Als Michela Leidis Tochter Giulia vor einem Jahr auf die Welt kam, war das einer der schönsten Tage in ihrem Leben. Als einen Monat später schließlich ihr Name auf dem Geburtszertifikat ihrer Tochter stand, fiel das letzte Stückchen Anspannung von Michela ab. Ihre Frau Viola und sie waren nun offiziell beide Giulias Mütter. Viola wurde durch künstliche Befruchtung schwanger und brachte Giulia im Juni 2022 zur Welt. Kurz darauf, im September, wurde Giorgia Meloni Italiens neue Ministerpräsidentin.
Ein halbes Jahr später, im April 2023, erreichte Michela ein Brief. Ein Gerichtsbeschluss. Ihr Name sollte wieder vom Geburtszertifikat verschwinden. Und das nur, weil sie kein Mann ist. Sie weinte tagelang.

Der Angriff auf homosexuelle Eltern in Italien begann knapp zwei Monate, nachdem Meloni ihr Amt angetreten hatte. In einem Rundschreiben forderte das Innenministerium die Bürgermeister dazu auf, im Ausland ausgestellte Geburtsurkunden mit zwei Vätern darauf nicht länger anzuerkennen.
Offiziell geht die Regierung damit gegen Leihmutterschaft vor. Das Innenministerium beruft sich auf ein Urteil aus dem Jahr 2022, in welchem der Obersten Gerichtshof die Anerkennung dieser Geburtsurkunden untersagte. Dabei ginge es nicht um die sexuelle Orientierung der Eltern, sagte das Gericht, sondern die Menschenwürde der Leihmutter. Leihmutterschaft ist in Italien seit 2004 eine Straftat. Sie kann mit bis zu einer Million Euro Geldstrafe bestraft werden.
Italien: "Es ist, als würde ich nicht existieren"
Das Leihmutterschaft-Verbot trifft homo- wie heterosexuelle Paare gleichermaßen. Auch heterosexuelle Paare, die eine Leihmutterschaft in Anspruch nehmen wollen, sind gezwungen ins Ausland zu gehen. Rechtlich gesehen besteht somit keine Diskriminierung aufgrund der Sexualität. In der Praxis sieht das anders aus. "Wenn auf einer ausländischen Geburtsurkunde eine Mutter und ein Vater angegeben sind, wird sie ohne Nachfrage in Italien anerkannt", sagt der italienische Rechtsanwalt Alexander Schuster. "Anders wird bei Geburtsurkunden mit zwei Vätern darauf verfahren", so Schuster weiter. Bei zwei Vätern sei eine Leihmutterschaft offensichtlich und die Ämter meldeten die Urkunden den Staatsanwaltschaften.
Doch nicht nur gegen zwei Väter geht die Regierung vor. In dem Rundschreiben rief das Innenministerium die Bürgermeister auch dazu auf, die Registrierung von zwei Müttern zu stoppen – auch bei Kindern, die in Italien geboren wurden. "Das zeigt, dass es der Regierung nicht um die Eindämmung von Leihmutterschaft geht", sagt Schuster. Hat ein Kind zwei Mütter, trägt in der Regel eine der beiden das Kind aus. "Der Durchschnittsitaliener kennt jedoch den Unterschied zwischen künstlicher Befruchtung und Leihmutterschaft nicht. Das macht die Regierung sich zunutze und wirft alles durcheinander", sagt Schuster.

In einem zweiten Schritt begann die Regierung im April rückwirkend Geburtsurkunden per Gerichtsbeschluss zu "korrigieren" und Eltern ihre Rechte zu entziehen. Davon betroffen ist Michela mit ihrer Familie, die in Bergamo lebt. Im Juni folgte die "Korrektur" von 33 Geburtsurkunden, die seit 2017 in der italienischen Provinz Padua ausgestellt wurden. Die Kinder, um die es dabei geht, sind teilweise schon sechs Jahre alt. Auch ihnen wird nun auf offiziellem Wege eine Mutter genommen. Zwei Elternteile zu haben, scheint für die Regierung ein Privileg zu sein, dass sie nur Kindern mit heterosexuellen Eltern zugesteht.
"Ich kann meine Tochter jetzt nicht mehr allein zum Arzt bringen, sie im Krankenhaus besuchen, sollte ihr etwas zustoßen, oder mit ihr verreisen", sagt Michela. "Außerdem bekomme ich von meinem Arbeitgeber keine Erlaubnis mehr, mir freizunehmen, wenn Giulia krank ist. Offiziell ist sie nicht mehr meine Tochter", sagt Michela. "Es ist, als würde ich nicht existieren".
Teuer und langwierig: Adoption sei keine tatsächliche Alternative
Michela versucht nun, ihre Tochter über die Stiefkindadoption zu adoptieren. Dafür musste sie Termine mit Psychologen und Sozialarbeiter wahrnehmen, die evaluieren, ob Michela als Elternteil geeignet ist und wie sie in der Beziehung mit Viola agiert. Zudem musste sie nachweisen, dass sie keine Drogen oder Psychopharmaka nimmt und körperlich gesund ist. Über acht Seiten erstreckten sich diese Nachweise. "Die Adoption kostet uns zwischen 3000 bis 5000 Euro. Wenn man bedenkt, dass das durchschnittliche Einkommen in Italien rund 1400 Euro beträgt, ist das eine ganze Menge", sagt Michela.
Die Adoption ist aktuell die einzige Möglichkeit für lesbische Paare, beide Mütter anerkennen zu lassen. Neben den hohen Kosten gibt Schuster die Dauer des Adoptionsprozesses zu bedenken: "Das Verfahren nimmt in der Regel ein Jahr in Anspruch. Obendrein darf man eine Adoption in der Regel nicht unmittelbar nach der Geburt beantragen. Somit besteht bis zu drei Jahren keine rechtliche Anerkennung des zweiten Elternteils. Es kann keine Elternzeit und alles, was dazugehört, beantragt werden". Außerdem habe die leibliche Mutter die komplette Entscheidungsgewalt. In einer funktionierenden Beziehung wie bei Michela und Viola ist das kein Problem. Viola unterzeichnete alle Dokumente. Was aber, wenn es in der Beziehung kriselt?
"Die leibliche Mutter kann von heute auf morgen einfach 'Tschüss' sagen", sagt Schuster. Die nicht-biologische Mutter hätte dann keinerlei Möglichkeiten. Natürlich bestehe diese Gefahr auch andersherum und die leibliche Mutter wäre auf einmal alleinerziehend. Ein weiteres Problem: sollte die leibliche Mutter sterben, bevor der Adoptionsantrag durch ist, hat die andere Mutter keinerlei Möglichkeiten, sich um das Kind zu kümmern.
"In den Medien hört man vermehrt, dass Regenbogenfamilien nicht richtig seien"
"Wir sind sehr besorgt, dass die Regierung weiter gegen die Rechte von homosexuellen Eltern vorgehen wird", sagt Michela. Sie hofft, die Adoption so schnell wie möglich abschließen zu können. Seit Meloni regiere, werde in Italien eine Kultur des Hasses legitimiert, sagt sie. "In den Medien hört man vermehrt, dass Regenbogenfamilien nicht richtig seien und die Kinder darunter leiden würden". Menschen, die noch keine Meinung zu solchen Fragen hätten, würden durch falsche Informationen in eine Richtung gedrängt. Andere hätten nun das Gefühl, sie könnten ihren Hass frei äußern.
"Der Großteil der Italiener ist nicht LGBTQ-feindlich", sagt Schuster. Das Problem sei die schlechte Wirtschaftslage. "Die eigene Existenz ist den Menschen in dieser Situation wichtiger als die Rechte von Regenbogenfamilien. Sie verstehen nicht, dass es dabei letztlich um den Schutz von Menschenrechten geht". Eine politische Veränderung zu bewirken, brauche aber Zeit. Schuster hofft darauf, dass die Europäische Kommission ein Verfahren einleitet, welches eine Verletzung des EU-Rechts feststellen könnte. Dann wäre Italien gezwungen, etwas zu ändern.
Doch so, wie es aktuell aussieht, könnte sich die Lage weiter verschlechtern. Meloni plant ein Gesetz, welches auch Leihmutterschaft, die außerhalb Italiens stattgefunden hat, strafbar machen würde. Homosexuellen Paaren in einer eheähnlichen Gemeinschaft, die es seit 2016 in Italien gibt, ist es verboten, Kinder aus anderen Familien zu adoptieren. So hätten schwule Paaren mit dem neuen Gesetz keinerlei Möglichkeiten mehr eine Familie zu gründen.
Alles, was Eltern über die U-Untersuchungen wissen sollten

Was wird Michela tun, wenn die Adoption nicht anerkannt wird? Sie lacht, als sie die Frage hört. Ihr Lachen verdeutlicht, wie surreal ihr dieser Gedanke im ersten Moment erscheint, wie unfassbar die Entwicklungen in ihrem Heimatland für sie sind. Mit dem Vorgehen Melonis reiht sich Italien in eine Reihe mit Polen und Ungarn ein, den europäischen Ländern, die eine Anti-Queer-Ideologie verfolgen. Polen und Ungarn haben queere Inhalte an Schulen verboten, Ungarn auch die gleichgeschlechtliche Ehe und Polen richtete "LGBT-freie Zonen" ein.
Schließlich weicht Michelas Lachen einer Bitterkeit. Wenn die Adoption nicht anerkannt wird, "dann werde ich Italien mit meiner Familie verlassen", sagt sie.