Korruptionsaffäre Kurz tritt als Kanzler zurück – nicht aber als Machthaber

Kurz' Nachfolger
Ex-Kanzler Sebastian Kurz mit seinem Nachfolger Alexander Schallenberg.
© Robert Jaeger/APA / DPA
Der österreichische "Wunderwuzzi" hat das Kanzleramt niedergelegt – und trotzdem behält er die Zügel in der Hand. Dass sich in dem Land künftig nicht viel ändern dürfte, hat aber noch einen anderen Grund.

Einsicht ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung – leider war es weder Einsicht, noch Demut, die Sebastian Kurz am Samstagabend dazu bewogen, vom Amt des österreichischen Bundeskanzlers zurückzutreten. Die gegen ihn erhobenen Korruptionsvorwürfe wies er weiter zurück. "Die Vorwürfe sind falsch, ich werde das aufklären können, davon bin ich zutiefst überzeugt."

Stattdessen inszenierte sich Kurz als verantwortungsbewusster Staatsmann, der dem Land durch sein eigenes Opfer "Chaos", "Stillstand" und eine Regierung unter Beteiligung der FPÖ erspart. Und gleichzeitig mit seinem Rücktritt die Koalition gerettet hat. "In dieser schwierigen Zeit sollte es niemals um persönliche Interessen oder Parteiinteressen gehen. Mein Land ist mir wichtiger als meine Person", betonte Kurz bei der Pressekonferenz.

Ob das so stimmt? Schon am Beginn seiner politischen Karriere galt Kurz als machbewusst – auch wenn viele, darunter vor allem Konservative aus Deutschland, angesichts seines Charismas und geschniegelten Äußeren gern darüber hinwegsahen. Auch den Medien fiel der PR-affine Kanzler positiv auf. "Warum haben wir nicht so einen?", schrieb etwa die "Bild"-Zeitung 2017 zu den Nationalratswahlen. Mit einer Jahre anhaltenden GroKo unter Boomern dürften die teils schmachtenden Blicke auf den jungen Berufspolitiker im Lieblingsurlaubsland der Deutschen nicht überraschen.

Vom politischen Überflieger zum skrupellosen Berufspolitiker

Dass unter anderem Armin Laschet und Paul Ziemiak Kurz' Wahlkampfstrategie 2019 noch als Vorbild für die Union lobten, entbehrt angesichts der nun veröffentlichten Chats nicht einer gewissen Ironie. "Er hat seine Themen gehabt, er ist bei seinen Themen geblieben, er hat nicht den politischen Gegner beschimpft, sondern für seine Ideen geworben", sagte Laschet. Von diesem Lob dürfte jetzt kaum noch etwas übrig bleiben.

Wer die Chats gelesen hat, dem offenbart sich ein gegenteiliges Sittenbild von Kurz und seiner Partei. Er und seine Vertrauten hatten darin den ehemaligen ÖVP-Parteichef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner als "Linksdilettanten" und "oasch" beschimpft. Die Wortwahl bezeichnete Kurz im Nachinein als überzogen. Zudem zeigen die Chats, dass Kurz als damaliger Außenminister Projekte der Regierung torpedierte. Damit zerbröselt das Bild des jungen Überfliegers, der der ÖVP nach seiner Wahl zum Bundeskanzler zu neuem Aufschwung verhalf. Was bleibt ist das verkommene Sittenbild eines machthungrigen und skrupellosen Politikers, der nicht einmal davor scheut, für den eigenen Erfolg Parteikollegen aus dem Weg zu räumen. Schwer wiegt auch der Verdacht, Kurz und seine Vertrauten hätten sich mit frisierten Umfragen eine positive Berichterstattung erkauft – und diese mit Steuergeldern finanziert.

Der grüne Koalitionspartner bezeichnete die Zusammenarbeit mit der ÖVP daraufhin als untragbar, Vize-Kanzler Werner Kogler forderte den Rücktritt von Sebastian Kurz. Für den Fall, dass Kurz dem nicht nachkommen würde, hatte sich die Partei bereits nach anderen Koalitionspartnern umgesehen. Für Dienstag war zudem eine Sondersitzung angesetzt. Dort sollte auch ein Misstrauensvotum gegen Kanzler Kurz gestellt werden. Es wäre nicht das erste Mal gewesen.

Der neue Kanzler: diplomatischer Hardliner mit Kurz-Kontakt

Dass Kurz dem zuvorkam und selbst seinen Rücktritt als Kanzler verkündete, könnte man als weitere Machtdemonstration werten. Ein kluger Schachzug ist es allemal, denn als Partei- und Fraktionschef der ÖVP behält Kurz die Zügel in der Hand. Und auch seinen Posten als Kanzler hat er möglichst vorteilhaft an den derzeitigen Außenminister Alexander Schallenberg weitergegeben. Der aus einer Adelsfamilie stammende Chefdiplomat war jahrelang Berater von Kurz und könnte, dank seines Verhandlungsgeschicks, die Wogen um den Korruptionsskandal glätten. 2019 war er bereits Außenminister in der Übergangsregierung und das einzige Mitglied, das in die neue Regierung übernommen wurde.

In Sachen Migration gilt Schallenberg als Hardliner – und mit Kurz auf einer Wellenlänge. Als der grüne Koalitionspartner 2020 die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem abgebrannten Lager auf der griechischen Insel Lesbos forderte, sagte Schallenberg: "Das Geschrei nach Verteilung kann nicht die Lösung sein". Innenpolitisch sitzt Schallenberg weniger fest im Sattel, war lange parteilos und trat erst zuletzt der ÖVP bei. Gut möglich, dass er sich für Ratschläge mit Kurz zusammensetzt.

Für die Grünen ist die Neubesetzung daher nur bedingt ein Sieg. Einerseits haben sie nun die von ihnen geforderte "untadelige Persönlichkeit". Dass Schallenberg sich von dem von Kurz gefahrenen Kurs abwendet, scheint jedoch unwahrscheinlich. Als Fraktions- und Parteichef der ÖVP könnte Kurz im Hintergrund weiter als "Schattenkanzler" agieren.

Abhängiger Journalismus

Dass sich politisch wenig in Österreich ändert, könnte jedoch nicht nur mit der Person Sebastian Kurz zusammenhängen. Der Korruptionsskandal um ihn und die ÖVP hat gezeigt, dass unabhängige Berichterstattung für eine Demokratie unerlässlich ist. Im Vergleich zu Deutschland ist Österreich nicht nur politisch ein kleines Land. Auch der Medienmarkt ist überschaubar – und finanziell von der Gunst der Politik abhängig. Eine Abhängigkeit, die historisch nie ausgewachsen ist. Anders als in Deutschland etwa, betrieben die österreichischen Parteien nach dem Zweiten Weltkrieg sogenannte Parteienblätter. Das "Oberösterreichische Volksblatt" der ÖVP ist zwar das letzte dieser Art, finanziell hängen vor allem billige Anzeigenblätter und die Boulevardpresse immer noch am Tropf der politischen Inserate.

Und auch beim größten Fernsehsender ORF sieht es nicht viel anders aus. Die Vorsitzendern werden dort von Stiftungsräten gewählt, die politischen Parteien nahestehen. Da die ÖVP in sieben der neun Bundesländer regiert und mehrheitlich in den Stiftungsräten vertreten ist, bleibt auch ihr Einfluss auf das Mediensystem weiter bestehen.

Zwar sollte die österreichische Presse aus dem Skandal um Kurz und die ÖVP einen kritischeren Umgang mit dem politischem Einfluss gelernt haben. Ist der finanzielle Druck auf die Presse allerdings hoch, dürfte das Umdenken nicht allzu lange anhalten.