Das Oberste Gericht der Ukraine hat ein klares Urteil gesprochen: Die Stichwahl um das Präsidentenamt ist verfälscht worden und deshalb ungültig. Die Richter um den Vorsitzenden Anatoli Jarema gingen an die Grenze ihrer Kompetenz und legten gleich den politischen Ausweg fest: Wiederholung der Stichwahl am 26. Dezember. Die Kiewer Oberrichter haben mit ihrem Votum Rechtsgeschichte geschrieben für die Staaten der früheren Sowjetunion, in denen Richter häufiger am Telefon der Stimme des Präsidenten lauschen als ins Gesetz zu blicken.
Etappensieg für Juschtschenko
Trotzdem bleiben auf dem Weg zur Wahl eines neuen Staatschefs für die gespaltene Ukraine noch viele Fragen offen. Für die Opposition um Viktor Juschtschenko ist der Spruch ein großer Etappensieg. Am 26. Dezember ist Juschtschenko der klare Favorit. Zehntausende feierten ihn am Freitagabend auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew. Für den amtierenden Präsidenten Leonid Kutschma und sein Lager ist der Spruch eine Ohrfeige. Sie hatten Ministerpräsident Viktor Janukowitsch als Nachfolger ausgewählt und ihn mit russischer Nachhilfe als Kandidaten aufgebaut. Sie spannten den Staatsapparat für Fälschungen ein und verbauten sich damit selbst den Sieg.
An einen möglichen Erfolg Janukowitschs schien Kutschma schon in den letzten Tagen nicht mehr zu glauben. Deshalb beharrten er und der russische Präsident Wladimir Putin darauf, die Präsidentenwahl ganz von vorne zu beginnen. Russische Politmanager wie Gleb Pawlowski und Sergej Markow klagten, wie schwierig es gewesen sei, das Rating des zwei Mal vorbestraften Janukowitsch zu verbessern. Als mögliche neue Kandidaten der ukrainischen Staatsmacht liefen sich der frühere Nationalbankchef Sergej Tigipko oder Parlamentschef Wladimir Litwin warm.
Enger Zeitrahmen
Nun bleibt es bei der Stichwahl. Janukowitschs Vertreter Sergej Gawrisch sieht dabei entweder "einen leichten Sieg für Juschtschenko" oder "einen schwer errungenen Sieg für Janukowitsch" voraus. Unklar blieb, ob der Ministerpräsident tatsächlich antreten wird. "Ich weiß es nicht", sagte sein Vertrauter Gawrisch.
Trotz des Richterspruchs ist der Weg zum nächsten Wahlgang noch nicht ganz gebahnt. In dem engen Zeitrahmen wird die umfassende Politreform nicht zu verwirklichen sein, auf die sich die ukrainischen Konfliktparteien am Mittwoch unter Vermittlung von Europäischer Union und Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geeinigt hatten.
Vor allem ist unklar, wie die Ostukraine auf den Sieg der vor allem vom Westen und Zentrum des Landes getragenen Opposition vor Gericht reagieren wird. Eigentlich müssten beide Kandidaten bis zum 26. Dezember vor allem um den Landesteil werben, der sie in den ersten beiden Abstimmungen abgelehnt hatte.
Friedemann Kohler, DPA