärkung von Demokratien – zwei weitere Herzensangelegenheiten Baerbocks.
Auch Nord Stream 2 wird Thema in Washington sein
Zwar gibt es auch Konfliktpunkte zwischen Washington und der neuen Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP in Berlin – siehe die deutsch-russische Erdgaspipeline Nord Stream 2. Doch für Baerbock dürfte es beispielsweise in diesem Punkt nur wenig Dissens mit Blinken geben: Auch die Grünen lehnen die umstrittene Röhre ja eigentlich ab, anders als SPD-Kanzler Olaf Scholz oder die FDP.
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Interessant dürften bei Baerbocks zweitem Treffen mit dem Amerikaner die Zwischentöne sein, mit denen sie die deutsche Haltung erklärt. Während Scholz von einem privatwirtschaftlichen Projekt spricht und die Entscheidung über die Inbetriebnahme unpolitisch nennt, pochte sie kürzlich darauf, die vergangenen Jahre hätten "ja auch mit Blick auf die unterschiedliche Wahrnehmung in Europa deutlich gemacht, welche geostrategische Rolle Nord Stream 2 spielt".
Baerbock setzt auf Einigkeit der Bundesregierung
Die Frage wirft ein Schlaglicht auf ein Thema, das in den nächsten Monaten auch daheim Krisenkontakte nötig machen könnte: Wo wird die deutsche Außenpolitik entschieden – im Kanzleramt oder im Außenministerium? Wie sie verhindern wolle, dass es wie beim damaligen SPD-Kanzler Gerhard Schröder und dem ersten grünen Außenminister Joschka Fischer zur Frage komme: "Wer ist Koch und wer Kellner?", wollten Journalisten kürzlich von ihr wissen.
Baerbock zeigte bei der Antwort schon mal diplomatisches Geschick. Wesensmerkmal von Außenpolitik sei es, einen kontinuierlichen Dialog zu pflegen. Das gelte nach innen genauso wie nach außen. Zugleich räumte sie aber ein: "Eine starke deutsche Außenpolitik bedeutet natürlich, dass man mit einer Stimme spricht." Doch wie sie die Zwickmühle auflösen will, verriet sie nicht. Vielleicht mit einer ganz eigenen Art von Pendeldiplomatie: Scholz und Baerbock wohnen beide in Potsdam. Krisentreffen wären da sogar zu Fuß möglich.