FRANKREICH Chirac scheint seiner Wiederwahl ganz nah

Rund 40 Millionen Franzosen müssen sonntags in einer Stichwahl zwischen dem konservativen Amtsinhaber Chirac und dem Rechtsradikalen Le Pen den neuen Präsidenten wählen.

Umfrageinstitute sagen Chirac einen klaren Wahlsieg voraus, zumal die politische Linke nach der überraschenden Niederlage des sozialistischen Ministerpräsidenten Lionel Jospin sich für eine Wahl Chiracs als das kleinere Übel ausgesprochen hat. Chirac sagte am Donnerstag zum Wahlkampfabschluss vor etwa 10.000 Anhängern im Pariser Vorort Villepinte, die Franzosen stünden vor einer historischen Wahl, die Demokratie zu verteidigen. Chiracs Überraschungsgegner Le Pen, der im ersten Wahlgang den favorisierten Sozialisten Jospin zum Verlierer stempeln konnte, sagte in Marseille: »Wir dürfen uns selbst nicht aufgeben, falls wir geschlagen werden.«

Chirac in Umfragen vorne

Nach den noch am Freitag vom Meinungsforschungsinstitut Ipsos veröffentlichten Umfragen kann Chirac mit 75 bis 82 Prozent der Stimmen rechnen. Le Pen werden jetzt Stimmanteile von 18 bis 25 Prozent vorausgesagt. Umfragen hatten allerdings auch in der ersten Runde der Präsidentenwahl immer Chirac und Jospin vorn gesehen und Le Pen nur einen Verliererplatz eingeräumt. Le Pen selbst zitierte anonyme Umfragen, die ihm einen Stimmenanteil von 40 Prozent zubilligten.

Nichtwähler beeinflussten Ergebnis

Die faustdicke Überraschung in der ersten Runde resultierte wohl zum einen aus einem als langweilig empfundenen Wahlkampf. Zum anderen dürfte der hohe Anteil der Nichtwähler von rund 28 Prozent und die Zahl von 16 Kandidaten eine Rolle bei dem Ergebnis gespielt haben, das im linken Lager für Entsetzen sorgte. Jospin kündigte an, er werde sich aus der Politik zurückziehen. Nahezu täglich kam es zu Protesten gegen Le Pen. Allein in Paris demonstrierten am Mai-Feiertag nach Polizeiangaben rund 400.000 Menschen gegen Le Pen und dessen Nationale Front.

Le Pen will »eine Lektion erteilen«

Le Pen zeigte sich von den Protesten unbeeindruckt. Er forderte im Sportpalast von Marseille, der mit etwa 4000 Menschen nur halb gefüllt war, seine Anhänger auf, Chirac eine Lektion zu erteilen. »Der Sieg ist möglich«, fügte der ehemalige Fallschirmspringer hinzu. Aber auch bei einer Niederlage dürfe man nicht aufgeben, sagte er unter Hinweis auf die im Juni anstehenden Parlamentswahlen. Als Präsident will er nach seinen Aussagen unter anderem die Zuwanderung stoppen, aus der Europäischen Union austreten und hart gegen Kriminalität durchgreifen.

Mobilisierung des linken Lagers

Chirac warnte bei seinem letzten großen Wahlkampfauftritt vor der extremen Rechten, die weder Erklärungen noch Lösungen habe und mit ihren Ideen die Wirtschaft zerstören würde. Er nannte zwar weder den Namen Le Pen noch dessen Partei beim Namen, sagte jedoch mit Blick auf die Besetzung Frankreichs durch Nazi-Deutschland: »In unserer dunkelsten Stunde, waren es die Anführer der extremen Rechten, die das französische Volk betrogen haben, indem sie mit den Kräften des Bösen und den Feinden unserer Nation verbündeten.«

Nächste Wahl im Juni

Bei der Präsidentenwahl im Jahr 1995 hatte sich Chirac im zweiten Wahlgang mit 52,6 Prozent der Stimmen gegen Jospin (47,36 Prozent) durchgesetzt. Die Amtszeit des Präsidenten wurde vor zwei Jahren per Volksabstimmung von sieben auf fünf Jahre verkürzt. Schon im Juni folgen die Wahlen zur Nationalversammlung, dem Abgeordnetenhaus. Bei der Wahl 1997 hatten die Sozialisten 253 der 577 Sitze gewonnen. Jospin bildete eine Regierung mit den Grünen und den Kommunisten.

Mehr zum Thema