Viereinhalb Jahre nach Beginn des Einsatzes in Afghanistan hat die Bundeswehr ihren Einsatzschwerpunkt von der Hauptstadt Kabul ins nordafghanische Masar-i-Scharif verlegt. Die Bundeswehr übernahm dort das Kommando über die Internationale Schutztruppe Isaf im Norden des Landes. Vor der Kommandoübernahme hatte Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) die Lage am neuen deutschen Standort als gefährlich eingeschätzt. Es gebe auch dort "vereinzelte hinterhältige Anschläge" der radikal-islamischen Taliban, sagte Jung in der ARD. "Das ist das, was einem zurzeit Sorgen machen muss."
Derzeit sind 2850 deutsche Soldaten im Rahmen der Isaf eingesetzt. Bis Jahresende sollen 1700 davon in Masar-i-Scharif stationiert sein. Dort baut die Bundeswehr derzeit ihr größtes Feldlager außerhalb Deutschlands auf. Der deutsche Brigadegeneral Markus Kneip, der das Kommando über die Isaf-Nord führt, hatte die Lage vor Ort zuvor als "eindeutig nicht ruhig und nicht stabil" eingeschätzt.
Einsatz basiert auf keinem schlüssigen Konzept
Jung sagte, der Süden und Osten des Landes seien gefährlicher als der Norden. "Aber auch der Einsatz im Norden Afghanistans ist nicht ungefährlich und nicht ohne Risiken." Der Einsatz sei aber sinnvoll und zeige auch Erfolg. Der Chef des Bundeswehrverbands, Bernhard Gertz, sagte der "Leipziger Volkszeitung" dagegen: "Unser Einsatz in Afghanistan basiert nicht auf einem wirklich schlüssigen Konzept. Die Aufgabenverteilung zwischen den Nationen funktioniert nicht richtig." Insgesamt werde das Ziel verfehlt, die Lebensverhältnisse der Menschen zu verbessern.
Im nordafghanischen Einsatzbereich der Bundeswehr waren drei afghanische Mitarbeiterinnen der internationalen Hilfsorganisation Action Aid und ihres Fahrers in Nordafghanistan getötet worden. Nach dem Mord und den Ausschreitungen in Kabul stellte die Hilfsorganisation medica mondiale ihre Arbeit nach vier Jahren in Kabul vorläufig ein. "Die Situation ist zu gefährlich für unsere Mitarbeiterinnen", teilte die Organisation in Köln mit. Der afghanische Präsident Hamid Karsai verurteilte den Mord scharf.
"Blutiger Sommer" in Afghanistan
Die US-Streitkräfte in Afghanistan räumten ein, dass amerikanische Soldaten vor den schweren Unruhen in Kabul möglicherweise doch auf Zivilisten geschossen haben. Es gebe Anzeichen, dass Soldaten ihre Waffen zur "Selbstverteidigung" benutzt hätten, sagte der Sprecher der US-Streitkräfte in Afghanistan, Oberst Tom Collins, in der afghanischen Hauptstadt.
Nach den jüngsten Unruhen erwarten die USA einen "blutigen Sommer" in Afghanistan. "Die Taliban glauben, dass die Nato-Staaten schwach sind und die Europäer weglaufen, wenn sie jetzt hart zuschlagen", sagte der US-Botschafter in Kabul, Ronald Neumann, der "Süddeutschen Zeitung". Die Deutschen machten "einen guten Job". Doch die Bundeswehr müsse sich, auch wenn ihr Gebiet im Norden sicherer sei als der Süden, darauf einstellen, dass die Lage im ganzen Land derzeit instabiler werde, sagte der US-Botschafter.
Nach dem Zusammenstoß eines US-Militärlastwagen mit Zivilfahrzeugen in Kabul hatte ein wütender Mob US-Soldaten mit Steinen beworfen, aus der Menge wurde möglicherweise auch geschossen. Die US-Streitkräfte hatten anschließend mitgeteilt, aus mindestens einem ihrer Fahrzeuge heraus sei über die Menge gefeuert worden. Mehrere Augenzeugen hatten dagegen gesagt, Soldaten hätten auf Zivilisten gehalten. Der Vorfall hatte die schwersten Unruhen in Kabul seit dem Sturz der Taliban Ende 2001 mit zahlreichen Toten und Verletzten ausgelöst.