Zur Wiederwahl lagen noch einige Brocken im Weg: die immer noch viel zu hohe Arbeitslosigkeit, die ausufernden Staatsschulden und die Umfragen: denen zufolge war der Titelverteidiger vielleicht beliebter, aber den Herausforderer wollten trotzdem mehr Menschen wählen. Dann aber begann es zu regnen. Es goss, es schüttete und plötzlich standen Sachsen und Brandenburg unter Wasser. Also zog sich Gerhard Schröder die Gummistiefel an und gewann dann doch noch. 2002 war das her und seitdem sind viele Menschen überzeugt: Ohne das Elb-Hochwasser hätte der damalige Kanzler niemals beweisen können, dass er es kann. Das mit dem Anpacken, Krisen lösen, Kanzler sein.
Jetzt zehn Jahre später ist Barack Obama in fast der gleichen Situation: die wirtschaftlichen Rahmendaten sehen nicht wirklich gut aus, auch er ist beim Volk beliebter, liegt aber in den Umfragen zurück. Doch vielleicht kommt auch ihm eine Naturkatastrophe zur Hilfe: Hurrikan "Sandy" . Der Sturm bedroht Teile der USA und Obama hat, ganz Präsident, seinen Wahlkampf unterbrochen und am Montagmittag Ortszeit die Bevölkerung über das kommende Unglück unterrichtet. Beim TV-Sender CNN heißt es: "Die Schönheit des Amts zeigt sich dann, wenn vor der Ostküste ein Monstersturm lauert, man in der Bundeskatastrophenbehörde Unterschlupf findet und endlich als Präsident bei der Arbeit wahrgenommen wird."
Obama muss Führungsqualitäten beweisen
Anders gesagt: Könnte dem in Bedrängnis geratenen Staatsoberhaupt etwas Besseres passieren als der Jahrhundertsturm "Sandy"? Auf den ersten Blick nicht. Denn es ist sowohl eine einzigartige als auch letzte Chance, seine Führungsqualitäten als "Commander-in-Chief" unter Beweis zu stellen. John McCain, Obamas Kontrahent bei der Wahl vor vier Jahren, sagte jetzt: "Das amerikanische Volk wird den Blick auf den Präsidenten richten." Ob die Aufmerksamkeit auch zu einem Stimmenbonus für den Amtsinhaber führen werde, das wisse er leider nicht.
Sicher ist, dass alles andere außer Ärmel hochzukrempeln Obamas Aus bedeuten würde: Denn noch immer hallt die Mahnung des "Katrina"-Desasters unter Vorgänger George W. Bush durch Washington. Sie lautet: "Kein Präsident oder Kandidat darf auf eine drohende Naturkatastrophe mehr unterreagieren", wie das Onlinemagazin "Politico" schreibt. Im August 2005 starben mehr als 1800 Menschen, als der Hurrikan "Katrina" die US-Golfküste heimsuchte. Die Wucht des Sturms ließ Dämme brechen und New Orleans in den Fluten versinken. Das folgende, miserable Krisenmanagement fiel auf George W. Bush zurück, es gilt als "einer der gröbsten Schnitzer in der modernen Geschichte der US-Präsidenten".
Demokraten bauen auf Frühwähler
So etwas würde Obama schon deshalb nicht passieren, weil er die besseren Berater hat als George W. Bush. Deshalb zeigte er sich jüngst demonstrativ in Macherpose bei der nationalen Katastrophenschutzbehörde FEMA und versicherte dabei, dass die Regierung und die Bundesstaaten auf "Sandy" vorbereitet seien und "groß angelegt und schnell" auf das Unwetter reagieren könnten. Solche Sätze erwartet man natürlich von seinem Staatsoberhaupt, umso mehr muss Obama darauf bauen, dass seine Ankündigungen auch eingehalten werden. Jede noch so kleine Panne beim Katastrophenschutz würde auf den Präsidenten zurückfallen und Mitt Romney helfen.
Der Preis, den Obama dafür zahlen muss, sind abgesagte Wahlkampftermine in den wichtigen Swing States, wo die Wahl entschieden wird. Allen voran in Ohio und Virginia. Herausforderer Romney dagegen kann sein Wahlkampfprogramm mehr oder weniger geplant herunterspulen. Obamas Lager befürchtet vor allem, dass "Sandy" die in einigen Bundesstaaten mögliche, frühzeitige Stimmabgabe beeinträchtigt.
Obama bis zu 35 Prozent vor Romney
Vor vier Jahren hatte Obama beim "early voting" klar vor dem damaligen republikanischen Kandidaten McCain gelegen und traditionell hängen die Demokraten deutlich stärker vom Votum der Frühwähler ab als die Republikaner. Schätzungen zufolge liegt der Amtsinhaber in den noch umkämpften Bundesstaaten in dieser Wählergruppe bis zu 35 Prozent vor seinem Herausforderer. "Wir wollen natürlich ungehinderten Zugang zu den Wahllokalen, denn wir glauben, je mehr Leute teilnehmen, desto besser werden wir abschneiden", sagt Obamas Topberater David Axelrod.