Milliardenschwere Hilfe der Vereinten Nationen für die Zivilbevölkerung in Irak steht schon zum Einsatz bereit. Aber die Lieferung hängt von der militärischen Lage und vom irakischen Staatschef Saddam Hussein ab, der Hilfe für sein Volk abgelehnt hat. Die Schlüsselrolle sollen die Vereinten Nationen übernehmen, deren Mitarbeiter vor dem Krieg abgezogen werden mussten. Im Auswärtigen Amt hieß es am Montag, die Bundesregierung werde sich "substanziell an den humanitären Maßnahmen" der UN beteiligen.
Entscheidung im Sicherheitsrat
Nach einer Phase der Hilflosigkeit, ausgelöst durch die Offensive der Kriegsallianz am 20. März, kam es am vergangenen Freitag erstmals wieder zu harten Beschlüssen. Auf deutsche Initiative hin verabschiedete der UN-Sicherheitsrat einstimmig die Resolution 1472, wonach das unterbrochene Programm "Öl für Lebensmittel" unter UN-Regie fortgesetzt wird und zwar für zunächst 45 Tage unter direkter Aufsicht von Generalsekretär Kofi Annan.
Über die Resolution debattierten die UN-Diplomaten etwa eine Woche lang. Schließlich hatte UN-Botschafter Gunter Pleuger davon genug und führte eine Entscheidung herbei. Wie Diplomaten berichteten, hatte Außenminister Joschka Fischer zuvor mit einigen Hauptstädten Telefonate geführt. Im Ergebnis erklärten sich 14 der 15 Mitgliedsländer im Sicherheitsrat zu Co-Sponsoren von Pleugers Entwurf, auch die kriegführenden Länder USA und Großbritannien. Nur Syrien hielt sich zurück, stimmte aber am Ende ebenfalls zu. Pleuger sprach danach vom "größten humanitären Hilfsprogramm in der Geschichte der Vereinten Nationen".
Neun Milliarden für die Menschen im Irak
Dies bedeutet, dass etwa 2,3 Milliarden Dollar unmittelbar in humanitäre Hilfe geleitet werden können. Weitere sieben Milliarden Dollar, die vertraglich noch für andere Lieferungen an Irak wie etwa Traktoren und andere Güter gebunden sind, könnten in unmittelbare humanitäre Hilfe umgegossen werden, hieß es. Insgesamt geht es also um mehr als neun Milliarden Dollar, die aus genehmigten Öl-Verkaufen Iraks stammen und auf einem UN-Treuhandkonto geparkt sind. Aber Saddam Hussein lehnte die Wiederaufnahme des UN-Programms ab.
Derzeit gibt es allerdings weder irakische Ölförderungen noch -exporte. Über das Programm waren schon vor dem Krieg 60 Prozent der 22 Millionen Iraker mit Lebensmitteln versorgt worden. Seit seiner Einführung 1995 erreichte das Programm ein Volumen von rund 65 Milliarden Dollar.
Auch aus Deutschland kommt Soforthilfe
Außerdem stellte Annans Stellvertreterin Louise Frechette ein sechs Monate umfassendes Hilfsprogramm für Irak vor. Dieser so genannte Flash Appeal umfasst 2,2 Milliarden Dollar, wobei 1,3 Milliarden Dollar auf Lebensmittel entfallen. Allein an diesem Programm will sich Berlin mit einem zweistelligen Millionenbetrag beteiligen. Auf nationaler Basis hatte Deutschland über das Außen- und das Entwicklungshilfeministerium seinen Einsatz für Soforthilfe bereits auf 90 Millionen Euro erhöht. Die EU stellt weitere 100 Millionen Euro bereit, wovon 25 Prozent wiederum aus deutschen Kassen fließen.
Am Dienstag tagt im Auswärtigen Amt der Koordinierungsausschuss für humanitäre Hilfe, dem Experten aus mehreren Ministerien und Vertreter der wichtigsten deutschen Hilfsorganisationen angehören. Im Mittelpunkt steht die gegenseitige Information und die Aufgabenverteilung.
Lob für Schweizer Initiative
Für Mittwoch hat die Schweiz Vertreter von 30 Ländern und 15 internationalen Organisationen zu einem zweiten Treffen über die humanitäre Notlage in Irak nach Genf eingeladen. Auch Vertreter der USA werden kommen. Die Initiative wurde von den Experten des Auswärtigen Amtes ausdrücklich begrüßt. Deutschland wird von seiner Ständigen UN-Vertretung in Genf repräsentiert.
Mit der Resolution 1472 haben die Vereinten Nationen die Kriegskoalition nach eigener Feststellung nicht aus ihrer Verantwortung für die irakische Zivilbevölkerung entlassen. Dennoch sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder vergangene Woche, mit aller Kraft müsse jetzt an der Linderung der Not gearbeitet werden. Auch der Wiederaufbau, der vorerst noch nicht im Vordergrund steht, soll dem Kanzler zufolge später unter dem Dach der UN stehen.
Fischer erklärte, mit der Resolution werde die "zentrale Rolle unterstrichen, die den Vereinten Nationen und dem Sicherheitsrat" in Irak zukämen. Das könnte die Rückkehr der Vereinten Nationen aus dem politischen Abseits bedeuten, in das die Weltorganisation durch den Krieg geraten war.