Monoton wiegen sie sich hin- und her, lernen den Koran stundenlang auswendig und rezitieren ihn in Arabisch, einer Sprache, die sie in der Regel nicht beherrschen. Zweieinhalb Jahre dauert für die Kinder und Jugendlichen das Auswendiglernen in den Koranschulen, den Medresen (auch: Madrasen), die als Brutstätten des Terrorismus gelten. Nach den Anschlägen in der britischen Hauptstadt sind sie wieder ins Schlaglicht gerückt. Selbst Pakistans Präsident Pervez Musharraf musste zugeben, dass "heutzutage manche dieser Koranschulen an Extremismus und Terrorismus beteiligt sind".
"Nichts als ein Packen Lügen"
Unter den vier Verdächtigen für die Londoner Anschläge sind drei Briten pakistanischer Herkunft. Bislang hieß es von den pakistanischen Behörden, die drei Männer hätten ihr Heimatland vor rund einem Jahr besucht. Mindestens einer von ihnen soll erst vor wenigen Monaten eine Koranschule in der Stadt Lahore besucht haben, die angeblich von einer militanten Gruppe geführt wird. Ein Sprecher der Medrese Markaz-e-Tayyaba bestätigte, dass Tanweer Shehzad zwischen Dezember 2004 und Februar 2005 insgesamt fünf Tage in der Religionsschule war. Es sei aber "nichts als ein Packen Lügen, dass Tanweer während seines Aufenthaltes militärisches Training bekommen hat". Markaz-e-Tayyaba wird von Jamaatud Da'awa betrieben, einer Bildungsorganisation der verbotenen militanten Gruppe Lashkar-e-Tayyaba.
Die islamische Republik Pakistan
Mit geschätzten 145 Millionen Einwohnern auf einer Fläche von 796.095 Quadratkilometern gehört Pakistan zu den dicht besiedelten Ländern der Erde. 95 Prozent der Bevölkerung sind Moslems. Die Landesprache Urdu wird nur von weniger als zehn Prozent der Bevölkerung als Muttersprache gesprochen. Nach wie vor dient Englisch, die Sprache der einstigen Kolonialherren des indischen Subkontinents, als Geschäfts-, Amts- und Bildungssprache. Das größte Problem Pakistans ist neben der geographischen Lage zwischen Iran, Afghanistan, China und Indien sowie den ungelösten Konflikten der verschiedenen Volksgruppen untereinander die desolate wirtschaftliche Situation. Pakistan wandelt ständig am Rande des Staatsbankrotts.
Kritiker werfen dem pakistanischen Militärmachthaber vor, seine Zusage nicht gehalten zu haben. Nach den Anschlägen von New York und Washington vor fast vier Jahren hatte der noch eine Kontrolle der Koranschulen in seinem Land versprochen. Mit Hasspredigten gegen den Westen und für den Heiligen Krieg sollte Schluss sein. So beeilte sich der pakistanische Innenminister Aftab Khan Sherpao nach den Anschlägen von London auch, erneut eine bessere Überwachung der Koranschulen zu versprechen. Die Regierung werde gegen Medresen vorgehen, die den Dschihad (Heiligen Krieg) predigten oder junge Menschen indoktrinierten, sagte er. Tatsächlich hat Islamabad bislang kaum mäßigenden Einfluss auf radikale Religionsschulen genommen - die nach dem 11. September 2001 dazu übergegangen sind, ihr Gedankengut weniger öffentlich zu verbreiten.
Die unabhängige International Crisis Group, die sich die Vermeidung oder Lösung von Konflikten zum Ziel gesetzt hat, publizierte im vergangenen Jahr einen vernichtenden Bericht zu Musharrafs Extremismuspolitik. Dort heißt es, Pakistan habe dabei versagt, "die Zusagen zur Reform der Medresen und zur Eindämmung des Wachstums der Dschihadi-Netzwerke in einem substanziellen Ausmaß zu erfüllen". Der religiöse Extremismus in dem südasiatischen Land bedrohe daher weiterhin die regionale und internationale Sicherheit.
Religiöse und militärische Ausbildung
Die Zahl der Koranschulen in Pakistan nahm nach dem Einmarsch der Sowjets in Afghanistan 1979 drastisch zu. In den Medresen bekamen die Schüler (paschtunisch Talib/dt. Taliban)) eine religiöse wie auch eine militärische Ausbildung, um als Mudschaheddin in den Kampf gegen die Rote Armee im Nachbarland zu ziehen. Die mächtigen Besatzer mussten 1989 ihre Niederlage eingestehen und Afghanistan verlassen. Mit der Übernahme der Macht in Kabul 1996 führten die Taliban überall eine strenge islamische Ordnung ein. Gemäß der Scharia und überwacht durch Sittenwächter durften sich Frauen nur voll verschleiert in der Öffentlichkeit zeigen und keinen Beruf ausüben. Männer mussten Pluderhosen, Turbane und Bärte tragen. Fotoapparate, Fernseher und Tanz waren ebenso verboten wie Glücksspiele oder Internet. Die meisten Regierungsmitglieder des Ende 2001 gestürzten Regimes waren in Pakistan aufgewachsen und in pakistanischen Medresen ausgebildet, mit Hilfe des pakistanischen Geheimdienstes ISI militärisch geschult und dann für die Bewegung rekrutiert worden. Unterstützung fanden die jungen Milizionäre in den USA, die sich davon neue Handelswege und den Zugang zu den großen Öl- und Erdgasvorkommen der zentralasiatischen Staaten versprachen.
Nach pakistanischen Medienberichten besuchen in Pakistan immer noch rund 1,7 Millionen Schüler nicht vom Staat regulierte Koranschulen. Ihnen werden Kontakte zu verbotenen extremistischen Gruppierungen wie etwa Jaish-e-Mohammad (Mohammeds Armee) und Sipah-e-Sahaba (Soldaten von Mohammeds Gefährten) nachgesagt. Analytiker in den USA gehen davon aus, dass jede zehnte der rund 14.000 Medresen militante Ideen propagiert - und dort unter den Schülern ein gigantisches Rekrutenpotenzial für Terrororganisationen herangezogen werden könnte. Allerdings verweisen Analytiker auch darauf, dass die allermeisten Koranschulen moderate Weltanschauungen predigen. Sie bieten jungen Menschen eine Chance auf Bildung in Pakistan - eines von weltweit nur zwölf Ländern, die weniger als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ins Bildungswesen investieren.
"Wir sind besorgt, was in manchen, wenn auch nicht in allen Medresen in Pakistan vor sich geht", sagte der britische Außenminister Jack Straw. "Aber das gilt auch für Präsident Musharraf." Analytiker der International Crisis Group hegen dagegen Zweifel an den stets wiederholten öffentlichen Bekundungen Musharrafs gegen den muslimischen Extremismus. Einen Beitrag für die "Washington Post" im vergangenen Jahr überschrieben sie mit dem Titel: "Musharraf praktiziert nicht, was er predigt."
Rede an die Nation
Musharraf will Regierungsvertretern zufolge am Donnerstag in einer im Fernsehen und Rundfunk übertragenen Rede an die Nation Details zu dem Vorgehen gegen Islamisten im eigenen Land nennen. Innerhalb von zwei Tagen hatten die Sicherheitsbehörden nach eigener Darstellung mehr als 150 mutmaßliche Extremisten festgenommen. Darunter soll auch ein Brite sein, der als Komplize der Attentäter verdächtigt wird.