Es gibt keine Privatperson, die der Ukraine mehr geholfen hat als Elon Musk. Kiews Streitkräfte nutzten sein Starlink-System ohne zu bezahlen, lange Zeit trug Musk die Kosten – danach sprang das Pentagon ein. Gedankt wird es ihm nicht von der Pro-Ukraine-Fraktion. Im Gegenteil, er wurde immer wieder scharf angegriffen. Wenn ukrainische Drohnen Starlink nicht über russisch besetztes Gebiet nutzen können, gilt das als Landesverrat. Wenn Russen illegal importierte Systeme nahe der Front benutzen, erst recht. Musk wurde zur Unperson, weil er die Siegchancen der freien Ukraine stets skeptisch beurteilt hat.
So nun auch wieder in einem Tweet. Musk antwortete auf eine Auseinandersetzung, ob die Prognosen des Experten für urbane Kriegsführung John Spencer hilfreich sind oder ob der nicht meist falsch gelegen hat. Direkt geht Musk nicht auf Spencer ein, aber er gibt seine Einschätzung der Kriegslage preis.
Elon Musk zur Sommeroffensive 2023
"Es war eine tragische Verschwendung von Leben für die Ukraine, eine größere Armee anzugreifen, die über eine tiefgreifende Verteidigung, Minenfelder und stärkere Artillerie verfügte, während es der Ukraine an Panzern oder Luftüberlegenheit mangelte! Jeder Idiot hätte das vorhersagen können."
Eine derbe Wortwahl, denn an Experten, die sich zum "Idioten" gemacht haben, fehlt es nicht. Die Lage 2023 war so, wie Musk sie beschreibt, doch im Westen haben im Frühjahr 2023 die meisten Experten einen glänzenden Sieg herbeigeredet – inklusive Durchbruch zum Meer und Siegesfeier auf der Krim.
Das Gegenteil ist geschehen, doch an die Fehlprognosen zu erinnern, gilt als unangebracht. "Laie" Musk hingegen hat schon damals eine tiefe und elastische Verteidigung empfohlen. Diese Strategie will Kiew jetzt aufbauen, nur unter sehr viel schwierigeren Bedingungen als im Mai 2023.
Musk hält Fall von Odessa für möglich
Wegen des Widerstandes in der ukrainischen Bevölkerung sieht Musk "keine Chance", dass Putin die ganze Ukraine besetzt. Aber: "Je länger der Krieg dauert, desto mehr Territorium wird Russland gewinnen, bis es den Dnepr erreicht, der schwer zu überwinden ist." Und wenn der Krieg dann nicht zu Ende geht, wird auch Odessa fallen, so seine düstere Prognose. In diesem Krieg geht es nur noch darum, wie schlecht der Frieden sein wird, den Kiew erreichen kann. "Ob die Ukraine jeden Zugang zum Schwarzen Meer verliert oder nicht, ist meiner Ansicht nach die eigentlich verbleibende Frage." Ohne den Zugang zum Meer würde von der freien Ukraine nur ein amputierter, nicht lebensfähiger Rumpfstaat übrig bleiben. "Ich empfehle eine Verhandlungslösung, bevor es dazu kommt."
Für diesen Post wird Musk mit Kritik und Hetze überschüttet. Tatsächlich sind die Raumgewinne der Russen in den letzten Monaten überschaubar. Macer Gifford, ein bekannter Brite, der auf der ukrainischen Seite kämpft, schreibt etwa: "Wenn Sie wüssten, wie zutiefst ignorant dieser Tweet ist, wäre es Ihnen zu peinlich, ihn zu veröffentlichen ..."
Was ist dran an Elon Musks Prognose?
Zum Inhalt: Musks zurückhaltende Meinung zu den Möglichkeiten der Sommeroffensive war im Sommer 2023 eine Minderheitenposition. Doch inzwischen sind viele Verteidigungsexperten umgeschwenkt. Im absolut pro-ukrainischen "Telegraph" wurde schon der Fall von Kiew an die Wand gemalt. Heute artikuliert Musk eher die Mehrheitsmeinung, allerdings in seinem deftigen Stil.
Tatsächlich sind die Aussichten, die Musk andeutet, sehr düster. Zwischen den Zeilen ist zu lesen, dass ein "Einfrieren" des Konflikts seiner Meinung nach keine Option ist. Einfrieren hieße ein Waffenstillstand entlang des jetzigen Frontverlaufs, der Kiew eine Atempause bietet und dem Westen die Chance, alle Versäumnisse in der Rüstungsproduktion wettzumachen. Solange das Momentum bei den Russen liegt, ist das tatsächlich eher unwahrscheinlich.
In der Sicht von Musk bleibt Kiew nur die Option, Gebiete im Osten abzutreten. Und je weiter die Russen vorrücken, umso größer wird die Scheibe sein, die Putin aus der Ukraine heraussäbelt.
Sicher sind derartige Prognosen nicht. Musks Tweet geht davon aus, dass Kiews Unterstützung aus dem Westen in etwa so bleibt wie sie jetzt ist. Also dass dann und wann eine Handvoll "Wunderwaffen" wie demnächst die F-16 geliefert wird, man aber den eigentlichen Bedarf der ukrainischen Streitkräfte nicht decken kann. Zwingend ist das nicht: Würde die Wirtschaft des Westens Kriegsanstrengungen unternehmen wie die USA im Zweiten Weltkrieg und die Bevölkerung entsprechende Opfer akzeptieren, würde sich das Blatt zugunsten Kiews wenden, doch danach sieht es derzeit nicht aus – vor allem nicht in den USA. Unabhängig von Trumps Getöse haben die USA China als Hauptgegner ausgemacht, das Engagement für die Ukraine muss daher so bemessen sein, dass es die wichtigeren Interessen der USA wie Israel oder Taiwan nicht gefährdet.