Fast 54 Jahre nach den tödlichen Schüssen auf der Elm Street in Dallas, Texas, zählt der berühmte US-Jurist Vincent Bugliosi exakt 42 Organisationen und 214 Personen, die Schuld haben sollen an der Ermordung von John F. Kennedy. Natürlich nicht alle zusammen, sondern jede und jeder für sich - Überschneidungen nicht ausgeschlossen.
Über kaum einen ernsthaften Vorfall in der Geschichte der Vereinigten Staaten gibt es derartig viele Verschwörungstheorien wie über das Attentat am 22. November 1963. Wir stellen die fünf wichtigsten und skurrilsten vor.
1. Lee Harvey Oswald und die "magische Kugel"
Kennedys mutmaßlicher Mörder war, so viel ist sicher, für das Amerika der frühen 60er Jahre ein Sonderling: Ex-Marine, Scharfschütze, Marxist, der freiwillig in der UdSSR lebte und Kontakte zur Mafia hatte, ein linker Agitator mit Hang zu Gewaltausbrüchen. Zwei Tage nach dem Attentat wurde er vom zwielichtigen Nachtclubbesitzer Jack Ruby vor laufender Kamera erschossen. Oswald selbst hat nie gestanden, Kennedy ermordet zu haben. Dies und die angebliche Flugrichtung der zweiten Gewehrkugel riefen schnell Verschwörungstheoretiker auf den Plan. Sie behaupteten, Oswald könne nicht allein die tödlichen Schüsse abgegeben haben.
Zwischenstand
Bis heute ist nicht vollständig geklärt, ob Lee Harvey Oswald tatsächlich alleine gehandelt hat, ob es Hintermänner gab und wer sie gewesen sein könnten. Aber immerhin das Rätsel um die "magische Kugel" ist gelöst. Es war wenig Zauber im Spiel, wie folgende Rekonstruktion (Englisch) nahelegt:
2. Wie viele Schüsse dürfen es denn sein?
Nachweislich hatte Oswald vom Schulbuchverlag aus drei Schüsse abgegeben. Der erste verfehlte das Ziel, der zweite (die "magische Kugel") streifte Kennedys Hals und verletzte den vor ihm sitzenden texanischen Gouverneur John Connally, der dritte traf den US-Präsidenten am Kopf und tötete ihn. Einige Augen-, bzw. Ohrenzeugen wollen jedoch mehr als drei Schüsse gehört haben. Lange Zeit galt ein Tonbandmitschnitt der Polizeieskorte als Beweis für diese These. Darauf sollen vier Schüsse zu hören sein.
Zwischenstand
Bis heute wurden am Tatort, genauer im Schulbuchverlag, wo sich Oswald befunden hatte, nur drei Patronenhülsen gefunden. Zudem stellte sich jüngst heraus, dass die Aufnahme überhaupt nicht in der Nähe des Präsidenten gemacht wurde.
3. 100 tote Zeugen und 10.000 Überlebende
Ende der 80er-Jahre schrieb der US-Autor Jim Marrs die Bibel der Kennedy-Verschwörungstheorien. In "Crossfire" (die Vorlage für Oliver Stones Film "JFK") trägt er alle Hintermänner und Organisationen zusammen, die am Kennedy-Mord beteiligt sein sollen. Darunter das FBI, die CIA, Exilkubaner, das US-Militär, die Ölindustrie, die Mafia sowie der damalige Vize-Präsident und Kennedy-Nachfolger Lyndon B. Johnson. Laut Marrs sind im Laufe der Zeit rund 100 Menschen ums Leben gekommen, die irgendwie in Verbindung mit dem Anschlag standen.
Zwischenstand
Leider missachtet Jim Marrs die wichtigste Verschwörungsregel: Je mehr Mitwisser beteiligt sind, desto schneller fliegt der Komplott auf. Die mit dem Kennedy-Mord betraute Warren-Kommission spricht zudem von 10.000 Menschen, die in irgendeiner Verbindung mit dem Anschlag standen, aber dennoch überlebten.
4. Kennedy und der Neid der Schwulen
Zu den 103 Toten mit Bezug auf das Kennedy-Attentat gehörte auch David Ferrie (Bild). Der Pilot brachte Lee Harvard Oswald das Fliegen bei und verlor einmal einen Fluglehrerposten wegen seiner homosexuellen Neigungen. Eine Theorie besagt, dass er Oswald hypnotisiert habe, damit er Kennedy umbringt. Nach Meinung des damaligen Bezirksstaatsanwaltes von New Orleans, Jim Garrison, sei Ferrie neidisch auf den US-Präsidenten gewesen, weil der alles verkörperte, was Ferrie nicht war: erfolgreich, viril, beliebt, gut aussehend und wohlhabend.
Zwischenstand
Ferrie wurde stets ein Talent zur Intrige nachgesagt. Kurz vor seiner geplanten Zeugenaussage starb er. Seine Verbindungen zu Exilkubanern und Oswald machen ihn zum perfekten Vexierbild für Verschwörungstheoretiker.
5. Und warum wurde der Präsident ermordet?
Bei 256 "verdächtigen" Organisationen und Personen gäbe es natürlich reichlich Mordmotive: Die US-Notenbank etwa soll sich durch einen Silberzertifikatserlass bedroht gefühlt haben, die DDR-Staatssicherheit habe im Auftrag vom damaligen UdSSR-Führer Nikita Chruschtschow gehandelt, weil Kennedy ihm Marylin Monroe "ausgespannt" hatte, aber den abseitigsten Grund liefert die Ufo-Theorie: Die besagt, dass Kennedy ermordet wurde, weil er sich zu sehr für Außerirdische interessierte. Als "Beweis" gilt ein vermeintlicher Brief Kennedys an die CIA, in dem er kurz vor seinem Tod geheime Ufo-Unterlagen angefragt hatte. In einer Notiz des damaligen Geheimdienstchefs hieß es: "Wie Sie wissen, verlangt der Präsident Angaben zu unseren Aktivitäten, die wir ihm nicht zugestehen können."
Zwischenstand
Nahezu alle US-Amerikaner glauben, dass John F. Kennedy einer Verschwörung zum Opfer fiel. Es scheint schwer vorstellbar, dass er einfach durch die Hand eines Verrückten plus einiger ungünstiger Umstände starb. Die Verschwörungstheoretiker warten weiter, bis im Oktober dieses Jahres auch die letzten Akten zum Mordfall geöffnet werden, bislang sind noch immer einige unter Verschluss. Andererseits: Sollten sich darin keine Hinweise auf irgendwelche dunklen Machenschaften finden - ist das dann nicht erst Recht der Beweis für eine gigantische Verschwörung?