Rote Farbe. Eimerweise. Während die Vertreter der 15 Mitgliedsnationen im UN-Sicherheitsrat sich nach elf Monaten Blutvergießen in Syrien bisher nicht darauf einigen konnten, Baschar al Assad geschlossen zum Rücktritt aufzufordern, fanden die Bürger von Hama eine deutlichere Sprache. Im Dunkel der syrischen Nacht kippten sie zähe, rote Tünche auf den Plätzen der Stadt aus. Um ihren Präsidenten zu brandmarken als Schlächter seines Volkes. Und um die Welt daran zu erinnern, was das letzte Mal passierte, als man das Regime der Assads gegen ihr aufständisches Volk gewähren ließ.
Genau 30 Jahre ist es her, seit Baschars Vater Hafiz Anfang Feburar 1982 Artillerie und Luftwaffe gegen die Aufständischen von Hama losschickte. Als die Truppen fertig waren, waren vorsichtigen Schätzungen zufolge 10.000 Bewohner der Stadt tot. Es können aber auch dreimal so viele gewesen sein. Die genaue Zahl der Opfer war nie nachzuvollziehen - auch weil Assad, der Vater, ganze Viertel der Altstadt planieren und darauf ein Luxushotel der staatseigenen Kette Sham Palace bauen ließ, samt üppiger Grünanlage.
Ein eigener Reigen der Gewalt
30 Jahre nach dem ersten Massaker von Hama sind alle klüger. Syriens Bürger wissen, dass sie auf Hilfe der sogenannten Weltgemeinschaft nicht hoffen dürfen. Auch wenn die Zahl der Toten die von damals schon fast erreicht hat. Baschar al Assad wiederum hat verstanden, dass er und seine Getreuen wohl noch eine ganze Weile ungestört weitermachen können mit dem Morden. Solange er ein paar Nuancen beachtet, um die sich internationale Empfindlichkeit seit 1982 verschoben hat. Die wohl wichtigste heißt: "Im Prinzip ist weiter jedes Mittel erlaubt. Nur Kampfflugzeuge gegen Zivilisten einzusetzen, das geht nicht mehr." Es waren Meldungen – Meldungen, die später nicht einmal die US-Armee bestätigen konnte – dass Libyens Diktator die Aufständischen im eigenen Land aus der Luft angreifen ließ, die vergangenen März einer fast schon gescheiterten UN-Resolution gegen Muammar al Gaddafi zum Durchbruch verhalfen. Der Rest ist Geschichte. Und Baschar al Assad hat aufgepasst.
So entspinnt sich in Syrien ein ganz eigener Reigen der Gewalt. Es gibt keine kilometerlangen waffenstarrenden Kolonnen, die auf die Zentren des Widerstands vorrücken wie im vergangenen Frühjahr auf Bengasi. Die Sturmtruppen des Regimes von Damaskus agieren in kleinen Gruppen, oft in Zivil. Sie foltern, verhaften und töten aus dem Hinterhalt. Ein paar Dutzend an normalen Tagen, an schlechten an die Hundert. Derweil dürfen internationale Beobachter das Land bereisen, erteilt das Regime binnen Wochen mehr westlichen Journalisten Visa als sonst in Jahren, bekommen erstmals seit Jahrzehnten neue Parteien in Syrien offizielle Genehmigungen, werden Wahlen durchgeführt und neue geplant.
30 Jahre nach Hama
All das, damit ein paar Diplomanten in New York eine Grundlage haben, tagelang darüber zu debattieren, ob sie die Forderung, der Chef der Schlächter solle zurücktreten "voll unterstützen", "zur Kenntnis nehmen" oder nur "begrüßen" sollen. Nur um sie am Ende ganz zu verwerfen. Und hoffentlich heute einmütig die Hände zu heben, für einen Text, der so verwässert ist, dass er kaum das Papier wert ist, auf dem er steht.
"Ziemlich konstruktiv" findet ein Mitglied der deutschen UN-Delegation das. Und verliert öffentlich kein böses Wort mehr über die obstinaten Assad-Freunde in Moskau und Peking. Was in gewisser Weise schon wieder Sinn macht: Was hätte eine starke Resolution genutzt, wo sie doch ohnehin keiner hätte durchsetzen wollen?
30 Jahre nach Hama. Armes Syrien.
PS: In Hama ist inzwischen die Feuerwehr ausgerückt und hat die rote Farbe vom Asphalt geschrubbt. Neun Demonstranten, die an das Massaker erinnerten, wurden getötet.