Nach der scharfen Kritik des Untersuchungsrichters Lord Hutton an der Irak-Berichterstattung der BBC befindet sich der britische Rundfunksender in der schwersten Krise seiner 82-jährigen Geschichte. Die Hutton-Kommission hatte einen Radiobeitrag vom Mai, wonach die Regierung Geheimdienstinformationen zu Irak aufgebauscht haben soll, als unhaltbar kritisiert. "Ich denke, mein Weggang ist sehr wichtig, um die journalistische Unabhängigkeit der BBC zu bewahren", sagte Dyke. Dies sei auch während der gesamten Affäre sein vorrangiges Ziel als Intendant gewesen. Er habe immer im öffentlichen Interesse handeln wollen.
Weitere Rücktritte nicht ausgeschlossen
Weitere Rücktritte - etwa des Reporters Andrew Gilligan - wurden nicht ausgeschlossen. Er hatte mit seinem Bericht über ein angeblich aufgebauschtes Geheimdienstdossier über eine Bedrohung durch im Irak vermutete Massenvernichtungswaffen den Streit mit der Regierung ausgelöst. Im Zuge dessen hatte sich im Juli der Waffenexperte David Kelly das Leben genommen, nachdem sein Name als Quelle der BBC veröffentlicht wurde.
Blair fordert Entschuldigung
"Ich hoffe, dass jetzt ein Schlussstrich unter die ganze Angelegenheit gezogen werden kann", sagte Dyke am Donnerstag. Bereits am Mittwoch war der BBC-Vorstandsvorsitzende Gavyn Davies zurückgetreten. Ein Sprecher von Premierminister Tony Blair bekräftige am Donnerstag, die BBC müsse sich entschuldigen. Sie habe eine falsche und unbegründete Anschuldigung verbreitet. Dyke sagte, nicht er, sondern der Vorstand müsse entscheiden, ob eine solche Entschuldigung ausgesprochen werde.
Bericht entlastete Premier Blair
Lordrichter Hutton hatte dem Sender in seinem Bericht vorgeworfen, wichtige Fakten nicht überprüft und dieses Versäumnis später nicht eingestanden zu haben. Dagegen wurde Blair von jeglicher Verantwortung für den Selbstmord des Waffenexperten David Kelly freigesprochen. Kelly hatte sich im Juli das Leben genommen, nachdem er wenige Tage zuvor war er als Quelle für den BBC-Bericht enttarnt worden. Kellys Name wurde vom Verteidigungsministerium an die Öffentlichkeit gebracht. Der Regierung wurde deshalb vorgeworfen, ihren langjährigen Mitarbeiter enormem Druck ausgesetzt und ihn dadurch in den Selbstmord getrieben zu haben. Die Affäre heizte die Debatte über die Rechtfertigung des Irak-Krieges weiter an und stürzte die Regierung Blair in die schwerste Glaubwürdigkeitskrise ihrer Amtszeit.
Parlament erörtert BBC-Charta
Die staatlich finanzierte BBC, die immer vehement ihre Unabhängigkeit verteidigt hat, ist in der Gefahr, unter die Aufsicht der Regulierungsbehörde Ofcom gestellt zu werden. Die BBC-Charta, die ihr die Arbeitsrichtlinien vorgibt, läuft 2006 aus und eine Verlängerung wird derzeit im Parlament erörtert. "Lord Huttons Schlussfolgerung wird bei der Prüfung der Charta berücksichtigt werden", sagte Medien-Ministerin Tessa Jowell.
Erstaunen und Wut über Hutton-Bericht
Der Umfang des De-Facto-Freispruchs für Blair löste am Tag danach bei vielen politischen Kommentatoren Erstaunen aus. Besonders BBC-Mitarbeiter kochten vor Wut über den Hutton-Bericht, der ihrer Meinung nach zu einseitig den Sender kritisierte und zu nachsichtig mit der Regierung umging. Hutton habe den großen stimmigen Teil des Berichts ignoriert: Dass die Regierung den Kriegsgrund in dem Waffendossier 2002 übertrieben dargestellt hat. "Was uns richtig stinkt, ist, dass ein Journalist drei Wochen an einer Geschichte arbeitet, etwas falsch macht und dann niedergemacht wird", sagte ein Mitarbeiter beim BBC-Programm "Today", wo Gilligans Bericht gesendet wurde. "Die Geheimdienste, die jedes Jahr wohl mit einer Milliarde Pfund finanziert werden, bringen ein Dossier heraus, um einen Krieg zu rechtfertigen und das offen gesagt von einem Acht-Jährigen hätte geschrieben werden können, und es gibt kein kritisches Wort."
Breite Basis hält zur BBC
In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts NOP für die Zeitung "Evening Standard" nannten es 56 Prozent der Befragten unfair, dass der BBC den größten Teil der Schuld erhalten hatte. Die britischen Zeitungen machten den Fall gewohnt einfallsreich zum Thema. Eine Zeitung zeigte auf der Titelseite ein Foto eines grinsenden Blair mit einem Heiligenschein. Die Zeitung "Independent" fragte auf der Titelseite lediglich in roten Buchstaben: "Reingewaschen?" und die liberale Zeitung "The Guardian" schrieb: "Die Regierung mag ja im Falle von Dr. Kellys Tod entlastet worden sein, aber das heißt nicht, dass sie die Wahrheit über Irak sagte."