VG-Wort Pixel

Untersuchungen des 6. Januar Die Enthüllungen des Kapitol-Berichts: Wie Trump (nicht) auf den Angriff reagierte – und wovor der Ausschuss warnt

Ex-US-Präsident Donald Trump
Ex-US-Präsident Donald Trump
© Chandan Khanna / AFP
Für viele in den USA war der 6. Januar eine Zäsur. Für Donald Trump könnte es der 22. Dezember werden. Knapp zwei Jahre nach dem Sturm aufs Kapitol will ein Sonderausschuss den Ex-Präsidenten vor Gericht bringen – und enthüllt in seinem Bericht brisante Details.

Es ist ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Vereinigten Staaten: Der Untersuchungsausschuss zum Kapitol-Sturm empfiehlt dem Justizministerium, strafrechtliche Schritte gegen Donald Trump einzuleiten – unter anderem weil er selbst den wütenden Mob angeheizt hat. Anderthalb Jahre lang hat das überparteiliche Gremium akribisch Beweise gesammelt, eigenen Angaben zufolge über Tausend Zeugen verhört. Dabei herausgekommen ist eine mehr als 100 seitenlange Zusammenfassung des Abschlussberichts, der an diesem Donnerstag veröffentlicht werden soll. Darin kommt das Komitee zu dem Schluss:

"Die zentrale Ursache des 6. Januar war ein Mann, der ehemalige Präsident Donald Trump, dem viele andere folgten. Keines der Ereignisse vom 6. Januar wäre ohne ihn passiert."

Die vier Anklagepunkte lauten demnach Anstiftung oder Beihilfe zu einem Aufstand, Behinderung eines offiziellen Vorgangs, Verschwörung zum Betrug gegen die USA sowie Verschwörung zu falschen offiziellen Angaben. Obgleich die schwerwiegenden Anschuldigungen rechtlich nicht bindend sind, so erhöhen sie doch den Druck auf die Justiz. 

In seinem Resümee skizziert der Ausschuss nun 17 Erkenntnisse, die Trumps unerbittliches Bestreben, an der Macht zu bleiben, untermauern, seine Mitverschwörer ins Auge nehmen und das Versagen der Strafverfolgung aufdecken. Die wichtigsten Befunde im Überblick.

Die "absichtliche" Verbreitung der Wahllüge

Am 6. Januar 2021 sollte der Kongress den Wahlsieg von US-Präsident Joe Biden bestätigen – unter normalen Umständen ein rein formaler Akt. Wie bekannt ist, kam alles anders. Vielen sehen die Rede, die Donald Trump noch an jenem Mittag vor Tausenden Unterstützern hielt, als Tropfen, der das Fass schließlich zum Überlaufen brachte. Darin wiederholte der Ex-Präsident seine Lüge vom angeblichen Wahlbetrug und forderte seine Anhänger schließlich auf, mit ihm zusammen zum Kapitol zu marschieren, "um das Land zurückzuerobern".

Eine alte Rechtsweisheit besagt: "Unwissenheit schützt vor Strafe nicht". Dennoch kann es vor Gericht einen großen Unterschied machen, ob eine Straftat unwissentlich oder mit voller Absicht begangen wird. Im Fall von Donald Trump stellt das Komitee fest: Der Ex-Präsident war sich vollkommen bewusst, dass die von ihm verbreiteten Vorwürfe der "gestohlenen Wahl" falsch waren und er verstärkte sie dennoch aktiv weiter. "Die Entscheidung von Präsident Trump, am Wahlabend fälschlicherweise den Sieg zu erklären und rechtswidrig zu fordern, dass die Stimmenauszählung eingestellt wird, war keine spontane Entscheidung. Es war vorsätzlich", heißt es in der Zusammenfassung des Abschlussberichts.

Als Beweise führt das Gremium unter anderem E-Mails von Tom Fitton, dem Präsidenten der konservativen Gruppe "Judicial Watch", aus der Zeit vor den Präsidentschaftswahlen 2020 an, in denen es heißt, Trump solle unabhängig vom Ergebnis den Sieg erklären. Zudem hätten mehrere Verbündete des Ex-Präsidenten vor dem Ausschuss einräumen müssen, dass es zu keinem Zeitpunkt Beweise gab, um dessen Behauptungen zu untermauern.

Fakt ist auch, die "big lie" hat sich für Trump ausgezahlt. Das Komitee gibt an, Beweise gesammelt zu haben, die darauf hindeuten, dass der Republikaner "zwischen der Wahl und dem 6. Januar rund eine Viertelmilliarde Dollar an Spenden gesammelt hat". Diese bezogen sich einzig und allein auf "einen Wahlbetrug, den es nicht gab". Und selbst wenn es wahr wäre, dass Trump wirklich geglaubt hatte, dass die Wahl gestohlen wurde, sei dies "keine Verteidigung", heißt es in dem Resümee weiter. "Kein Präsident kann die Gerichte ignorieren und absichtlich gegen das Gesetz verstoßen, egal welche vermeintliche 'Rechtfertigung' er oder sie vorbringt."

Wie Donald Trump (nicht) auf den Kapitol-Sturm reagierte

In den Stunden und Tagen nach der Attacke spielten Trumps Anwälte seine Worte herunter und behaupteten, dass er nie wirklich vorgehabt hatte, selbst zum Kapitol zu gehen. Das Untersuchungskomitee ist da anderer Meinung. "Die Hauptsorge des Ausschusses war, dass der Präsident tatsächlich beabsichtigt hatte, sich am 6. Januar persönlich an den Bestrebungen am Kapitol zu beteiligen und den Versuch zu leiten, die Wahl entweder innerhalb der Kammer des Repräsentantenhauses, von einer Bühne außerhalb des Kapitols oder auf andere Weise zu kippen", heißt es in dem Ausschuss-Resümee. "Nach allen zusammengetragenen Beweisen steht außer Frage, dass Präsident Trump diese Absicht hatte."

Dazu schreibt das Gremium, es habe aus "mehreren Quellen Beweise für eine 'wütende Interaktion' im SUV" erhalten und zitiert mehrere Mitglieder des Secret Service, ein Mitglied der Washingtoner Polizei sowie Sicherheitsbeamte im Weißen Haus, die Trumps Verhalten als "wütend", "aufdringlich" und "erhitzt" darstellen. Am bezeichnendsten ist wohl die Aussage des Fahrers der Autokolonne, der die Reaktion des Ex-Präsident wie folgt beschreibt: "Was am meisten auffällt, ist, dass er [Donald Trump] immer wieder gefragt hat, warum wir nicht fahren können (...)."

Der Ausschuss skizziert zudem, was Trump unternahm, nachdem er von dem Angriff auf das Kongressgebäude gehört hatte – oder genauer gesagt, was er unterließ. Demnach fragte er einen Mitarbeiter im Weißen Haus, ob sie seine Rede im Fernsehen gesehen hätten. Dieser antwortete daraufhin: "Sir, es wurde unterbrochen, weil sie unten im Kapitol randalieren." Als Trump wissen wollte, was damit gemeint sei, wiederholte der Angestellte seine Aussage. "Ach wirklich?", fragte der Präsident. "In Ordnung, lass uns das ansehen."

Drei Stunden lang – 187 Minuten um genau zu sein – verfolgte Trump das Spektakel auf dem Capitol Hill im TV, statt Sicherheitsleute um Hilfe zu rufen und ignorierte die Bitten seiner Mitarbeiter, die von ihm aufgestachelten Unterstützer zum Rückzug zu bewegen. "Präsident Trump hat tagsüber keinen einzigen hochrangigen Beamten der nationalen Sicherheit kontaktiert. Weder im Pentagon noch im Department of Homeland Security, im Justizministerium, im F.B.I., im Capitol Police Department oder im Büro des Bürgermeisters von D.C.", stellt das Komitee fest. "Wie Vizepräsident Pence bestätigte, hat Präsident Trump nicht einmal versucht, seinen eigenen Vizepräsidenten zu erreichen, um sicherzustellen, dass Pence in Sicherheit ist." Als er sich schließlich mit einem Video zu Wort meldete, erklärte er, die Angreifer seien besondere Leute, die er "lieben" würde.

Konsequenzen für Mitverschwörer und mehrere Republikaner

Doch dem Sonderausschuss geht es nicht alleine um Donald Trump. In dem Bericht heißt es, das Komitee habe auch genügend Beweise gesammelt, um dessen Anwalt John Eastman wegen Behinderung eines offiziellen Vorgangs anzuklagen. Zudem nennt das Komitee mehrere andere Mitverschwörer, darunter Trumps früherer Anwalt Jeffrey Clark, sein Ex-Stabschef Mark Meadows sowie die Anwälte Kenneth Chesebro und Rudy Giuliani. Sie alle sollen ihre Positionen missbraucht und teils unethisch gehandelt haben. Gegen Clark ermittelt bereits das Justizministerium.

In der Zusammenfassung seines Abschlussberichts hebt das Komitee auch die Reaktionen einiger Republikaner hervor, die den Sturm aufs Kapitol seither heruntergespielt oder den Ex-Präsidenten verteidigt haben. So berichtet Trumps Schwiegersohn Jared Kushner dem Komitee von einem "verängstigten" Kevin McCarthy, Fraktionsvorsitzender der GOP, als dieser Mitglieder von Trumps Familie in den Stunden der Attacke um Hilfe bat.

Da McCarthy sich selbst weigerte, an der Untersuchung mitzuarbeiten, verweist der Sonderausschuss ihn und andere nun an die Ethikkommission des Repräsentantenhauses. Auch die republikanischen Abgeordneten Jim Jordan aus Ohio, Scott Perry aus Pennsylvania und Andy Biggs aus Arizona könnten künftig mit Sanktionen konfrontiert werden, weil sie sich weigerten, den Vorladungen des Ausschusses Folge zu leisten.

Sonderausschuss spricht Warnung aus

Knapp zwei Jahre sind seit dem Sturm aufs Kapitol vergangen, die Bilder der Zäsur haben sich in das nationale Gedächtnis eingebrannt. Auf die unmittelbaren Rücktritte aus Politik und Sicherheitsapparat folgten mehr als 850 Festnahmen, Dutzende sitzen bereits ihre Gefängnisstrafe ab. Doch der Sonderausschuss plädiert dafür, dass die Strafverfolgung des Justizministeriums über die Randalierer hinausgehen sollte, die das Kapitol physisch angegriffen haben.

Trump "glaubte damals und glaubt immer noch, dass er über dem Gesetz steht und nicht an unsere Verfassung und ihre ausdrückliche Kontrolle über der Autorität des Präsidenten gebunden ist", heißt es in dem Bericht. Wenn der Ex-Präsident und die Mitarbeiter, die ihn unterstützt hätten, nicht nach dem Gesetz zur Rechenschaft gezogen würden, könne ihr Verhalten zu einem Präzedenzfall und einer "Einladung zur Gefahr für zukünftige Wahlen" werden, warnt das Komitee weiter. "Ein Versäumnis, sie jetzt zur Rechenschaft zu ziehen, kann letztendlich zu zukünftigen rechtswidrigen Bemühungen führen, unsere Wahlen zu kippen und dadurch die Sicherheit und Lebensfähigkeit unserer Republik gefährden."

Noch ist völlig unklar, wann das Justizministerium eine Entscheidung über eine mögliche strafrechtliche Verfolgung trifft. Fest steht: Anklage gegen den Ex-Präsidenten wird es nur geben, wenn es sich seiner Sache sicher ist – und selbst dann dürfte ein langer Rechtsstreit folgen. Am Montag kritisierte Trump die Arbeit des Sonderausschusses erneut als Versuch, ihn von seiner Kandidatur für 2024 abzuhalten, und verkündete, dass ihn die Ergebnisse nur "stärker" machen würden.

Es bleibt abzuwarten, ob die Veröffentlichung des Berichts am 22. Dezember auch für ihn zur Zäsur wird.

Hinweis: Die Veröffentlichung des Berichts wurde vom 21. Dezember auf den 22. Dezember verschoben. Die entsprechenden Daten wurden im Artikel angepasst.

Quellen: "Abschlussbericht-Zusammenfassung", "NY Times", "CNN", mit DPA- und AFP-Material

Mehr zum Thema

Newsticker