Auch nach dem Irak-Krieg gibt es nach Einschätzung von UN-Chefinspekteur Hans Blix noch viele offene Fragen über den Verbleib von Massenvernichtungswaffen. Insbesondere müsse geklärt werden, welche Mengen an Nervengas und Anthrax tatsächlich einst im Irak produziert und welche Mengen davon tatsächlich vernichtet worden seien, fordert Blix in seinem jüngsten Arbeitsbericht, mit dem sich der Sicherheitsrat am Donnerstag befassen will.
Blix bestätigt in dem in der vergangenen Woche fertig gestellten Bericht erneut, dass die UN-Inspekteure, die unmittelbar vor Beginn des Irak-Krieges am 20. März abgezogen wurden, keine Beweise für eine Fortsetzung der früheren irakischen Waffenprogramme gefunden haben. Die UN-Fachleute hätten auch keine "bedeutenden Mengen" an verbotenen Materialien entdeckt.
Zu wenig Zeit
Der oberste UN-Waffeninspekteur verweist zugleich darauf, dass ihm und seinen Experten nicht genügend Zeit gegeben wurde, um weitere Informationen zu überprüfen, die von der Saddam-Hussein-Regierung noch kurz vor dem Beginn des Krieges übergeben worden waren. So habe man durch den Krieg keine Möglichkeiten mehr gehabt, irakische Wissenschaftler darüber zu befragen, was mit früher bekannt gewordenen Beständen des Milzbranderregers Anthrax tatsächlich geschehen sei.
Die Frage nach der Rechtfertigung des Krieges hängt im Raum
Mit dem Blix-Bericht könnte nach Einschätzung von UN-Diplomaten im Sicherheitsrat nochmals die Frage nach der Rechtfertigung des amerikanisch-britischen Krieges und des militärischen Sturzes Saddam Husseins hochkommen. Washington und London hatten vor dem Krieg immer wieder erklärt, sie hätten Beweise dafür, dass Saddam über Massenvernichtungswaffen verfüge und dass der Krieg nötig sei, um deren Einsatz zu verhindern. Nach dem Sturz des Saddam-Regimes fanden Experten der USA und Großbritanniens derartige Waffen jedoch eben so wenig wie zuvor die UN-Inspekteure.
Bush verweist auf vermutete 'mobile Einheiten'
US-Präsident George W. Bush verwies am Wochenende auf zwei Lastwagen, die nach Ansicht von Pentagon-Experten als mobile Einheiten zur Herstellung von biologischen Waffen gedient haben könnten. In dem Bericht der Irak-Kontrollkommission UNMOVIC wird darauf verwiesen, dass den UN-Inspekteuren Fotos "legitimer Fahrzeuge" übergeben worden seien. Nach Einschätzung der früheren irakischen Behörden seien diese Fahrzeuge möglicherweise irrtümlich für mobile Labors gehalten worden. Blix räumt aber ein, dass keines der Fahrzeuge in den vom Irak übergebenen Bildern wie jene Lastwagen aussehe, die kürzlich von US-Waffensuchern entdeckt und untersucht wurden.
Noch viel zu tun in Sachen Abrüstung
Blix macht in dem 40-seitigen Papier auch darauf aufmerksam, dass noch zahlreiche Abrüstungsfragen gelöst werden müssten. Eine "lange Liste mit verbotenen Materialien", die von den UN-Inspekteuren seit dem ersten Golfkrieg 1990 zusammengestellt worden war, sei "weder durch die Inspektionen, noch durch irakische Deklarationen und Dokumentationen kürzer geworden". Die USA hatten zuvor darauf hingewiesen, dass Massenvernichtungswaffen vor dem Beginn des Krieges in andere Länder gebracht worden sein könnten.
Letzter öffentlicher Auftritt im Sicherheitsrat?
Für den fast 75-jährigen Blix wird die Präsentation des neuen UNMOVIC-Quartalsberichtes wahrscheinlich der letzte öffentliche Auftritt im Sicherheitsrat. Der ehemalige schwedische Außenminister hatte zu Jahresbeginn erklärt, er werde seinen Ende Juni auslaufenden Vertrag als UNMOVIC-Vorsitzender nicht verlängern.