Es waren Wochen, in denen sogar etliche Schüler wussten, was ihre Lehrer wählen würden - so hoch waren die Wellen geschlagen während des Präsidentschaftswahlkampfs in Frankreich. Und wo das Herz voll war mit Begeisterung für die sozialistische Kandidatin, war auch mal der Mund übergegangen. An Montagmorgen, während die Schüler eintrudeln, haben sie keine Zeit, ein langes Gesicht zu ziehen, die Lehrerinnen der école maternelle. Keine Zeit über das Wahlergebnis zu reden, oder keine Lust: "Que voulez-vous", sagt die eine achselzuckend: "Nächstes Mal vielleicht".
Die Mutter, die im letzten Moment atemlos mit ihrer Tochter ankommt, das Baby im Tragetuch, verzieht nur das Gesicht: "Hoch lebe das Frankreich, das früh aufsteht", sagt sie. "La France qui se lève tôt" will Nicolas Sarkozy nämlich erklärtermaßen stärken und unterstützen, aber es sieht nicht so aus, als wolle sich die gestresste Mutter zu diesem Teil der Franzosen rechnen.
Neidische sozialistische Parteigrößen
Das Wahlergebnis war seit Tagen absehbar - die Umfragen hatten eine deutliche Sprache gesprochen. Die "Couturière de Montmartre", die Schneiderin, die ihr ganzes Leben im traditionell linken 18. Bezirk von Paris verbracht hat, bricht noch eine letzte Lanze für die Kandidatin: "Wie hätte sie es denn schaffen sollen, mit all den neidischen sozialistischen Parteigrößen, die ihr dauernd in den Rücken gefallen sind?"
Frust bei den linken Wählern - da hat Ségolènes Auftritt als strahlende Verliererin, die in eine bessere Zukunft blickt, wenig ausgerichtet. Es gibt auch diejenigen, die sich ernsthafte Sorgen machen - zu allererst die in Frankreich lebenden Ausländer. "Mein Sohn hat gestern geweint, als wir ihm gesagt haben, dass Sarkozy gewonnen hat", erzählt eine Freundin. Er hat gefragt: "Muss Papa jetzt gehen?". Antwort in zwei Monaten, wenn der Peruaner die Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung beantragen wird. Eigentlich weiß sie, dass ihr Mann, der in einem festen Arbeitsverhältnis steht, nichts zu befürchten hat, aber: "Mit Sarko weiß man nie", meint sie.
"Die will noch mehr Staat"
Aber es gibt auch diejenigen, die erleichtert darüber sind, dass Ségolène Royal nicht das Präsidentenamt übernehmen wird: "Die hatte mir zu konfuse politische Ideen", sagt einer, der Sarkozy gewählt hat, obwohl alle seine Freunde Royal wählten. "Was Sarkozy sagt, verstehe ich wenigstens". Der Mann ist Ingenieur und belesen, aber ihm hat die sozialistische Kandidatin zu große Versprechungen gemacht. "Die will noch mehr Staat", sagt er, "das würde uns gerade noch fehlen". Immerhin hat er überhaupt gewählt: Das erste Mal seit zehn Jahren wieder. Die politischen Debatten haben ihn, wie so viele seiner Landsleute, mitgerissen.
Seine Frau hat Ségolène gewählt. Aber jetzt ist das Ehepaar trotzdem wieder einer Meinung, nämlich was den Ausgang der Parlamentswahlen Anfang Juni angeht. Die Royal-Anhängerin kann sich einen Sieg der Sozialisten bei der Parlamentswahl nicht von Herzen wünschen: "Dann passiert in diesem Land weiter gar nichts", sagt sie. Dann würden sich konservativer Staatspräsident und linke Regierung gegenseitig lahmlegen, wie das in Frankreich schon oft der Fall war. Sie wünscht sich, dass die Leute mal sehen, was Politik so alles bewirken kann - egal in welche Richtung.