Blitzbesuch in der Ukraine Ausgetüftelte Irreführung, monatelang vorbereitet: So kam Joe Biden heimlich nach Kiew

Joe Biden (l.) und Wolodymyr Selenskyj in Kiew.
Spaziergang bei Luftalarm: US-Präsident Joe Biden (l.) und Wolodymyr Selenskyj in Kiew.
© Evan Vucci/Pool / AFP
Kurz vor dem Jahrestag des Kriegsbeginns in der Ukraine besucht Joe Biden Kiew. Es war eine große Geste für die Ukrainer, mehr Symbolik ging nicht. Der Blitzbesuch wurde monatelang vorbereitet und führte den US-Präsidenten auch über Deutschland.

Heroischere Bilder und einen dramatischeren Soundtrack hätte auch Hollywood nicht liefern können – und Töne. US-Präsident Joe Biden und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spazieren durch das Zentrum von Kiew, zum Geräusch des Luftalarms, das für die Hauptstadt-Einwohner seit nun ziemlich genau einem Jahr Alltag ist. Der Blitzbesuch des amerikanischen Staatsoberhaupts ist an Symbolkraft kaum zu überbieten – vor allem, weil Ausflüge vom streng abgeschirmten US-Präsidenten üblicherweise über Monate akribisch vorbereitet werden. Entsprechend aufwändig war es offenbar, Biden überhaupt nach Kiew zu bekommen.

"Geisterflug" nach Polen stand schon bereit

Im Zentrum der Mission steht eine ausgetüftelte Irreführung der Öffentlichkeit. Bidens Flug nach Polen am Montagabend anlässlich des bevorstehenden Jahrestags der russischen Invasion in der Ukraine ist schon lange geplant. Die Boeing 747, die er für Langstreckenflüge als Air Force One benutzt, ein 13-köpfiger Journalistentross sowie die Kohorte von Helfern und Sicherheitskräften stehen bereit.

Während alles vorbereitet ist für eine ohnehin historische Reise, demonstriert Biden in aller Öffentlichkeit ein erholsames Wochenende. Nachmittagsgottesdienst am Samstag, gefolgt von einem Besuch im National Museum of American History mit First Lady Jill Biden, dann Abendessen in einem gemütlichen Restaurant mit dem Namen "Rote Henne".

Am Sonntag dann spricht das Weiße Haus von einem Ruhetag mit leerem Terminkalender. Dies sollten zumindest alle glauben – auch die vielen hundert Journalisten, die für die Berichterstattung über das Weiße Haus zuständig sind. 

Dabei sind der 80-jährige Biden, eine Handvoll führender Mitarbeiter und nur zwei Journalisten schon ab 3.30 Uhr morgens auf ihrem Weg nach Europa. Zunächst geht es mit einer Maschine, die sonst für Inlandsflugzeuge genutzt wird, sieben Stunden lang Richtung Ramstein in Deutschland. Nach einem Tankstopp auf der US-Basis fliegt der Tross weiter nach Polen. Ohne Transpondersignal, um den Flug nicht zu verraten.

Biden mit dem Zug von Polen nach Kiew

Dort angekommen, wechselt Biden, ein bekennender Bahnfan, auf den Zug Richtung Kiew. Nach Angaben der ihn begleitenden Journalisten findet die zehnstündige Fahrt unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen statt, ein paar Mal habe der Zug in der Nacht gehalten, bevor er am Morgen um 8 Uhr die ukrainische Hauptstadt erreicht.

Ein Flug kam angesichts der täglichen Luftangriffe auf die Ukraine nicht in Frage. Ob irgendwelche US-Einheiten auf dem Land- oder Luftweg in die Ukraine reisten, um den Präsidenten zu schützen, oder ob die ukrainische Armee, die eng mit den jeweiligen Ansprechpartnern auf US-Seite in Verbindung steht, die Route Bidens sicherte, ist unklar.

In Kiew wird Biden von der US-Botschafterin empfangen und in einer Autokolonne zum Marienpalast gefahren, wo der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj arbeitet. In der Stadt werden dafür viele Hauptstraßen und zentrale Kreuzungen gesperrt, ohne öffentliche Erklärungen. Fünfeinhalb Stunden dauert der Besuch des amerikanischen Staatschefs. Um 11.30 Uhr läuten die Glocken, kurz darauf ertönt Fliegeralarm. Biden und Selenskyj besichtigen gerade eine Kathedrale.

"Historischer, einzigartiger Besuch"

Dies sei ein "historischer Besuch, einzigartig in der heutigen Zeit", in einem Land im Kriegszustand, ohne US-Truppen am Boden, sagt der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan. US-Präsidenten haben schon früher Gefahrenzonen besucht, vor allem während der US-geführten Kriege in Afghanistan und im Irak. In diesen Fällen landeten die Präsidenten jedoch in riesigen, bereits von der US-Armee kontrollierten Militärbasen.

Das Weiße Haus teilte im Nachgang mit, dass kurz vor der Reise Kontakt zu Moskau aufgenommen worden sei. Mutmaßlich geschah dies in Form einer Warnung. "Wir haben die Russen benachrichtigt, dass Präsident Biden nach Kiew reisen wird", sagte der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan, der den Präsidenten begleitete. Die Benachrichtigung sei "einige Stunden" vor Bidens Abreise erfolgt, um Konflikte zu vermeiden.

Für seine Rückreise hat der US-Präsident ebenfalls den Zug genommen. Um 20.30 Uhr sei er am Montagabend am Bahnhof von Przemysl im Südosten Polens angekommen, wie die polnische Nachrichtenagentur PAP meldet. Dort trifft Biden am Dienstag den polnischen Präsidenten Andrzej Duda und hält eine Rede im Warschauer Schloss.

Quellen: DPA, AP

nik