Corona-Pandemie Hongkong hatte das Virus lange im Griff – doch nun stürzt Omikron die Stadt ins Chaos

In Hongkong stauen sich die Corona-Patienten vor den Krankenhäusern
In Hongkong müssen Corona-Patienten inzwischen vor den Krankenhäusern warten
© Anthony Kwan / Getty Images
Kaum ein anderes Land hatte das Coronavirus so gut unter Kontrolle wie Hongkong. Doch das ist nun vorbei. Die Omikron-Welle treibt die Infektionszahlen in Rekordhöhe – und verurteilt die Null-Covid-Strategie zum Scheitern.

In Hongkong stauen sich die Corona-Patienten inzwischen nicht mehr nur innerhalb der Krankenhäuser. Der Ansturm auf die Kliniken ist so groß, dass die bettlägerigen Kranken in Reihen vor den Notaufnahmen geparkt werden. Nach Angaben der Behörden warten mehr als 10.000 Infizierte darauf, eingeliefert zu werden. Auch vor den Teststationen bilden sich teils kilometerlange Schlangen. Oft stehen die Menschen hier über Stunden an, um auf ihre Testergebnisse zu warten – die zunehmend positiv ausfallen.

Die chinesische Sonderverwaltungszone wird derzeit von der bisher schlimmsten Coronawelle überrollt. Trotz einer strikten Null-Covid-Politik brechen die Neuinfektionen täglich neue Rekorde, am Donnerstag stieg die Zahl sprunghaft von 4285 am Vortag auf 6116. Nach fünf Monaten ohne einen einzigen Corona-Toten starben in Hongkong letzte Woche mindestens 21 Menschen, darunter ein dreijähriges Mädchen und eine 100 Jahre alte Frau.

Wie ernst die Lage ist, zeigt auch, dass Chinas Staatschef Xi Jinping höchstpersönlich ein Machtwort spricht. Die Stadt müsse "alle möglichen Kräfte und Ressourcen mobilisieren" und "alle notwendigen Schritte ergreifen", um die Hongkonger zu schützen, wurde er von pekingtreuen Zeitungen zitiert. Der Kampf gegen das Virus müsse "übergeordnete Priorität" haben.

Corona in Hongkong: Quarantäne in Hotels und leere Supermärkte

Bis zu dieser Welle hielt Hongkong die Pandemie mit seiner Null-Covid-Strategie weitgehend in Schach. Mit einer Kombination aus strengen Abstandsregeln und einer aggressiver Kontaktverfolgung hatte die Sieben-Millionen-Metropole die vorherigen vier Coronawellen relativ schnell eingedämmt bekommen. Für einen Großteil des vergangenen Jahres meldete die Stadt keinen einzigen lokalen Fall.

Doch die hochansteckende Omikronvariante hat die Spielregeln verändert.

Nachdem in einem riesigen Wohnkomplex im Januar mehr als 100 Menschen positiv getestet wurden, musste erstmals wieder ein ganzer Block abgeriegelt und 37.000 Menschen getestet werden. Seither kommt die Stadt nicht mehr zur Ruhe. Kaum ist ein Corona-Cluster halbwegs eingedämmt, tauchen woanders neue Fälle auf. Inzwischen hat sich das Virus in mehr als 20 Seniorenheimen und Pflegeeinrichtungen ausgebreitet und offenbart eine weitere Schwachstelle in Hongkongs Pandemiebekämpfung: Während die Metropole insgesamt eine hohe Impfquote vorzeigen kann – mehr als 84 Prozent der Menschen über 11 Jahren sind mindestens erstgeimpft – beträgt der Anteil bei den über 70-Jährigen gerade einmal 56 Prozent. Zudem sind viele Hongkonger mit chinesischen Vakzinen geimpft, die nachweislich weniger gut gegen eine Ansteckung wirken als Impfstoffe aus Europa oder den USA.

Neben den Krankenhäusern sind mittlerweile auch die Quarantäneeinrichtungen komplett überlastet, da nach den aktuellen Regeln jeder Infizierte isoliert werden muss. Um mehr Platz zu schaffen, kündigte Regierungschefin Carrie Lam nun an, mindestens 10.000 Hotelräume zu buchen, um dort Patienten mit keinen oder nur geringen Symptomen unterzubringen. Zudem sollen 3000 öffentliche Neubauwohnungen für die Unterbringung von Infizierten genutzt werden. Da auch Lockdowns einzelner Stadtteile nicht mehr ausgeschlossen sind, haben viele Menschen damit begonnen, in großen Mengen Lebensmittel zu horten. Viele Supermarktregale sollen nach Medienberichten schon leer sein.

Omikron-Welle lässt Chinas Einfluss wachsen

Als die Coronazahlen zu steigen begannen, hatte Regierungschefin Lam zunächst eine klare Trennung zwischen der "dynamischen" Null-Covid-Strategie in Hongkong und der des chinesischen Festlandes versprochen. So seien beispielsweise stadtweit obligatorische Tests in Hongkong nicht praktikabel, wehrte sich Lam gegen die Forderungen aus Peking. Inzwischen hat die Regierungschefin jedoch selbst Mühe ihren Ansatz zu rechtfertigen. "'Dynamische Null' – ich gebe zu, dass dies eine politische Anforderung des Festlandes ist", sagte sie Ende Januar bei einer Pressekonferenz und schob die Verantwortung von sich. "(...) ich bin nicht die Initiatorin, also wenn Sie eine verbindliche Definition von 'dynamisch' wollen, tut es mir leid, ich kann es wirklich nicht erklären."

Je weiter die Lage außer Kontrolle gerät, desto mehr wächst die Sorge, dass China die Gunst der Stunde ausnutzt. Mit dem nationalen Sicherheitsgesetz hat Peking seinen Einfluss auf die Sonderverwaltungszone in den letzten Jahren massiv verstärkt. Viele fürchten nun, dass der Stadt bald ähnlich drakonische Maßnahmen wie auf dem Festland drohen.

So hat Hongkong nach Medienberichten bereits um eine Ausweitung der Testkapazitäten, medizinische Ausrüstung und Hilfe beim Bau von temporären Isolations- und Behandlungseinrichtungen gebeten. Zudem soll Peking die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs garantieren. Die zuständigen Behörden der Volksrepublik "müssen die Hongkonger Regierung umfassend unterstützen", sicherte Chinas Präsident Xi Jinping daraufhin persönlich zu.

Lieber Picknicken als ins Restaurant

Die Frage, die viele Hongkonger umtreibt, lautet: Wie viel wird diese Unterstützung Hongkong an Rest-Souveränität kosten? 

Erste Anzeichen lassen nichts Gutes verheißen. Entgegen Lams Aussage werden nun doch Pläne diskutiert, die gesamte Bevölkerung Hongkongs zu testen, wie die "South China Morning Post" berichtet. Demnach könnte in den kommenden Wochen jeder Hongkonger gleich drei Mal auf das Virus getestet werden. "Hongkongs Regierung folgt nur den Anweisungen von Peking, aber sie zögert immer noch (...) das volle Programm durchzuziehen", erläutert Willy Lam, Politologe an der Chinesischen Universität von Hongkong, in der "New York Times". "Sie weiß, dass die meisten Menschen in Hongkong der chinesischen Vorgehensweise nicht vertrauen."

Wie groß das Misstrauen in der Bevölkerung bereits ist, veranschaulicht ein Bericht der Nachrichtenagentur AFP. Aus Angst vor Überwachung durch die Corona-App verzichten demnach immer mehr Menschen auf einen Restaurantbesuch. Anstatt sich dort mit der staatlichen App einzuchecken, holen sich viele ihr Essen lieber To-go und treffen sich im Freien. Eine private Social-Media-Gruppe für Picknicke wuchs seit Dezember von 50 auf mehr als 6000 Mitglieder an.

Doch wie lange die Menschen der App noch aus dem Weg gehen können, ist fraglich. Angesicht der dramatischen Coronalage soll die Nutzung bald selbst beim Einkaufen zur Pflicht werden.

Quellen: "Guardian", "NY Times", "SCMP", "CNN", mit AFP-Material