Deutsche im Libanon "Ich halte das nicht mehr aus"

  • von Holger Witzel
Die Familie Hoteit wollte in der Nähe von Beirut Urlaub machen und geriet in einen Krieg. Der Vater, zu Hause in Berlin geblieben, organisierte übers Handy die Flucht für die Mutter und die drei Kinder. Nun sitzen sie in Syrien fest.

Die ersten Nachrichten klangen noch so lapidar wie auf den Schulhof: "Ständig Flugzeuge über den Häusern", schrieb Yara, 16, ihrer besten Freundin Mehpap per Handy nach Berlin. "Es nervt total."

Mit ihren Mutter und den beiden Brüdern Rayan, 15, und Ribal, 10, wollte sie die Ferien wie jedes Jahr in Bablieh verbringen, einem 8000-Einwohner-Ort im Süden Libanons. Ihr Vater Mohammed Hoteit ist dort geboren. Sein Elternhaus dient der weit verzweigten Familie meist den ganzen Sommer als Feriendomizil. Bis zum Strand sind es nur sechs Kilometer, auf der nahen Autobahn ist man ohne Stau normalerweise in 30 Minuten in Beirut. Die ersten Tage sind immer ausgefüllt mit Verwandtenbesuchen. Danach beginnen die Ferien erst richtig. Normalerweise. Diesmal kam alles anders.

Kaum die Hälfte der Einladungen war absolviert, als die israelischen Luftangriffe begannen. Zuerst war der Strom weg, dann wurden - wie sie am Horizont beobachtet konnten - "systematisch" Dorf für Dorf angegriffen. Zwei Häuser im Ort - Volltreffer, zwei beschädigt, einen Toten hat man am zweiten Tag in Bablieh gefunden.

Eine Woche war die Familie eingeschlossen und traute sich nicht einmal mehr zu den Nachbarn. Alle Straßen und Brücken in die Umgebung sind zerstört. Sie sahen eine Autobahnbrücke in die Luft fliegen, und einen Tag später die Treibstofflager in der 20 Kilometer nördlich gelegenen Stadt Sidon. "Ich halt das nicht mehr aus", schrieb Yara ihrer Freundin, "ich will hier weg!"

Benzin reicht für zwei, drei Tage

Zwei, drei Tage würde das Benzin für das Notstromaggregat reichen, hat Mohammed Hoteit zu Hause in Berlin ausgerechnet. Der Familienvater konnte dieses Jahr nicht mit in den Urlaub fahren, weil er sich um Geschäfte kümmern musste. Nun kommt er weder dazu noch zum Schlafen. So lange die Akkus ihrer deutschen Handys noch etwas hergaben, rief er stündlich an. "Das schlimmste war, dass man weder dort noch von hier aus irgendwas machen kann", sagt Mohammed Hoteit. Alle paar Sekunden fährt er sich nervös mit den Händen durchs Gesicht Die Füße wippen. Auch Sonntags und bei 30 Grad im Schatten trägt er Anzug und Krawatte. Mit seinen dunkeln Augenringen sieht Huteit, 49, viel älter aus, als er ist. Die Haare scheinen jede Minute grauer zu werden.

Der Berliner Libanese ist Architekt, verdient aber sein Geld hauptsächlich mit Auto-Exporten nach Afrika. Für sein Studium kam er 1977 nach Deutschland. "Es war Zufall, ich hatte mich auch für andere Länder beworben." Als sein Diplom fertig war, konnte er wegen dem ersten israelischen Libanonfeldzug nicht zurück, als er promoviert hatte, flammte der Bürgerkrieg gerade wieder auf. "Irgendwas war immer", sagt er.

So kamen seine Kinder alle in Berlin zur Welt. Die Familie lebt in Spandau. Die beiden Großen gehen dort auf das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium. Yara spielt Geige und Klavier, die Jungs beide Fußball bei SC Alemannia 06. Drei Neffen und eine Nichte - alle ebenfalls mit deutschem Pass - sind mit ihnen nach Bablieh geflogen.

Keinen Keller als Schutzraum

Einen Keller gibt es dort nicht, also machten sie sich im Erdgeschoss klein, wenn es am Himmel wieder grollte und donnerte. "Die kennen so eine Angst ja gar nicht", sagt ihr Vater, "das ist etwas völlig anderes als Playstation spielen."

Nader, 13, ein weiterer Neffe, hatte Glück: Die Flüge in den Libanon waren alle ausgebucht. Nur seine Schwester Siba, 24, und Bruder Jossef, 18, haben noch einen Platz bekommen und erzählen nun am Telefon, dass man die Raketen mit bloßem Auge fliegen sieht.

"Selbst wenn sie ständig aufgefordert werden, die Dörfer zu verlassen - sie können ja nicht." Kein Auto fährt. Zu Fuß über die 3000 Meter hohen Berge ist es zu weit und viel zu gefährlich. "Niemand in Bablieh und Umgebung traut sich auch nur einen Schritt aus dem Haus." Die deutsche Botschaft und das Auswärtige Amt hatten in der ersten Woche keine Idee, wie sie die deutsche Staatsbürger aus dem Süden des Landes evakuieren sollten. Also gab es nur eins: Abwarten. In den Häusern bleiben. Nach dem, was Hoteit aus seiner Bekanntschaft hört, müssen es noch immer hunderte, "wenn nicht Tausende" Deutsch-Libanesen sein, die auf irgendeinen Ausweg oder Hilfe aus der Botschaft hoffen.

Anfang der Woche hielt Mohammed Hoteit das hilflose Warten nicht mehr aus und organisierte eine private Rettungsaktion. Ein Cousin von ihm ist Offizier der an den Auseinandersetzungen offiziell unbeteiligten libanesischen Armee. Neun Stunden fuhr er in einem Zivilauto auf Umwegen von Beirut nach Bablieh, lud Familie Huteit ein und schlug sich mit ihnen bis zur syrischen Grenze durch.

Zwei Tage brauchten sie für knapp 100 Kilometer, teilweise zu Fuß, weil die Straßen zerstört waren. "Drei mal wurden sie unterwegs von israelischen Flugzeugen beschossen", sagt Huoteit fassungslos: "Die schießen auf alles, was sich bewegt." Nun wartet seine Familie in Damaskus auf ein Flugzeug, dass sie nach Deutschland bringt. "Es ist ein Wunder, dass sie überlebt haben." Und Hoteit ist sicher: Wenn sie es nicht auf eigene Faust probiert hätten, säßen sie immer noch dort. So wie Naders Geschwister und unzählige andere Verwandte .

"Es sind immer Unschuldige, die leiden"

"Es sind immer Unschuldige, die leiden und mit dem Leben bezahlen", sagt Mohammed Hoteit. Auf Diskussionen über "Ursache und Wirkung" will er sich gar nicht erst einlassen: "Aber wegen zwei Soldaten ein ganzes Land zerstören?!" Nach allem, was er über seine beiden Handys hört, sei es nun so wie so zu spät. "Es ist ja schon wieder kaputt."

Er schließt die Augen, wenn wieder jemand anruft. Von seiner Schwester hat er tagelang gar nichts mehr gehört. Sie muss zwei Stunden vor den ersten Bombenangriffen auf den Beiruter Flughafen gelandet sein. "Bitte halte den Kontakt", schrieb Yara in einer ihrer letzte SMS an die Freundin in Spandau. "Ich habe solche Angst".