Es ist dunkel und wenig gemütlich. In Zeiten, in denen kein Krieg herrschte, hätten sich die wenigsten vorstellen können, in den Katakomben des Asow-Stahlwerks in Mariupol zu leben. Doch in Kriegszeiten wird plötzlich vieles möglich, was zuvor unvorstellbar war. Und so harren nun zahlreiche ukrainische Soldaten in den unterirdischen Gängen des Stahlwerks aus – in der Hoffnung, noch gerettet zu werden, und in der beständigen Angst, von den russischen Belagerern überrannt zu werden.
Die 1000 Kämpfer, die sich nach Regierungsangaben noch im Stahlwerk befinden, gehören zur letzten Bastion des Widerstandes gegen die Invasoren. Sie verteidigen nicht nur ihr Leben, sondern auch die umkämpfte und für Russland strategisch wichtige Hafenstadt Mariupol. Abgesehen vom Industriegebiet wird die Stadt bereits von Russland kontrolliert. Die endgültige Einnahme wäre ein strategisch wichtiger Sieg, da so eine direkte Landverbindung zur annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim möglich würde.
In den vergangenen Wochen konnten bereits Hunderte Zivilisten über Flüchtlingskorridore gerettet werden. Einen freien Abzug der Kämpfer lehnte Russland bisher ab. Sie sollen die Waffen niederlegen und sich in Gefangenschaft begeben. Die Ukraine hat nun angeboten, russische Kriegsgefangene freizulassen, um im Gegenzug die eigenen Kämpfer zu befreien.
Verzweifelte Appelle und schwindende Hoffnung
Einige der Soldaten seien "schwer verletzt" und müssten "dringend" aus dem Stahlwerk herausgeholt werden, so die ukrainische Vizepräsidentin. Sie appellierte an alle internationalen Organisationen, den Druck auf Russland zu erhöhen, damit es die Evakuierung von Schwerverletzten und nicht zum Militär gehörendem medizinischen Personal zulasse sowie von anderen "Menschen, die nach der Genfer Konvention keine Kämpfer sind".
Allerdings wies die stellvertretende Regierungschefin Angaben von örtlichen Behördenvertretern zurück, wonach sich noch rund hundert Zivilisten in dem Werk aufhalten sollen. Der Chef des Asow-Regiments habe gegenüber ukrainischen Regierungsvertretern und einem UN-Vertreter "offziell erklärt", dass "kein Zivilist, keine Frau, kein Kind oder alter Mensch mehr in Asow-Stahl ist".
Verzweifelt wenden sich auch die Insassen des Stahlwerks an die Öffentlichkeit. So hatte ein ukrainischer Militärkommandeur einen verzweifelten Appell an den reichsten Mann der Welt, Elon Musk, gerichtet. Per Twitter schrieb der Kommandeur: "Helfen Sie uns, aus Asow-Stahl in ein Vermittler-Land zu kommen. Wenn nicht Sie, wer dann?"
Er erklärte dazu, er habe sich extra ein Konto bei Twitter eingerichtet, um Musk zu erreichen. "Man sagt, Sie kommen von einem anderen Planeten, um die Menschen zu lehren, an das Unmögliche zu glauben", schrieb er an Musk. Dieser hatte Russlands Staatschef Putin bereits per Twitter zum Duell herausgefordert.
Und täglich schwindet die Hoffnung, dass die ukrainischen Soldaten noch aus dem Stahlwerk gerettet werden. Auf einer Pressekonferenz hatte Präsident Selenskyj bereits angekündigt, den Menschen nicht mehr helfen zu können. Auch die ukrainische Militärführung dämpft die Hoffnung auf eine Offensive. "Stand heute würde eine solche Operation zur Deblockierung eine beträchtliche Anzahl von Truppen erfordern, weil die ukrainischen Streitkräfte 150 bis 200 Kilometer von Mariupol entfernt sind", sagte der stellvertretende Generalstabschef Olexij Hromow am Mittwoch. Weil die russischen Truppen zudem inzwischen mächtige Verteidigungsanlagen gebaut hätten, koste ein solcher Einsatz viele Opfer.