Green Deal Konservative blockieren EU-Umweltpläne – doch machen dabei einen gewaltigen Denkfehler

Manfred Weber, Vorsitzender der Europäischen Volkspartei, ist ein großer Kritiker der Umweltvorstöße der EU
Manfred Weber, Vorsitzender der Europäischen Volkspartei, ist ein großer Kritiker der Umweltvorstöße der EU
© Jan-Philipp Strobel / DPA
Am Donnerstag stimmt der EU-Umweltausschuss über ein Gesetz zur Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme ab, das Kernstück des "Green Deal". Vor allem die europäischen Konservativen um CSU-Mann Manfred Weber laufen dagegen Sturm. Damit bedrohen sie genau den Wohlstand, den sie eigentlich bewahren wollen, findet unser Gastautor.

In den letzten Wochen wurde den Grünen mit ihren klimapolitischen Plänen arg zugesetzt, was zum Gutteil auch selbstverschuldet war. Da fragt sich, was die Opposition unternimmt, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Doch statt konstruktiv zu agieren, bläst die Europäische Volkspartei, angeführt vom CSU-Mann Manfred Weber, gerade heftig zum Angriff auf den European Green Deal. Insbesondere kämpft sie gegen die Limitierung des Pestizideinsatzes in der europäischen Landwirtschaft, die Teil der Umsetzung der "Nature Restoration"-Richtlinie ist.

Die in einer unentrinnbaren Subventions­spirale gefangene Bauernschaft jubelt.  Diese Bauernschaft wird von Europas konservativer "Stimme für die Bauern" als Berufsstand wissentlich in eine Sackgasse geführt. Denn mittlerweile sollten allen klar sein, dass nichts unseren Wohlstand mehr gefährdet als Erdsysteme, die aus dem Gleichgewicht geraten.

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© privat

Martin Stuchtey ist Professor für Ressourcenmanagement und -strategie an der Universität Innsbruck. Außerdem ist er Unternehmensgründer, etwa vom Start-up The Landbanking Group sowie Autor, Bauer und Jäger. 1987 war er zudem Stadtverbands-Vorsitzender der Jungen Union.

Der ultimative Wohlstandsverlust

In vielen Teilen der Welt ist deutlich zu beobachten, dass die Natur zur Wohlstands­bremse wird: In Italien, das von der Dürre in die Fluten stürzt. Im insekten­befreiten China, in dem Billiglöhner die verbleibenden Obstbäume bestäuben. In einer Ostsee, in der Stickstoff­eintrag 75 Prozent der Heringsbestände und auch die Fischereiwirtschaft vernichtet hat. Und in einer globalen Landwirtschaft, deren Erträge stagnieren und in der ausgelaugte Böden immer höhere Kosten und Abhängigkeiten in Form von Dünger- und Pestizidgaben erfordern. Ein Modell, das sich selbst abschafft. "Uns verbleiben 50 Ernten!" – diese drastischen Worte wählt nicht irgendwer, sondern die für die Landwirtschaft verantwortliche UN-Organisation FAO.

Was unter solchen Vorzeichen wirklich naturkonservierend wirken würde, wäre ein Programm, die Bauernschaft zum Produ­zen­ten für Ökosystemleistungen, gesunder Nahrungsmittel oder nachhaltiger Rohstoffe zu machen.

Aber auch bei den Ausbauflächen für die Windenergie sind die konservativen Bundesländer im Rückstand. Auf einmal gilt ihnen das Anhörungsrecht der Anwohner über alles, nachdem es beim Autobahn­ausbau, der Atommüllendlagerung oder der Errichtung von "Nicht-Orten" – soll heißen: ausgedehnten Industrie­gebieten und Baumärkten – konsequent als standortfeindlich ab­gekanzelt worden war.

Oder man bezieht sich als Oppositionsmanöver auf den Naturschutz. Ja, es trifft zu, dass in Deutschland circa 120.000 Vögel durch Windrotorenschlag im Jahr sterben. Studien aus den USA legen aber nahe, dass die Zahl der durch Hauskatzen(!) getöteten Vögel um über 1.000 mal höher liegen könnte. Und noch höher ist die Zahl der Vögel, die durch intensive Land­wirtschaft dezimiert werden, so schreibt ein Wissen­schaftlerteam im renommierten PNAS-Magazin der National Academy of Sciences  über die Gründe des dramatischen Niedergangs europäischer Vogelbestände.

Systematische Fortschrittsbehinderung

Doch den Fortschritt zu behindern ist nur ein Teil der Strategie der EVP-Matadoren. Der zweite? Den Umbau der Gesellschaft in Richtung wirtschaftlicher Nachhaltigkeit als Fundamentalangriff auf den Wohl­stand zu deklarie­ren. Die Zeitungen füllen sich mit Schlagzeilen à la: "Wie die Öko-Mafia unseren Wohlstand zerstört". Das Ziel dieser ökonomischen Dolchstoßlegende? Sie soll vom Unwillen ablenken, den eigenen materiellen Wohlstand zu überdenken, damit es uns gelingt, eine lebenswerte Welt für unsere Kinder- und Enkelgeneration zu sichern. Zu diesem Zweck müssen wir freilich bereit sein, entsprechende Investitionen in eine notwendige und auch attraktive Transfor­mation zu tätigen.

Unser aller Ziel sollte es sein, eine ressourcenproduktive, zirkuläre, klimafreundliche Wissensgesellschaft zu schaffen, mit einer Dienstleistungsorientierung, geschlossenen Kreisläufen, grünen Energien, gesunden Nahrungs­mitteln und Märkten, die Anreize bieten, um in Nachhaltigkeit zu investieren. Kurzgesagt: Eine Welt, in der Qualität vor Quantität und Resilienz vor Effizienz geht. Eine Welt, die Abhängigkeiten reduziert und in der neue Technologien intelligent eingesetzt werden. Und eine Welt, in der wir solidarisch gegenüber dem globalen Süden handeln. Unser Verlust an Glaubwürdigkeit und gebrochene Klimaversprechen gegenüber Afrika, Asien und Lateinamerika entwickelt sich zum geopolitischen Bumerang.

Verquere Debatten

Eine solche Volkswirtschaft benötigt die richtigen Debatten. Aktuell sind sie vollkommen verquert: 5 Prozent Blühstreifen können wir uns angeblich nicht leisten, 30% Nahrungsmittelabfälle dagegen schon. Oder auch 50% mehr Flächenbedarf durch eine fleisch-zentrierte Ernährung.

Auch für eine Verlängerung der Verbrennermotoren erheben wir entschlossen das Wort (aus "Stand­ort­gründen"), für die Schaffung von intelligenten Mobilitätssystem, die mit deutlich weniger Fahrzeugen auskommen, aber nicht. Und den Pestizideinsatz verteidigen wir resolut, die Alternative – eine wohl­fahrtstiftende Arbeit von Bodenorganismen, Insekten und Bienen finden wir – nach Abzug der für einen Moment Verantwortungsdenken suggerierenden Kamerateams – dagegen lästig.

Eine solche Volkswirtschaft benötigt als elementare Grundlagen sowohl den Ausbau der digitalen Infrastruktur als auch der grünen Energie. Das sind ausgerechnet die beiden Dinge, die deutsche Konservative auf bundes- und landespolitischer Ebene über lange Jahre der Regierungsverantwortung erfolgreich ver­hindert haben. Die CSU verantwortet seit Jahrzehnten die deutsche Digitalisierung und hat uns damit auf einen der letzten europäischen Tabellenplätze geführt. Ein Schelm, wer denkt, dahinter stecke Methode.

Die finanziellen Mittel wurden statt­dessen konsequent in den Straßenausbau gesteckt, während die politische Aufmerksamkeit in die Lebens­verlängerung des Auslaufmodells Verbrennermotor verlagert wurde. Das Manöver hat indes nicht geklappt: Hatten deutsche Hersteller im Verbrennersegment in China, dem wichtigsten Automobil­markt der Welt, noch einen Marktanteil von über 20%, liegt er im Elektrosegment nur noch unter 1%. Die Summe all dieser Akte der Handlungsunterlassung bzw. bewussten Fehlsteuerung mag schwerer wiegen als alle vermuteten Leichen in Habecks Heizungskeller.

Während die USA in Sachen Klimawende unter dem Stichwort Inflation Reduction Act Vollgas geben, gefällt sich das strukturkonservative Europa im Festhalten am Überkommenen und Deutschland diskutiert lieber Habecks handwerkliche Fehler als die die Tatenlosigkeit der letzten Jahrzehnte. 

Dabei ist es höchste Zeit zu erkennen, dass der eigentliche Angriff auf unseren Wohlstand von den Fortschrittsverweigerern herrührt und ihrer Negierung der neuen klimapolitischen und industriellen Realitäten. Verantwortungsverweigerung ist doch eigentlich kein Kern­begriff konservativen Denkens – ganz im Gegenteil. Die Wahrung der Schöpfungsgeschichte erfordert doch eigentlich den unbedingten Willen zur Fähigkeit, alternative und nachhaltige Zukunftsentwürfe zu beschreiben und mehrheitsfähig zu machen. Der Angriff auf unseren Wohlstand begann mit der Negierung der Wissenschaft und der neuen Realitäten, mit Klienteltreue und der Unfähigkeit, alternative und nachhaltige Zukunftsentwürfe zu beschreiben und mehrheitsfähig zu machen.

Wir müssen die Grundlagen unseres Wohlstand konservieren

Zu konservieren ist nicht der Wohlstand an sich – schon gar nicht der heutige oder der der Besitzstandswahrer. Was es zu konservieren gilt sind die Grundlagen unseres Wohlstands. Gewiss, der Schritt dahin erfordert mehr Mut, Fantasie und Wissenschaftsorientierung als Deutschlands Konservative derzeit aufzubringen imstande sind. In dem Sinn sind sie selbst die letzte Generation.