Es sollte ein Heldenepos werden. Die Geschichte des Mannes, der Osama bin Laden erschoss. Tagelang hatte der konservative amerikanische Fernseh-Sender Fox News für das Exklusiv-Interview mit dem Elite-Soldaten Rob O'Neill geworben. Die Bühne war bereit, für den 38-Jährigen, der nicht nur behauptet, den meistgesuchten Terroristen der Welt im Mai 2011 in Pakistan getötet zu haben, sondern auch noch seinen Namen öffentlich machte und in einem langen Interview mit Fox News detailliert von der Nacht erzählte.
In der Dokumentation "Der Mann, der Osama bin Laden tötete" an zwei Abenden zur besten Sendezeit, wollte er die Welt seine Geschichte hören lassen. Und weil sie so wunderbar patriotisch ist, sollte die Erstausstrahlung am "Veterans-Day" sein - dem nationalen Feiertag für die Kriegsheimkehrer. O'Neills Name sollte an diesem Abend zum ersten Mal öffentlich gemacht werden. Und er damit zum amerikanischen Helden aufsteigen.
Verräter statt Kriegsheld
So weit der Plan. Aber für seine Ex-Kollegen in der Army ist Rob O'Neill kein Kriegsheld, sondern schlichtweg ein schäbiger Verräter. Der sich nicht an das Schweigegelübde seiner Einheit, den Navy-Seals Team 6, hält. Denn die stille Absprache unter den Kämpfern war: Niemand sollte darüber reden, was bei dem Einsatz in Pakistan passiert war. Niemand sollte für sich beanspruchen, Osama bin Laden getötet zu haben. Sein Tod sei eine Teamleistung gewesen. Und so solle es auf ewig bleiben. Ein Einzelner, der seine Leistung über die der anderen erhob, gilt als Ausgestoßener. Der Schwur unter Männern war gebrochen. Der Abtrünnige musste bestraft werden.
So dauerte auch nur wenige Stunden, nachdem Fox News die erste Pressemitteilung zum Outing des Killers von bin Laden vor zwei Wochen herumgeschickt hatte, bis die Seals wütend den Ex-Kameraden auf der Internetplattform sofrep.com enttarnten. Bald tauchten Audio-Mitschnitte von Gesprächen auf, die er in den vergangenen Monaten mit einer freien Journalistin über den Einsatz in Pakistan geführt hatte. Schnell kannte ganz Amerika das Gesicht von Rob O'Neill, einem rotblonden Mann, der inzwischen die Army verlassen hatte und als Motivationstrainer arbeitet.
Außerdem säten die Seals den Zweifel. "Rob O'Neills Erzählungen stimmen nicht", ließen sie unterkühlt durchsickern. Mehr nicht, aber es reichte. Der Kriegsheld nur ein Wichtigtuer? Gar ein Lügner? Tagelang diskutierte das ganze Land darüber. Der Supergau für Fox News.
Patriotisch überzeichnete Inszenierung im TV
Aber der Sender ließ sich nicht beirren. Hielt an der Ausstrahlung der Doku gestern und vorgestern fest. Ließ den Moderator Peter Doocy, der auch das Interview geführt hatte, noch wenige Minuten vorher sagen: "Es ist eine der wichtigsten Sendungen, die man jemals sehen wird."
Dann begann die patriotisch überzeichnete Inszenierung. Zu Klavier- und Synthesizer-Klängen zeigte sich Rob O'Neill. Ein Mann aus dem Dorf Butte in Montana. Der sich nach dem Schulabschluss mit Gelegenheitsjobs als Burgerbrater und Pizzalieferant durchs Leben rettete. Und sich als 20-Jähriger von der Navy anwerben ließ, obwohl er gar nicht nicht schwimmen konnte. Während er davon erzählt, sitzt er in einem abgedunkelten Raum. Sein Gesicht ist leicht im Schatten. Das Einstecktuch im dunklen Sakko sitzt perfekt. Am linken Revers klemmt eine kleine amerikanische Flagge, hinter O'Neill steht eine weitere Fahne. Diese sorgsam zu einem Dreieck zusammengefaltet.
Die Bühne ist perfekt bereitet. Aber so richtig will die Show nicht zünden. Das liegt zum einem an den ewig langen Einspielfilmen, in denen die Lebensgeschichte Rob O'Neills bis ins kleinste Details erzählt wird. Es liegt aber auch an dem 27-jährigen Moderator, der so übermotiviert ist, dass jede seine Fragen so unerträglich hölzern daher kommt. Manchmal ist Peter Doocy einfach nur peinlich. Etwa, als er in Montana auf einer Wiese steht und dichtet: "Es war hier in Butte, wo er das Autofahren lernte, hier lernte er das Schießen und hier führte ihn das Schicksal zum Militär."
"Jetzt holen wir uns ihn"
Und dann liegt es auch noch an Rob O'Neill und seinen Antworten, die oft an Realsatire erinnern.
Der Moderator fragt: "Ihr Gesicht war das Letzte, dass Osama bin Laden in seinem Leben gesehen hat?" Rob O'Neill: "Wenn es hell genug gewesen wäre, hätte er es gesehen."
In einem ewigen langen Hin und Her erzählt Rob O'Neill seine Geschichte. Wie er elfmal im Kriegseinsatz für die Army war. Bei wichtigen Einsätzen Leben rettete. Wie er beim Tauchen in Miami erfuhr, dass er zu einem neuen Einsatz müsse. Den Soldaten nicht gesagt wurde, wen sie fangen sollten. Und alle so zunächst glaubten, sie sollten den lybischen Revolutionsführer Mummar al-Gaddafi entführen. Während der ganzen Zeit wirkt Rob O'Neill extrem konzentriert. Emotionen zeigt er nur selten. Meist lächelt er leicht entrückt.
Irgendwann fällt dann endlich der Name Osama bin Laden. Das ist der Moment, in dem Rob O'Neill sich zum ersten Mal in die Seele blicken lässt. Denn eigentlich war er als Team-Leiter für die Außentruppe vorgesehen. Er sollte mit seinen Leuten das Haus sichern, in dem man den meistgesuchten Mann der Welt vermutete. Aber als er erfuhr, dass die CIA-Profiler bin Laden im dritten Stock vermuteten, überzeugte er seine Vorgesetzen, dass er mit ins Haus müsse. "Ich wollte im dritten Stock sein. Wir sind im Krieg wegen ihm, jetzt holen wir uns ihn", sagt O'Neill. Er hätte auch sagen können: "Ich wollte bin Laden erschießen."
Keine kritischen Fragen
Der rotblonde Mann gibt sich alle Mühe, von sich das Bild des Supersoldaten zu zeichnen. Und Fox News lässt ihn gewähren. Kritische Fragen gibt es nicht. Der Sender, der eher an einen Fanclub der Republikaner erinnert, hatte die Ausstrahlung des Filmes exakt nach den Zwischenwahlen in den USA geplant. Ihre Sendung sollte Präsident Barack Obama und den Demokraten, der den Einsatz befohlen hatte, nicht eine Stimme einbringen.
O'Neill erzählt immer weiter. Von seinem Abschiedsbrief an seine Kinder. Dass er glaubt, seine Truppe würde in Pakistan sterben, weil er glaubte, es sei ein Kamikaze-Einsatz. Und das er bereit dazu war, Hauptsache, bin Laden ist tot. Aber irgendwann kommt er dann endlich zum finalen Moment. Die Musik wird lauter, der Patriotismus fast unerträglich. O'Neill gibt Gas. Beim Landeanflug auf das Haus von bin Laden habe er immer wieder den Satz von George W. Bush vom 11. September kurz nach den Terroranschlägen vor sich her gesagt: "Ein gesichtsloser Feigling hat heute die Freiheit angegriffen. Die Freiheit muss verteidigt werden." Nach der Landung habe er sich mit seinen Mitsoldaten langsam durch das Haus gearbeitet. Sein Ziel sei der dritte Stock gewesen.
Schließlich habe er sich mit einem weiteren Soldaten vor ihm die Treppe hinauf gekämpft. Und dann: "Keinen Meter entfernt stand bin Laden, er hatte die Hände auf den Schultern seiner Frau und nutzte sie als Schutzschild." Sofort habe er das Gesicht erkannt und ohne zu Zögern gefeuert. Dreimal. Ins Gesicht. "Pop, Pop, Pop", sagt O'Neill. Fox News spielt Schüsse ein. Der Bildschirm wird zwei Sekunden lang schwarz. Bin Laden sei sofort zusammengebrochen. O'Neill sagt: "Ich habe über ihm gestanden und gehört, wie er seinen letzten Atemzug tat."
"Osama bin Laden starb ängstlich"
Ob bin Laden vorher noch etwas gesagt habe, will der grinsende Moderator wissen. "Nein, wir haben uns nur für eine Sekunde getroffen, das war es", sagt O'Neill. Aber trotzdem glaubt er zu wissen: "Osama bin Laden starb ängstlich."
Eigentlich ist die Show damit vorbei. Aber in den folgenden zehn Minuten rechtfertigt der Ex-Soldat, warum er nun an die Öffentlichkeit geht. Er redet herum, windet sich, aber schnell ist klar, dass er auf sich und seine Schüsse stolz ist. Dass er endlich die ganze Welt wissen lassen will, was für ein Held er ist. "For God and Country", sagt er. Sein ganzes Leben habe er immer wieder zu seinen Eltern gesagt, ich bin hier, um etwas Besonderes zu tun. Kurz nach dem Einsatz rief er seine Mutter an: "Mum, ich habe etwas besonderes getan." Das sollen nun alle wissen.
Es gibt nicht Wenige, die glauben, O'Neill sei nur am Geld interessiert, dass er mit seinen Enthüllungen verdienen kann. Kurz nach dem Einsatz gegen bin Laden schied O'Neill freiwillig aus der Army aus. Er fürchtete nach einem weiteren Einsatz in Afghanistan Angst um sein Leben. Weil er nur 16 Jahre diente und nicht die erforderlichen 20 Jahre, verlor er seinen Anspruch auf Ehrensold oder Pension.