Komiker Beppe Grillo "Giftmüllrecycling im Parlament"

Beppe Grillo gilt als Michael Moore Italiens. Mit seiner Website erreicht der Komiker eine halbe Million Menschen am Tag. Im Interview mit stern.de sagt er, woran die Republik krankt, wer Schuld ist am Müll- und Regierungschaos und warum die Presse der wahre Krebs des Landes ist.

Italien kommt einen gerade wie ein Albtraum vor: Neapel versinkt in einem Meer aus stinkendem Müll, während die Politiker am Ufer sinnlose Debatten führen.

Das ist kein Albtraum, das ist Realität. Gerade sammelt Silvio Berlusconi - schön sauber nach Lagern getrennt - den gesamten parlamentarischen Giftmüll ein, um ihn für seine politische Wiederauferstehung zu recyceln. Die schlimmste Mülldeponie Italiens ist doch heute unser Parlament: Dort sitzen, noch immer unbehelligt, 24 wegen verschiedenster Verbrechen verurteilte Abgeordnete.

Wer ist schuld an dem Mülldesaster in Kampanien? Die Camorra, die Politik oder die Bürger, die sich gegen Mülltrennung sträuben, aber auch gegen Verbrennungsanlagen - mit dem Segen des Volkstribuns Grillo?

Da kommen viele Faktoren zusammen. Neapel ist ein Symbol für die Implosion unseres Wirtschaftssystems. Kampaniens Müllberge hätten auch ein Signal zum Umdenken sein können: Etwa mit einem Sofortgesetz, das die Produktion von Einwegverpackungen verbietet und stattdessen Abfüllanlagen in Supermärkten für Milch oder Waschmittel propagiert. Deutschland ist da viel weiter.

Auch wir sind erst am Anfang.

Immerhin. Ich habe mich aufklären lassen von eurem Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie: Abfall ist ein Irrtum in der Produktionskette, es muss ihn nicht geben. Das hätte man den Leuten vermitteln müssen - und zugleich die gesamte öffentliche Verwaltung vor die Tür setzen: vom Regionalpräsidenten bis zu Neapels Bürgermeisterin. Stattdessen schickt Rom Soldaten - und einen seit dem G8-Gipfel in Genua höchst umstrittenen, ehemaligen Polizeipräsidenten als Sonderkommissar. Welch vertane Chance!

Wer in Rom weiter regiert, ist nach dem Sturz von Romano Prodi unklar. Offenbar basteln Abgeordnete aller Lager an einer Übergangsregierung. Bangen sie um ihre lebenslange Pension?

Sicher, sie wurden im April 2006 gewählt, die Pension ist erst nach 30 Monaten Parlamentszugehörigkeit fällig. Franca Rame, die Frau von Dario Fo, selbst erst seit 20 Monaten Senatorin, hat öffentlich über derlei Parasitentum spekuliert. Doch den Niedergang der Politiker-Kaste beobachte ich schon länger. An unserem "Vaffanculo-Day" ("Leck-mich-am-Arsch-Tag") vergangenen September versammelten sich anderthalb Millionen Menschen in 250 Städten des Landes, um dem Schmierentheater aus Politik und Medien den Stinkefinger zu zeigen. Kein Mensch fühlt sich von denen mehr repräsentiert.

Beppe Grillo

Der 59-jährige einstige Fernseh-Komiker, ist derzeit der erfolgreichste Blogger Italiens: Seine Website wird bis zu 500.000 Mal am Tag angeklickt und gilt als Zentralorgan der Politikverdrossenen im Land. Aus dem Blog des "Spaghetti-Michael Moore" ist eine Internet-Bewegung mit unzähligen, lokalen Initiativen im ganzen Land geworden. Das US-Magazin Time kürte Grillo 2005 zum "Helden Europas".

Gab es nach Berlusconis Abwahl nicht Hoffnung, es könne sich alles zum Besseren wenden?

In Italien herrscht riesige Frustration. Schlimmer als vor ein paar Jahren, als man tatsächlich hoffte, der Wechsel zu einer linksgerichteten Regierung würde dem Land helfen. Aber die Hoffnung ist Scham und Verzweiflung gewichen. Die Leute schämen sich, weil sie Mühe haben, ihre Familien zu ernähren.

Eine neue Chance für Berlusconi? Wollen die Italiener am Ende den starken Mann?

Für mich ist Berlusconi nur der "psiconano" - der "Psychozwerg". Alles andere als der starke Mann. Ein abgehalfterter Anfangssiebziger, der sich die Haare färbt. Der dieses abgewirtschaftete Land endgültig in Scherben legen wird. Berlusconi wird vielleicht wiedergewählt, aber er wird sich nicht halten.

Warum setzen Sie und Ihre Mitstreiter sich nicht für die neue Linkspartei des 20 Jahre jüngeren Walter Veltroni ein - der wäre zumindest das kleinere Übel?

Von wegen kleineres Übel: Veltroni ist für mich Topo Gigio, die Weltraum-Maus, eine Comicfigur aus den 80er Jahren. Auch der will das Land zubetonieren, gesundheitsschädliche Müllverbrennungsanlagen bauen, der will die alte Politik.

Aber Neuwahlen ohne ein neues Wahlgesetz sind doch sinnlos. Dann könnten weiterhin Ein-Prozent-Parteien die Regierung erpressen, Reformen verschleppen.

Die Italiener befinden sich am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Wenn sie jetzt noch einmal nach dem alten Wahlrecht an die Urnen geschickt werden, bricht hier die Revolution aus. Dieses Land ist unregierbar geworden. Die heutige Politiker-Klasse muss schleunigst nach Hause geschickt werden.

Wie sollte ein neues Wahlrecht denn aussehen?

Von der Basis muss die Erneuerung kommen. Unsere Waffen sind nicht Knüppel, sondern Volksbegehren. Parteien müssen abgeschafft werden, denn sie sind nichts weiter als Vehikel für krumme Geschäfte. Wir diskutieren auf meiner Website eine Art "Volkswahlrecht", das die Direktwahl der Kandidaten auf sogenannten Bürger-Listen vorsieht. Sie dürfen keiner Partei angehören, nicht vorbestraft sein. Sie müssen am Ort wohnen und ihre Arbeit im Internet transparent machen. Wir brauchen eine klare Grenzziehung zwischen Legalität und Illegalität, sonst wird dieses Land in Agonie verharren.

In Rom saß bis eben ein Justizminister mit Verbindungen zur Camorra, in Sizilien sitzt ein Regionalpräsident, der wegen Begünstigung der Mafia zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Nach den Skandalen der 90er Jahre gab es schon einmal den Versuch eines moralischen Neuanfangs. Warum hat das nicht geklappt?

Weil Italien von einer Wirtschaftslobby regiert wird, die selbst EU-Gelder in Milliardenhöhe abgreift. Ich habe mithilfe von Staatsanwälten in Brüssel interveniert, um die Subventionen für Italien einfrieren zu lassen. Milliarden sind nach Ansicht der Ermittler allein in Süditalien versickert, in einem Netzwerk aus Tausenden Scheinfirmen.

Ist das Giftmüll-Geschäft nicht das beste Beispiel? Da sind in den letzten Jahren über 350 Millionen Euro spurlos verschwunden.

Und natürlich ist dabei die Camorra involviert. Doch auch vermeintlich seriöse Aktiengesellschaften im Norden haben profitiert, indem sie wertlose Steinbrüche mit EU-Förderung zu profitablen Mülldeponien umwidmeten. Dabei ist die Abfallwirtschaft nur die Spitze des Eisbergs. Das ganze System ist faul. Das hat inzwischen sogar Italiens Industrieminister Bersani begriffen und den Stopp von EU-Geldern für sein Land angeregt.

Nur jeder vierte Italiener traut noch der Regierung, nur jeder siebte den Parteien. Wird die Politikverdrossenheit zur Gefahr für die Demokratie?

Nur das Internet kann solche Auflösungsprozesse stoppen, weil es eine andere Art der Politik, des Journalismus und der Kommunikation befördert. Weil es nicht kontrollierbar ist - es kontrolliert sich selbst. Das Netz wird alle anderen Medien ersetzen und reine Vermittlerfiguren wie Politiker oder Journalisten überflüssig machen.

Sie wollen die Presse, die vierte Gewalt im Staat aushebeln?

Der wahre Krebs in diesem Land, das sind die traditionellen Medien. Berlusconis TV- und Radiosender, aber auch große Tageszeitungen wie "Corriere della Sera", "La Repubblica" oder "La Stampa". Sie sind zur Pressestelle mächtiger Wirtschaftsgruppen degeneriert und kassieren für ihre Blätter noch Millionen Euro Steuergelder.

Ihre Website wird täglich bis zu einer halben Million mal angeklickt. Weil die Italiener eine unabhängige Stimme suchen oder weil sie dem Populisten Grillo auf den Leim gehen, wie Kritiker sagen?

Es geht nicht um eine, nicht um meine Stimme. Wir sind Hunderttausende inzwischen, die sich im Netz austauschen, beraten, anregen, aufklären. Das Netz setzt eine Unmenge Intelligenz frei.

Eine Beppe-Grillo-Partei würde nach Umfragen auf Anhieb 17 Prozent der Stimmen bekommen. Können Sie so einer Versuchung widerstehen?

Ich habe nicht vor, als Politiker ins alte System zu drängen. Da müsste ich ja verrückt sein. Ich will das System von außen verändern, die Dinge beschleunigen. Ich bin ein Detonator.

Interview: Daniela Horvath