Wie geht's eigentlich dem Gemüsegarten des Weißen Hauses? Gut. 2000 Pfund an Pflanzenkost werfe er im Jahr ab, heißt es stolz in der offiziellen Erklärung und das ist insofern bemerkenswert, als dass das Beet das letzte Erbe der Obamas ist, auf dem die neuen Bewohner noch nicht verächtlich herumgetrampelt haben. Nein, im Gegenteil: Die neue First Lady hegt und pflegt die Einrichtung ihrer Vorgängerin, auch wenn sie mit ihrem 1300-Dollar-Flanellhemd im Salat sitzend etwas deplaziert wirkt. Sei's drum – Michelle Obama ist mehr als die Erinnerung an durchtrainierte Oberarme und zwei fröhliche Töchter. Sehr viel mehr.
First Lady - Deko und sanfte Worte
Gattin eines US-Präsidenten zu sein, ist eine undankbare Angelegenheit. Die Öffentlichkeit erwartet hauptsächlich zwei Dinge: Die First Lady soll Gatten-Dekoration für Galadiners oder Preisverleihungen sein, und ab und an sanfte Worte über benachteiligte Kinder oder böse Krankheiten sagen. Was sie nicht erwarten: ein eigenes Leben, einen eigenen Job, der über ihre Funktion als rechte Hand des Mannes hinausgeht, eine eigene Aura. Michelle Obama war da nicht anders und dann wieder doch völlig. Mutter und Bildungsmahnerin, aber eben auch die "coolste Frau der Welt" an der Seite des "coolsten Präsidenten aller Zeiten".
Als die Familie 2009 ins Weiße Haus gezogen war, rüttelten plötzlich wieder Touristenmassen am Zaun: "Obama, alle schreien nach Obama", sagte der Sicherheitsmann Victor damals dem stern – "nach Bush hat niemand gefragt." George W. Bush, der ungeliebte Vorgänger, war mit Laura verheiratet, einer Bibliothekarin, deren Vermächtnis sich in dem Halbsatz zusammenfassen lässt: Kämpfte gegen Analphabetismus. Wie anders plötzlich Michelle Obama. Anders, nicht nur wegen einer Hautfarbe, die First Ladys bis dahin nicht hatten. Anders, weil sie nicht wie üblich aus wohlsituierten Verhältnissen kam. Anders, weil sie sich einen Beruf erarbeitet hat (Anwältin), der für ihre Herkunft nicht selbstverständlich ist.
Kein Boss, keine Strippenzieherin, aber immer Mensch
Michelle LaVaughn Robinson Obama, 1964 als Kind eines Maschinisten und einer Sekretärin in Chicago geboren, lebt ihre Version des amerikanischen Traums. Inklusive der Eigenschaften, die die Nation am meisten schätzt: warm, herzlich, "echt". Eine Topverdienerin, eine Karrierefrau, aber immer Mensch, kein Boss, keine Familienmutterdarstellerin, keine Strippenzieherin, wie etwa Hillary Clinton es war. Unvergessen ist den Amerikanern die Szene, als sie auf dem Parteitag der Demokraten zutiefst gerührt davon sprach, wie sie ihre Töchter auf dem Rasen des Weißen Hauses toben sieht, des Hauses, das einst von Sklaven erbaut wurde. Ihr Urururgroßvater arbeitete als Leibeigener auf Reisplantagen der Südstaaten.
Als ihr Mann noch im Weißen Haus saß, war Michelle Obama als First Lady beliebter als ihre Vorgängerinnen. Würde sie als Präsidentschaftskandidatin antreten, sie könnte Amtsinhaber Donald Trump um Längen schlagen. Manch einer im Lager der Opposition hofft deshalb darauf, dass sie eines Tages vielleicht doch noch kandidieren wird. Michael Moore zum Beispiel, der Autor und Filmemacher. Er meinte neulich, dass nur ein "heißgeliebter Amerikaner" die Chance hätte, Donald Trump in zwei Jahren zu besiegen - ein Sully Sullenberger vielleicht, der Pilot, der 2009 einen Airbus heldenhaft auf dem New Yorker Hudson River notwasserte. Oder eben Michelle Obama.
Michelle Obama: "Das werde ich Trump nie verzeihen"
Es geht wohl nicht zu weit, ihr zu unterstellen, dass sie die Vorstellung eines Triumphs über den Nachfolger ihres Mannes reizvoll fände. In ihrer neuen Autobiografie "Becoming – meine Geschichte" schreibt sie, wie geschockt sie auf Trumps Wahl reagiert habe, wie sie versucht war, irgendwie dessen Amtsübernahme zu verhindern. Was sie ihm immer noch übelnimmt: Diese Verschwörungstheorie über Barack Obamas Herkunft. Die Unterstellung, er sei nicht in den USA geboren worden und daher kein legitimer US-Präsident. "Was, wenn jemand deshalb eine Waffe geladen und sich auf den Weg nach Washington gemacht hätte?", fragt sie in dem Buch, aus dem die Nachrichtenagentur AP zitiert. "Was, wenn diese Person nach unseren Mädchen gesucht hätte?" Mit diesen rücksichtslosen Lügen habe er die Sicherheit ihrer Familie in Gefahr gebracht. "Und das werde ich ihm nie verzeihen."
Dass sich die beiden je auf höchster politischer Ebene ins Gehege kommen werden, ist unwahrscheinlich. Mehrfach betonte Obama, dass sich schlicht keine Lust darauf habe, Präsidentin zu werden oder zu sein. "Dass ich nicht kandidiere, hat einen Grund: Diesen Job muss man wollen. Aber ich hatte nie diese Leidenschaft für Politik. Ich bin nur zufälligerweise mit jemandem verheiratet, der diese Leidenschaft hat", sagte sie vor Kurzem. Überhaupt, dieses Leben im Weißen Haus – als First Lady brauchte sie lange, um sich an diesen goldenen Hochsicherheitskäfig, der nicht einmal golden ist, zu gewöhnen.
"Barack, das ist das Dümmste, was Du je verlangt hast"
Es sei sogar die "Hölle" soll sie angeblich einmal zu ihrer französischen "Kollegin" und Präsidentengattin Carla Bruni-Sarkozy gesagt haben. Offenbar hatte sie schon geahnt, was dieser "Job" bedeutet. Als ihr Mann sie einst um Zustimmung für seine Präsidentschaftskandidatur bat, sagte sie: "Barack, ich habe dich geheiratet, weil du so süß und so klug bist, aber das ist das Dümmste, was du bisher von mir verlangt hast." Viele Jahre später, 2016 beim Carpool-Karaoke, fragte sie der Komiker James Corden: "Werden Sie es vermissen, nachts um 3 Uhr beim Zimmerservice anrufen zu können?" Ihre Antwort: "Ich will jetzt Freiheit. Meinen Käsetoast kann ich mir selbst machen."
Acht Jahre ist sie als First Lady mit Kindern gehüpft, gesprungen und gelaufen. Sie saß in Talkshows und wettete mit Moderatoren darum, wer mehr Liegestütze schafft. Sie verzauberte die Menschen mit ihrer Lässigkeit und ihrer Kleiderwahl, sie spricht gut und einfühlsam, sie ist das Vorbild vieler Frauen, vor allem solcher, die nicht weiß sind. Sie umarmt eine ganze Nation und den Rest der Welt gleich mit.
Super-Gau bei der Queen
Makel? So gut wie Fehlanzeige. Selbst der protokollarische Super-Gau, damals 2009, als sie im Londoner Buckingham Palast der Queen den Arm um die Schulter legte, wurde schmeichelnd beantwortet: Die Königin von England legte einfach ihre behandschuhte Hand ebenfalls auf Michelles Rücken.
Als sich Barack Obama 2012 zur Wiederwahl stellte, schrieb der stern über das Duell der Kandidaten-Ehefrauen: "Die Frau eines Mannes, der Amerikas Präsident sein möchte, muss stärker sein als er. Sie muss ihn stützen, wenn er strauchelt. Sie muss die Familie vor dem Druck schützen, der über sie hereinbricht. Die Frau eines Kandidaten muss sich verstellen, wenn es die Inszenierung erfordert. Sie wird nicht bezahlt für ihren Job und darf doch nie müde werden." Michelle Obama hat all das erfüllt, sie hat funktioniert und mehr noch: Sie ist in den acht Jahren selbst zu einem Weltstar geworden.
Ein Weltstar auf Lesetour
Und wie ein Weltstar geht sie demnächst auf eine opulente Lesetour. Tritt auf in großen Stadien, steht auf der Bühne mit anderen Legenden wie Oprah Winfrey. Kommt nach Europa. Dazu TV-Auftritte, Radioshows, ganz wenige, hochexklusive Vorab-Interviews - so wie in der nächsten Ausgaben des stern. Es wird der Triumphzug einer Weltpolitikerin, die keine sein will und dem vermutlich genau deshalb die Menschen an den Lippen hängen. Der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio sagte einmal: "Meine Frau steht nicht hinter mir, sondern neben mir." Barack Obama kann nun behaupten, dass seine Frau sowohl hinter als auch neben und sogar noch vor ihm steht. Wer kann das schon.
Quellen: Weißes Haus, "Washington Post", Axios, "USA Today"