Nach dem Nein der Iren zum Reform-Vertrag will Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy Europa eine Schutzfunktion geben und es bürgernäher machen. "Die Europäer befürworten Europa, aber sie verlangen jetzt Schutz gegen die Risiken der Globalisierung - und da hakt es", sagte Sarkozy, der für die kommenden sechs Monate an der Spitze der Europäischen Union steht. Um Mitternacht übernahm Frankreich turnusgemäß die Ratspräsidentschaft von Slowenien - mitten in der Reform-Krise der EU.
Die wurde jüngst erschwert durch eine Meldung aus Osteuropa: Der polnische Präsident Lech Kaczynski lehnte die Unterzeichnung des bereits vom Parlament ratifizierten EU-Reformvertrags ab. Nach dem Nein der Iren zu dem Vertragswerk sei dies gegenstandslos geworden, sagte Kaczynski der Zeitung "Dziennik". "Die EU funktionierte, funktioniert und wird auch weiter funktionieren", sagte Kaczynski. Die Schwierigkeiten des Reformvertrags bedeuteten somit nicht das Ende der Gemeinschaft von 27 Staaten.
Irland war das einzige Land, in dem der neue Grundlagenvertrag der Europäischen Union den Bürgern zur Abstimmung vorgelegt wurde. Nach dem negativen Votum hat die EU ihre Entscheidung über das weitere Vorgehen bis Oktober vertagt. Die anderen Mitgliedsstaaten wurden gebeten, mit der Ratifizierung des Vertrags von Lissabon fortzufahren. Am Montag hatte aber auch Bundespräsident Horst Köhler die Ratifizierung des EU-Reformvertrages gestoppt. Das Staatsoberhaupt folgte damit einer Bitte des Bundesverfassungsgerichts. Die Karlsruher Richter prüfen zur Zeit mehrere Klagen gegen den Reformvertrag.
Für einen neuen EU-Klimapakt
Zu den Schwerpunkten des französischen Ratsvorsitzes zählt ein Einwanderungspakt, der Massenlegalisierungen von Einwanderern wie in Spanien ausschließt. Sarkozy will zudem die EU-Verteidigungspolitik voranbringen und den EU-Klimapakt unter Dach und Fach bringen: So sollte der Treibhausgas-Ausstoß der EU bis 2020 um 30 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt werden, der Energieverbrauch um 20 Prozent gesenkt und der Anteil erneuerbarer Energien in Europa auf 20 Prozent gesteigert werden.
Bis Ende des Jahres steht auch die Überprüfung der milliardenschweren Agrarsubventionen an. Zudem will Sarkozy konkrete Antworten auf EU-Ebene auf die hohen Energie- und Nahrungsmittelpreise durchsetzen, beispielsweise mit Steuererleichterungen. So fordert er eine Absenkung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie auf 5,5 Prozent - anstelle der bisher üblichen 19,6 Prozent (in Frankreich).
Neben Preisstabilität auch Wachstum als EZB-Ziel
Auch kritisiert der französische Präsident die Zielsetzung der Europäischen Zentralbank (EZB): Nicht nur auf eine Eindämmung der Inflation sollte sich diese beschränken, sondern auch das europäische Wachstum fördern, meint Sarkozy. Eine Zinserhöhung mache deshalb keinen Sinn. Erwartet wird eine solche für die EZB-Sitzung von kommendem Donnerstag.
In Sachen europäische Sozialpolitik sagte Sarkozy zwar, diese gehöre nicht zu den Prioritäten der französischen Ratspräsidentschaft. Jedoch wolle er "die Richtlinien, die die EU-Kommission vorschlägt, durchsetzen". Damit bezog sich der Präsident speziell auf die Regelungen zur Leiharbeit und europäischen Betriebsräten.
Zum Auftakt trifft Sarkozy im Élyséepalast mit EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso zusammen. Als Ratspräsident leitet Frankreich die Amtsgeschäfte der Gemeinschaft und ist für die Ausrichtung der Gipfel der 27 Staats- und Regierungschefs sowie für die Ministerratstreffen verantwortlich. Vorläufiger Höhepunkt der französischen Ratspräsidentschaft wird der Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs mit den politischen Spitzen der Mittelmeeranrainer am 13. Juli in Paris sein.
Ratifizierung des Reformvertrags sei nötig
Nach dem Nein der Iren zum Vertrag von Lissabon will die EU bis Ende des Jahres über ihr weiteres Vorgehen entscheiden. Ebenso wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will Sarkozy neue Erweiterungsrunden der EU mit einem Veto blockieren, sollte der Lissabonner Vertrag nicht doch noch in Kraft treten. "Es kommt nicht infrage, die EU ohne neue institutionelle Grundlage zu erweitern", sagte Sarkozy im französischen Fernsehen. Davon wäre in erster Linie Kroatien betroffen, das einen Beitritt 2010 anpeilt. Unter anderem Polen und Tschechien sträuben sich dagegen, die Erweiterung der EU auszusetzen. Dennoch setzte sich Sarkozy für eine Ratifizierung des Vertrags ein - nur so könne Kroatien aufgenommen werden, und das "wünsche" der französische Präsident schließlich.
Als neue Rechtsgrundlage der EU sollte der Lissabon-Vertrag von Januar 2009 an Entscheidungen der 27 Mitgliedstaaten beschleunigen, die EU-Kommission verschlanken und dem Europaparlament mehr Mitspracherechte geben. Die Iren lehnten ihn in einem Referendum am 12. Juni mit 53,4 Prozent der Stimmen ab. Das Vertragswerk kann erst in Kraft treten, wenn es alle Mitgliedstaaten angenommen haben. Bislang haben es die Parlamente von 20 Ländern gebilligt, darunter der Bundestag. Nur die irische Verfassung schrieb eine Volksabstimmung vor.