Unerwünscht in der Ukraine "Verständlich, aber anmaßend und kurzsichtig": So kommentieren die Medien Kiews Korb für Steinmeier

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gibt eine Erklärung zur Reiseabsage nach Kiew
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gibt eine Erklärung zur Reiseabsage nach Kiew
© Jens Büttner / DPA
Die Empörung ist groß. Nach der De-facto-Absage der ukrainischen Regierung an einen Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wächst die Kritik – auch in den deutschen Medien. Die Presseschau im Überblick.

Frank-Walter Steinmeier wollte nach Kiew reisen, doch die ukrainische Führung erteilte dem Besuch des Bundespräsidenten eine Absage. "Ich war dazu bereit. Aber offenbar – und ich muss zur Kenntnis nehmen – war das in Kiew nicht gewünscht", sagte Steinmeier in Warschau. So machten sich die Präsidenten aus Polen, Litauen, Lettland und Estland am Mittwoch ohne den deutschen Kollegen auf den Weg zu einem Treffen mit Ukraines Staatschef Wolodymyr Selenskyj.

Die faktische Ausladung Steinmeiers sorgt im politischen Berlin für Empörung und Besorgnis. SPD-Außenpolitiker Michael Roth bezeichnete die Entscheidung als "nicht angemessen", ähnlich äußerte sich SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Der Unions-Außenpolitikexperte Jürgen Hardt (CDU) sprach von einer "schweren Belastung" und forderte einen sofortigen Anruf von Kanzler Olaf Scholz in Kiew.

Auch die Medien werten die Entscheidung der Ukraine als ungewöhnlichen diplomatischen Affront und sehen klare Anzeichen dafür, wie unzufrieden die Führung in Kiew mit der deutschen Politik ist. Die internationale Presseschau im Überblick.

"In Wahrheit trifft Selenskyj sich selbst"

"Allgemeine Zeitung" (Mainz): Die spektakuläre Ausladung ist nun ein schwerer Schlag. Und ein unglücklicher Schachzug von Selenskyj. Der ukrainische Präsident reagiert noch immer allergisch beim Namen Steinmeier, kritisiert dessen einstige Nähe zum Kreml scharf. Ja, Steinmeier hatte die Beziehungen zu Russland als Außenminister in früheren Jahren falsch eingeschätzt. Er hat zu lange an Nord Stream 2 festgehalten. Doch der Bundespräsident hat sich für seine Fehler entschuldigt. Das hätte er überzeugender tun können – keine Frage. Allerdings bringt ein solcher Affront nun niemandem was. Schon gar nicht der Ukraine. Im Gegenteil: Diese Reaktion schenkt Wladimir Putin und der russischen Armee nun weitere Zeit.

"Badische Zeitung" (Freiburg): Der Bundespräsident ist jetzt zum Ziel Kiewer Frustrationsabbaus geworden. Und ja, man hat wohl gedacht, mit Frank-Walter Steinmeier als Aushängeschild deutscher Russlandfreundlichkeit treffe es schon irgendwie den Richtigen. In Wahrheit trifft Selenskyj sich selbst. Der Affront wird ihm Sympathien kosten und Vorbehalte gegen ein stärkeres Engagement Deutschlands für die Ukraine eher wachsen lassen.

"Die Zeit": Statt endlich seiner Verantwortung und seinen Solidaritätsversprechen gerecht zu werden, schickt Deutschland ausgerechnet Steinmeier, damit der seine symbolische Läuterung in der Kulisse der Kiewer Kriegslandschaft und mit dem ukrainischen Präsidenten als Nebendarsteller inszenieren kann. Dass Selenskyj dabei nicht mitmachen will, ist verständlich. Nicht seine Absage belastet eigentlich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern, sondern die über Jahre falsche und bis heute ungenügende Ukraine-Politik Deutschlands.

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": Ihn zum unerwünschten Gast zu erklären war dennoch keine kluge Entscheidung. Das macht einen Besuch Scholz’ in Kiew nicht wahrscheinlicher. Putin wird aus diesem Affront die Hoffnung schöpfen, dass sich im Lager seiner Gegner erste Risse bilden. Bei allem Verständnis für die verzweifelte Lage der Ukrainer: Wer einen Feind wie Putin hat, sollte die Beziehungen zu seinen Freunden nicht willentlich belasten, insbesondere auch nicht das Verhältnis zu seinem größten Geldgeber.

"Den Nutzen hat letztlich nur einer – Wladimir Putin"

"Handelsblatt": Die kolportierte Absage des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski an den Bundespräsidenten ist verständlich, aber anmaßend und kurzsichtig zugleich. Verständlich, weil Frank-Walter Steinmeier lange Zeit und trotz aller Rückschläge an einer Intensivierung deutscher Beziehungen zu Russland festgehalten hat. (...) Ein Land unter Druck wie die Ukraine hat alles Recht, laut zu schreien, zu fordern und anzuprangern. Aber es sollte nicht den Fehler begehen, jetzt die Einheit durch überzogene Kommentare zu gefährden. Denn es geht um Haltung und Widerstand gegenüber Russland, nicht um Haltungsnoten wie in diplomatisch besseren Zeiten.

"Pforzheimer Zeitung": Heute ist klar: Steinmeier, große Teile der SPD, aber auch Merkel haben Putin mit ihrem Verhalten den kriegerischen Weg bereitet, den er heute beschreitet. Insofern ist der ukrainische Zorn allzu verständlich, auch heute noch. Doch schon das Beispiel von Botschafter Andrij Melnyk zeigt, dass diplomatische Affronts eher kontraproduktiv sind. Der deutsche Unmut über Melnyk und dessen Attacken wächst. Und nun? Reden, Wogen glätten, verständnisvoll bleiben – der Feind der freien Welt sitzt in Moskau. Nicht in Kiew und nicht in Berlin.

"Rheinpfalz" (Ludwigshafen): Die Bundesregierung und auch Steinmeier als oberster Repräsentant der Bundesrepublik haben in den vergangenen Wochen keinen Zweifel daran gelassen, auf welcher Seite sie in dem von Russland begonnenen Krieg in der Ukraine stehen. An dieser Haltung wird auch das Nein aus Kiew zu einem Besuch Steinmeiers nichts ändern. Insofern ist der tatsächliche Schaden eher überschaubar; bei dem ganzen Vorgang gilt es auch die verzweifelte Lage zu berücksichtigen, in der sich die Ukraine und deren Präsident Wolodymyr Selenskyj befinden. Den Nutzen aber hat letztlich nur einer – Kremlherrscher Wladimir Putin, dem solche Zwistigkeiten zwischen seinen "Feinden" zupass kommen.

"Zwischen wirklichen Feinden und schwierigen Freunden unterscheiden"

"Stuttgarter Zeitung": Es ist ein (un)diplomatischer Affront sondergleichen: Der ukrainische Präsident Selenskyj hat seinem deutschen Amtskollegen signalisiert, dass er auf dessen Besuch in Kiew aktuell keinen Wert lege. Das deutsche Staatsoberhaupt ist in dem von Putins Gewalt heimgesuchten Nachbarstaat demnach eine unerwünschte Person. Aber gilt das auch für deutsche Hilfe, die sich in zwar verspäteten, aber umfangreichen Waffenlieferungen ausdrückt? Dafür wird niemand Dankbarkeitsgesten erwarten – aber vielleicht etwas mehr Fingerspitzengefühl. Steinmeiers langwierige Blindheit für Putins wahre Natur lässt sich so nicht aus der Ferne korrigieren. Gerade im Krieg wäre es klug, zwischen wirklichen Feinden und schwierigen Freunden zu unterscheiden.

"Südwest Presse" (Ulm): Das Wort Affront reicht dafür nicht mehr aus: Die ukrainische Regierung hat Bundespräsident Steinmeier zur unerwünschten Person erklärt. Das ist peinlich für den deutschen Staatschef, aber er wird es verschmerzen. Es ist aber eben auch eine beispiellose Zurückweisung des mächtigsten und reichsten EU-Landes inmitten des Kriegs. Bislang war Präsident Selenskyj extrem erfolgreich mit seiner radikalen Politik der Bilder und Symbole, doch mit dieser Ausladung droht er zu überziehen. Er riskiert nicht nur, der überwältigenden deutschen Solidarität zu schaden, sondern auch die europäische Einigkeit gegenüber dem russischen Aggressor zu gefährden.

les / dpa