EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung Wider die Datengier

  • von Andrea Rungg
Der Europäische Gerichtshof hat die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gekippt. Für unbescholtene Bürger ist das eine gute Nachricht, die auch datengierige Politiker allmählich verstehen sollten.

Bravo, es gibt sie also noch. Jene, die sich an entscheidender Stelle noch an unsere Grundrechte erinnern. Gut, es sind Gerichte, die das tun. Es ist ihre Aufgabe. Aber selbstverständlich ist anscheinend fast gar nichts mehr, wenn es um Grundrechte wie den Schutz unseres Privatlebens und den Schutz personenbezogener Daten geht.

Der Reihe nach: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat ein wegweisendes Urteil gefällt. Die Richter in Luxemburg kassierten die Richtlinie zur Vorratsspeicherung. Um es auf den Punkt zu bringen: Diejenigen, die sie ausgearbeitet haben, waren maßlos. "Sie beinhaltet einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, der sich nicht auf das Notwendige beschränkt." Rums, das sitzt! Es ist eine wohltuende Schelte jener, die Behörden eine allzu großzügige Einsicht in unser Privatleben gönnen wollen. Man muss es glatt noch mal wiederholen: "Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere".

Kein Maß im Angesicht des Terrors

Als die Richtlinie erlassen wurde, waren die Eindrücke der Terror-Anschläge von Madrid (2004) und London (2005) noch frisch. Sie war umstritten und doch passierte sie relativ schnell die Europäische Kommission, das EU-Parlament und den Ministerrat.

Unter dem Eindruck des Terrors haben Sicherheits- und Innenpolitiker inzwischen jedes Maß aus den Augen verloren. Bürger stehen grundsätzlich unter Generalverdacht. Es ist so, als ob alle als mutmaßliche Straftäter geboren werden und eigentlich keine Chance auf Resozialisierung haben. Wer gegen diese Überwachung ist, der gefährdet die Sicherheit oder ist gegen Aufklärung schwerer Straftaten. Das sind die Totschlagargumente derer, die den Übergriff ins Private rechtfertigen. Sie nehmen sich dann noch heraus offen zu lassen, was "schwere Straftaten" sind. Das kann quasi jeder selbst definieren. Schreckliche neue Welt!

Die Kommunikationsmöglichkeiten des 21. Jahrhunderts sind vielfältig und führen zu einem immens aufgeblähten Datenbestand. Das weckt natürlich Begehrlichkeiten. Aber nur weil es möglich ist, alle Kommunikationsdaten abzufischen und zu speichern, muss es noch lange nicht rechtlich erlaubt sein. Und nur weil mancher Politiker es aus einem übertriebenen Sicherheitsverständnis heraus wünscht und Strafermittler es gar fordern, muss es noch lange nicht gut und rechtens sein - oder gar das Recht gebeugt werden. Es ist schade, dass das an entscheidender Stelle nur noch vom Bundesverfassungsgericht oder – wie jetzt – vom Europäischen Gerichtshof so gesehen wird. Beide sind nicht grundsätzlich gegen die Vorratsspeicherung, setzen aber einen engen Rahmen.

Staaten die Unschuld vom Lande?

Dass Innenminister Thomas de Maizière sodann nach einer neuen Regelung verlangt, das verwundert kaum. Seine Aussage im aktuellen "Spiegel" im Zusammenhang der massenhaften Ausspähung durch Geheimdienste lässt allerdings nichts Gutes erahnen: "Eine maßlose Sammlung von Informationen aus einem wenn auch übertriebenen Sicherheitsbedürfnis eines Landes finde ich weniger schlimm als die Totalerfassung von Bewegungsprofilen, Gefühlen und Denken von Menschen aus geschäftlichen Interessen." Google, Facebook, Telekombetreiber und Co. sind also die Bösen, Staaten hingegen die Unschuld vom Lande. Dabei kann es Missbrauch überall geben. Es hätte ein Aufschrei durchs Land gehen müssen. Beides ist gleich schlimm und schnellstmöglich müssen dem Grenzen gesetzt werden.

Das traurige ist nur: Die Politik wird kaum jene Konzerne beschränken, die massenweise Daten sammeln und speichern, wenn sie gleichsam all diese Daten zur Verbrechensbekämpfung (oder Überwachung) begehrt. Schließlich würde sich da die Katze glatt in den Schwanz beißen.

Gut, dass es noch den Europäischen Gerichtshof und das Verfassungsgericht gibt. Es sind scheinbar die einzigen Garanten, die uns "mutmaßliche Verbrecher" noch resozialisieren.