Toll! "Die Trauerphase ist zu Ende", sagte der Italiener Romano Prodi. "Adieu Tristesse" jubelte der Österreicher Schüssel. "Ich bin glücklich," bebte der Portugiese Barroso, "denn es bestand die Gefahr einer kompletten Blockade der EU."
Ein realistischer Fahrplan für die Verfassung
So toll? Nicht wirklich. Die bunten Wort-Girlanden hätten die EU-Granden sich nach ihrem Brüsseler Gipfel-Dinner am Donnerstagabend jedenfalls schenken können. So grandios war es nicht, was sie beschlossen haben. Und auch die Verfassungs-Blockade, in der die EU seit einem Jahr feststeckt, haben sie de facto nicht beendet. Sie haben lediglich einen realistischen Fahrplan aufgestellt, der die Chance offen lässt, das verflixte Projekt Verfassung doch noch irgendwie zu retten. Ein Grund zum überschwenglichen Feiern ist das noch nicht.
Konkret sieht der Plan der Staats- und Regierungschefs folgendes vor: In der ersten Hälfte des Jahres 2007 sollen die Deutschen sich als EU-Vorsitzende behutsam der Verfassung annehmen, bedächtig und beharrlich. Wenn alles gut geht, sollen die Franzosen den Sack während ihrer EU-Präsidentschaft Ende 2008 zu machen. Wenn alles super-super läuft, wird die Verfassung noch vor der nächsten Wahl zum EU-Parlament im Jahr 2009 unter Dach und Fach gebracht.
Merkel auf europäischer Mission
Der Ansatz ist zwar nicht glamourös, dafür aber realistisch. Bis Mitte 2007 wird sich in Sachen Verfassung ohnehin nichts bewegen. Das ist allen Beteiligten klar. Franzosen und Niederländer, die die Verfassung 2005 per Referendum torpediert haben, wählen im späten Frühjahr des kommenden Jahres neue Regierungen. Für jeden Politiker käme es dort einem politischen Suizid gleich, im Wahlkampf wider den erklärten Willen des Volkes die Verfassung voranzutreiben. Die Franzosen und Niederländer sind sogar so bange, dass sie sich nun in Brüssel erfolglos dagegen gesperrt haben, in der Schlusserklärung des Gipfels den Begriff "Verfassung" auch nur zu erwähnen. Wegen dieses Widerstands aus Paris und Den Haag macht es Sinn, wenn die anderen EU-Regierungschefs gar nicht erst vorgeben, die Verfassung vor Mitte 2007 retten zu können. Die "Denkpause", die im vergangenen Jahr verordnet worden ist, haben sie deshalb einfach verlängert.
Gleichwohl sind die Verfassungsfreunde bemüht, leise ein Dynamik zu Gunsten der Verfassung in Gang zu setzen. Eine zentrale Rolle nehmen dabei die Deutschen und ihre Kanzlerin Angela Merkel ein. Im Laufe ihrer Präsidentschaft sollen sie einen Bericht über den Stand der Verfassungsdebatte vorlegen. Das bedeutet, Bundeskanzlerin Angela Merkel wird mit der Mission betraut, den Spielraum für eine Neuformulierung und Ratifizierung der Verfassung beständig zu sondieren, um irgendwann, wenn alle einverstanden sind, vielleicht sogar einen konkreten Vorschlag zu unterbreiten. Merkel, die einen guten Ruf genießt, hat nun eine europäische Mission. Die ist die Geheimwaffe gegen die Verfassungsgegner, die weniger in Paris als vielmehr in London und Den Haag sitzen. Als wahrscheinlichster Zeitpunkt für einen richtungsweisenden Vorstoß der Deutschen dürfte die kurze Phase nach den Wahlen und vor dem Ende des deutschen Vorsitzes in Frage kommen - alles deutet auf den Gipfel in Brüssel im Juni 2007 hin.
Europäisches Glaubensbekenntnis in Berlin
Zuvor soll im März 2007 in Berlin ein so genannter informeller Gipfel der Regierungschefs stattfinden. Anlass ist der 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge. Mit diesen Verträgen legten die Gründungsväter der EU einst den Grundstein für die Europäischen Gemeinschaften (EG) - inmitten der derzeitigen Krise bietet diese Feierstunde eine prima Gelegenheit, um noch mal eine Art europäisches Glaubensbekenntnis abzulegen. Die Deutschen könnten, und so ist es wohl auch geplant, den Text einer politischen Erklärung entwerfen, in der steht, wie prima die EU ist. Dies könnte positiv auf den Verfassungsprozess ausstrahlen.
Berlin dürfte dieser Fahrplan nur gelegen kommen. Die Deutschen befinden sich in einer komfortablen Position. Spätestens seit diesem Brüsseler Gipfel sind die Erwartungen an die deutsche Präsidentschaft nicht mehr überfrachtet. Niemand erwartet von Merkel ernsthaft, dass sie die Verfassung unter Dach und Fach bringt. Gleichzeitig hat sie ein Mandat, mit dem sie sich Profil verschaffen kann. Sie soll das tun, was sie, ganz Großkoalitionär, ohnehin gerne macht: Baby-Steps, klitzekleine Schritte.
Frankreich: Teil des Problems, Teil der Lösung?
Ein schlauer Zug ist es auch, es im zweiten Halbjahr 2008 den Franzosen zu überlassen, die Verfassung unter Dach und Fach zu bringen. Bis dahin herrscht im Elysée-Palast vermutlich entweder der konservative Haudrauf Nicolas Sarkozy oder die schöne sozialistische Sphinx Segolène Royal. Einer von beiden könnte es dann übernehmen, im ersten Jahr seiner/ihrer Präsidentschaft das ausarbeiten zu lassen, was den Franzosen an der ersten Verfassungsversion nicht gepasst hat - ein klares Bekenntnis zu einem europäischen Sozialmodell etwa. Die Franzosen wären dann unter Zugzwang, die Verfassung zum Erfolg werden zu lassen. Oder wie Kommissions-Chef Barroso in der Nacht zum Freitag so schön sagte: "Wenn man Teil des Problems ist, dann ist es auch gut, Teil der Lösung zu sein." Toll!