Die Frage stand schon Jahre lang im Raum: Wie lange hält der Kremlkritiker Alexej Nawalny dem russischen Regime Stand? Jetzt melden die Gefängnisbehörden: Der Oppositionelle ist in einer sibirischen Strafkolonie gestorben. Nawalnys Team und dessen Familie können die Nachricht bisher nicht bestätigen. Seine Frau, Julia Nawalnaja, wies die Meldung in ihrer Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz zwar nicht zurück, äußerte aber deutliche Zweifel. "Ich weiß nicht, ob wir den schrecklichen Nachrichten glauben sollen, die wir ausschließlich aus staatlichen russischen Quellen erhalten", sagte sie am Freitag in ihrer kurzfristig anberaumten Rede in Bayern. "Wir können Putin und Putins Regierung nicht glauben", fügte sie hinzu. "Sie lügen immer."
Bei ihrem Auftritt zeigte sich Julia Nawalnaja gefasst, zwischendurch kämpfte sie aber mit den Tränen. Zuvor habe sie noch überlegt, ob sie angesichts der Nachrichten wieder zu ihren Kindern fliegen sollte. Dann habe sie sich gefragt: "Was hätte Alexej getan? An meiner Stelle? Und ich bin mir absolut sicher, er wäre hier geblieben. Er hätte zu Ihnen von diesem Platz ausgesprochen."
Sollte die Nachricht stimmen, müsse sich Putin für den Tod ihres Mannes verantworten, sagte sie sichtlich angespannt. Er und seine Verbündeten sollten "bestraft werden für das, was sie unserem Land, meiner Familie und meinem Mann angetan haben". Der Tag, an dem sie zur Verantwortung gezogen würden, werde bald kommen. Am Ende ihrer knapp zweiminütigen Ansprache rief Julia Nawalnaja die internationale Gemeinschaft und die Zuhörer im Saal der Sicherheitskonferenz auf, "dass sie sich vereinigen und das Böse bekämpfen."
Nawalny für Kreml ein Störfaktor
Nawalny galt als Hauptgegner von Kremlchef Putin seit Langem dem Tod geweiht. Nun sei er nach einem Spaziergang zusammengebrochen, Wiederbelebungsversuche hätten keinen Erfolg gehabt, hieß es. Seit langen schon wirft Nawalnys Team dem Kreml vor, den Oppositionsführer töten zu wollen. 2020 überlebte er nur knapp einen Anschlag mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok.
US-Außenminister Antony Blinken hat nun Moskau für den Tod des prominenten Oppositionspolitikers verantwortlich gemacht. Das russische Außenministerium reagierte darauf verärgert und warf den USA seinerseits "pauschale Anschuldigungen" vor. "Der Tod eines Menschen ist immer eine Tragödie", hieß es am Freitag in einer Erklärung. "Statt pauschaler Anschuldigungen sollte man Zurückhaltung üben und die offiziellen Ergebnisse der gerichtsmedizinischen Untersuchung abwarten."
Für den Kreml galt Nawalny auch im Straflager als Ärgernis und Störfaktor, weil er vor der genau in einem Monat angesetzten Präsidentenwahl zu Protesten gegen Putin aufrief. Seine Familie zeigte sich entsetzt über die Nachricht. Noch in dieser Woche habe sie ihren Sohn besucht und "lebendig, gesund und lebenslustig" erlebt, sagte Nawalnys Mutter Ljudmila.