Georgien-Konflikt "Russland will Georgien dominieren"

Salomé Zourabichwili war bis Oktober 2005 georgische Außenministerin. Im stern.de-Interview spricht die in Paris lebende Oppositionsführerin über den Konflikt zwischen Georgien und Russland - und darüber, welche Linie Russland gegenüber international eingeschlagen werden sollte.

Sie waren gestern in Brüssel, wo die EU-Außenminister in einer Sondersitzung über den Konflikt zwischen Georgien und Russland debattierten. Was haben Sie dort erfahren?

Ich habe zwar nicht direkt an der Sitzung teilnehmen können, aber ich habe bei informellen Treffen, unter anderem mit Xavier Solana, erfahren, dass die EU mit großer Wahrscheinlichkeit eine Beobachtergruppe nach Georgien entsenden wird. Dies kann allerdings noch etwas dauern. Zuerst müssen die Vereinten Nationen die Resolution zum Sechs-Punkte-Plan verabschieden.

Zur Person

Salomé Zourabichwili wurde am 18. März in Paris geboren. Sie entstammt einer angesehenen georgischen Familie, die in den 20er Jahren nach Frankreich auswanderte. Sie studierte am renommierten Institut d'études politiques de Paris und besetzte anschließend hohe Ämter in der französischen Regierung. Am 18. März 2004 wählt der georgische Präsident Michail Saakaschwili sie persönlich für den Posten des Außenministers aus. Sie versucht gegen die Korruption zu kämpfen. Am 20. Oktober 2005 wird sie ihres Amtes enthoben, nachdem sie von Parlamentsmitgliedern kritisiert worden war. Sie lebt hauptsächlich in Paris und leitet die 2006 gegründete georgische Oppositionspartei "Sakartvelos gza" (Georgiens Weg).

Wird die EU Georgien militärische Unterstützung anbieten ?

Nein. Jetzt, da die militärischen Operationen eingestellt worden sind, stellt sich die Frage nicht mehr. Die EU hätte ohnehin nicht die dafür notwendigen Mittel gehabt und die Amerikaner haben sehr schnell klargemacht, dass sie Georgien keine militärische Hilfe zukommen lassen. Das war von Anfang an klar, dass sie sich nicht von Georgien in einen Krieg mit Russland ziehen lassen. Vor drei Wochen hat Condoleezza Rice den Präsident Saakaschwili bereits gewarnt, sich nicht von den Separatisten zu einer Militäroperation verleiten zu lassen. Wir wussten also, dass Amerika nicht wegen Georgien gegen Russland in den Krieg ziehen würde. Es ist nur traurig, dass wir erst die Erfahrung machen mussten, um die Bestätigung dafür zu bekommen.

Warum hat Saakaschwili Ossetien trotzdem angegriffen. Ist er in eine Falle der Russen getappt?

Auf diese Frage will ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht antworten. Ich kann nur sagen, dass die Georgier das alles nach und nach analysieren müssen, um heraus zu finden, wer wofür verantwortlich ist. Im Augenblick gibt es eine Menge offener Fragen.

Haben die USA mit dem Angriff Russlands gerechnet?

Ich denke, die Dimension, die der Konflikt angenommen hat, kam für alle überraschend. Die USA wussten zwar, dass das Risiko besteht, dass Georgien gegen die Separatisten militärisch vorgeht, aber, dass Russland in diesem Maße eingreift und bis in georgisches Kerngebiet vordringt, hat sicher niemand erwartet. Und Russland wusste eben, dass Georgien keine militärische Unterstützung von außen erhalten wird.

Welche Ziele verfolgt Russland in Georgien genau?

Russland will Georgien zwar nicht militärisch unter seine Kontrolle bringen, aber das Land dominieren und der Welt seine Macht demonstrieren. Die russische Regierung will vor allem den USA zeigen, dass sie mit ihr rechnen müssen, insbesondere im Kaukasus, wo ihr Einfluss ihrer Ansicht nach legitim ist. Russland will der Nato ihre Grenzen aufzeigen und die Legitimität seines Herrscherduos Medvedev-Putin international etablieren. Diese Machtdemonstration dürfte innerhalb Russlands großen Gefallen finden.

Fühlen sich die Georgier von der EU und Amerika im Stich gelassen?

Nein. Aber es ist wichtig, dass Georgien nicht in einen Euro-Skeptizismus verfällt und resigniert. Man muss zwischen militärischer und politischer Unterstützung unterscheiden. Ersteres schulden uns weder die USA noch die EU und letzteres haben wir immer bekommen. Die EU hat uns besonders in den letzten Tagen auf ganz außerordentliche Weise politisch unterstützt. So ein schnelles und effizientes Handeln hätten wir nicht erwartet. In fünf Tagen hat die EU mit ihrem französischen Ratspräsidenten es geschafft die Kampfhandlungen zu unterbinden. Die Separatisten werden ihre Ziele zwar jetzt erst recht weiter verfolgen, aber Georgien kann sich auf die politische Unterstützung der EU verlassen.

Was kann die EU konkret für Georgien leisten?

Sie muss Russland seine Grenzen aufzeigen und ihm klar machen, dass es nicht das Recht hat Georgiens Souveränität mit Füßen zu treten. Die Herausforderung liegt nicht im Umgang mit den abtrünnigen Provinzen, sondern in erster Linie darin Georgiens Unabhängigkeit gegenüber Russland zu verteidigen. Dafür ist das Engagement der EU essenziell. Sie muss die russische Regierung dazu bringen, ihre militärische Präsenz in Georgien zu reduzieren und sich aus Georgiens inneren Angelegenheiten heraus zu halten und dessen wirtschaftliche Schwäche nicht auszunutzen. Daran hat die EU auch ein Interesse. Denn es geht hier auch um ihre eigene Energieversorgung.

Angela Merkel wird nächste Woche nach Georgien reisen. Welche Erwartungen haben Sie an ihren Besuch?

Angela Merkel gehört zu den wenigen Persönlichkeiten, die einen direkten und deutlichen Ton gegenüber Russland haben und dennoch sehr normale Beziehungen zu dem Land unterhalten. Sie gehört mit Nicolas Sarkozy zu den Regierungschefs, die mit Russland auf Augenhöhe verhandeln können. Das ist das, was Georgien am dringendsten braucht.

Wird Saakaschwili zurücktreten ?

So, wie ich seine psychologische Verfassung einschätze, nein. Zumindest nicht freiwillig. Und gemäß seiner Vorstellung von Demokratie, fühlt er sich den Georgiern gegenüber sicher auch nicht dazu verpflichtet.

Ist Ihre Oppositionspartei auf einen eventuellen Machtwechsel vorbereitet?

Der Moment ist noch nicht gekommen. Aber eine Opposition muss immer bereit sein und das sind wir. Wenn die Tragödie erst einmal analysiert ist und die Verantwortlichen gefunden, dann kann alles plötzlich sehr schnell gehen. Dann muss ein Weg aus der Krise gesucht und eine Führung gefunden werden, die dieses Ziel verwirklichen kann.

Interview: Iris Hartl