Britischer Premier Boris Johnson kommt wieder mal mit einem blauen Auge davon – ist aber angeschlagener denn je

Der britische Premierminister Boris Johnson
Für Boris Johnson dürfte es trotz überstandenem Misstrauensvotum in Zukunft alles andere als einfach werden
© Aaron Chown / POOL / AFP
Großbritanniens Premierminister Boris Johnson hat ein Misstrauensvotum gegen ihn überstanden und ist so einem Sturz knapp entkommen. Die Zukunft des Premiers ist aber weiter ungewiss, denn die Schlinge ist enger geworden.

Boris Johnson ist das Stehaufmännchen der britischen Politik geworden. Trotz "Partygate" und Misstrauensantrag seiner Tories gegen ihn bleibt er Premierminister des Vereinigten Königreichs – vorerst. Denn nach dem Votum am Montagabend bleibt unklar, wie lange Johnson noch stehen kann. Denn immerhin 148 der 359 konservativen Unterhausabgeordneten sprachen Johnson das Misstrauen aus.

Darüber sah Johnson erst einmal hinweg und bejubelte die Mehrheit von 211 Stimmen für seinen Verbleib an der Macht und nannte es ein "überzeugendes" Ergebnis. "Natürlich verstehe ich, dass wir jetzt als Regierung und als Partei zusammenkommen müssen. Und das ist genau das, was wir jetzt tun werden", sagte Johnson vor Reportern. "Wir werden weitermachen", versprach er. 

"Keep calm and carry on" also?

Das dürfte sich als schwierig herausstellen. Denn die hohe Zahl der Stimmen gegen ihn sind ein deutliches Zeichen dafür, dass es innerhalb der Konservativen brodelt. Schon in den vergangenen Monaten wuchs der Druck auf Johnson wegen der "Partygate"-Affäre. Ein weiteres Misstrauensvotum ist nach den geltenden Regeln der britischen Konservativen allerdings für einen Zeitraum von zwölf Monaten ausgeschlossen.

Zweifel bei Tories, ob man mit Johnson Wahlen gewinnen kann

Mit wenigen Ausnahmen lasen sich die Schlagzeilen britischer Zeitungen für den Premier am Dienstag verheerend: "Ein verwundeter Sieger", titelte die "Times", "Hohler Sieg zerreißt die Tories", hieß es auf der Frontseite des "Daily Telegraph" – beides sind konservative Blätter. Im linksliberalen "Guardian" war zu lesen: "Johnson klammert sich an Macht trotz Abstimmungs-Demütigung".

Auch wenn Johnson seinen Ruf als "Katze mit sieben Leben", wie ihn erst kürzlich ein Journalist genannt hatte, wieder einmal unter Beweis gestellt hat: Der 57-Jährige ist jetzt schwer angeschlagen. Die Affäre um gesetzeswidrige Partys in der Downing Street No. 10 während des Corona-Lockdowns dürfte nicht so einfach abzuhaken sein, wie sich der Premier das vorstellt. Denn Johnson hatte die Partys nicht nur geduldet, sondern teils selbst mitgefeiert.

Und auch die Zweifel bei den Tories, ob sich mit Johnson noch Wahlen gewinnen lassen, sind nun keinesfalls vom Tisch. Von der Polizei wurde der Premier wegen "Partygate" als Gesetzesbrecher gebrandmarkt und zu einer Geldstrafe verdonnert – und ein Untersuchungsbericht zu den Party-Exzessen in der Downing Street stellte Johnson ein verheerendes Zeugnis aus. 

Parteiinterne Kritik an Boris Johnson

In den jüngsten Umfragen stellten die Briten Johnsons Führungsfähigkeiten zunehmend in Frage. Eine klare Mehrheit vertrat die Ansicht, dass er zu "Partygate" gelogen hat und zurücktreten sollte. 

Es war aber nicht nur die laxe Haltung gegenüber den eigenen Regeln, die Johnsons Gegner in der eigenen Partei auf die Barrikaden gebracht hat. Der Tory-Abgeordnete und langjährige Johnson-Weggefährte Jesse Norman warf dem Premier unter anderem vor, die Einheit des Landes zu gefährden. Den Konfrontationskurs mit Brüssel in der Nordirland-Frage bezeichnete er als "wirtschaftlich sehr schädlich, politisch töricht und beinahe sicher illegal". Johnsons Plan, Flüchtlinge nach Ruanda abzuschieben, beschrieb er als "hässlich, wahrscheinlich kontraproduktiv und von zweifelhafter Rechtmäßigkeit".

Eine langfristige politische Agenda habe Johnson hingegen nicht. "Stattdessen versuchst du einfach nur Wahlkampf zu betreiben, indem du ständig das Thema wechselst und politische und kulturelle Gräben hauptsächlich zu deinem eigenen Vorteil schaffst", so Norman weiter.

Video: Boris Johnson: Misstrauensvotum der eigenen Partei
Boris Johnson: Misstrauensvotum der eigenen Partei

Trifft Johnson das gleiche Schicksal wie Theresa May?

Schon am 23. Juni sollen in zwei englischen Wahlkreisen Nachwahlen stattfinden. In beiden wird mit einer Niederlage für die Tories gerechnet. Den Schuldigen wird man schnell gefunden haben: den Parteichef und Premier. 

Einziger Vorteil für Johnson dürfte sein, dass es bisher keinen klaren Favoriten für seine Nachfolge gibt. Ihren Hut in den Ring geworfen haben Ex-Gesundheitsminister Jeremy Hunt sowie der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Tom Tugendhat. Auch Außenministerin Liz Truss rechnet sich wohl Chancen aus.

Der Premier dürfte in der ganzen Misere um seine Person wohl das warnende Beispiel seiner Vorgängerin vor Augen haben: Theresa May hatte Ende 2018 eine Vertrauensabstimmung überlebt, sah sich aber wenige Monate später wegen fehlenden Rückhalts doch zum Rücktritt genötigt. Ob Johnson aber letztlich mehr Glück haben wird als seine Vorgängerin und seine Macht wieder stabilisieren kann – das scheint nach dem Votum vom Montagabend höchst ungewiss.

DPA · AFP
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