Pakistans politische Zukunft bleibt ungewiss. Die am Neujahrstag mit Spannung erwartete Entscheidung über den Termin der Parlamentswahl wurde erneut auf Mittwoch vertagt. Als sicher gilt inzwischen allerdings, dass die Abstimmung um mehrere Wochen verschoben wird. Mitglieder der staatlichen Wahlbehörde hatten mitgeteilt, es sei unmöglich, die Wahlen wie geplant am kommenden Dienstag abzuhalten. Als Alternative, so verlautete aus Islamabad, habe die Kommission einen Termin Mitte Februar ins Auge gefasst.
Ein weiteres Indiz für eine Verschiebung ist die Ankündigung, Staatschef Pervez Musharraf werde sich am Mittwochabend mit einer Rede an die Nation wenden - nach Verkündung des neuen Wahltermins.
Für die Wahlkommission liegen die Gründe auf der Hand. Der Mord an Oppositionsführerin Benazir Bhutto hatte landesweit nicht nur tiefe Trauer, sondern auch heftige Krawalle ihrer Anhänger ausgelöst. Dabei waren mehr als 40 Menschen ums Leben gekommen und hunderte Autos und Geschäfte in Brand gesteckt worden. Auch Einrichtungen der Wahlkommission wurden verwüstet. In der südlichen Provinz Sindh seien Büros in 13 von 23 Distrikten dem Erdboden gleich gemacht worden, hieß es. Zerstörte Unterlagen wie Wahlscheine und Wählerlisten können nach Ansicht der Kommission so schnell nicht ersetzt werden.
Pakistans Oppositionsparteien reagierten mit Unverständnis auf die rein formelle Begründung. "Wenn im Irak, Afghanistan oder in Afrika Wahlen stattfinden können, warum nicht auch in Pakistan", donnerte Asif Ali Zardari in einem Fernsehinterview. Bhuttos Witwer und neuer Vizechef der Pakistanischen Volkspartei PPP ist davon überzeugt, dass rein politische Gründe hinter der Verschiebung stehen. Denn nach dem Tod seiner populären Ehefrau ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die PPP auf einer Sympathiewelle zum Wahlsieg getragen wird und die Musharraf-treue Muslim-Liga PML-Q von der Macht verdrängt.
"Musharraf läuft davon"
Auch der Chef der oppositionellen Muslim-Liga PML-N, Ex-Premier Nawaz Sharif, griff den Präsidenten scharf an. "Musharraf läuft vor den Wahlen davon, da er seine Niederlage kommen sieht", erklärte Sharif am Montag. Musharraf benutze die Wahlkommission dabei als Handlanger. Auch auf der Straße macht sich Unmut breit. "Die PML-Q hat Angst davor, bei der Wahl von einem Sturm des Hasses hinweg gefegt zu werden", glaubt der 20-jährige Mushtaq Ahmad, der in Islamabad einen kleinen Blumenladen betreibt.
Politische Beobachter gehen davon aus, dass eine Verschiebung der Wahlen in der Tat Musharraf zugutekommt. Denn die Regierungsparteien hätten Zeit, in der Bevölkerung wieder an Boden zu gewinnen. "Uns stehen weitere Wochen mit einer schwachen Übergangsregierung an der Spitze bevor", sagt der pakistanische Journalist Ayaz Amir. "Das ist gefährlich, sorgt es doch für anhaltende Unsicherheit im Land."
Neues Videomaterial
Unterdessen wurde über das Attentat neues Videomaterial veröffentlicht, das Zweifel an der Regierungsversion über den Tathergang aufkommen ließ. Der Film, der dem britischen Fernsehsender Channel 4 vorliegt, zeigt einen Mann, der aus nächster Nähe aus einer Handfeuerwaffe Schüsse auf Bhutto in ihrem offenen Wagen abgibt. Sie bewegt sich ruckartig nach oben, was deutlich an ihrem Haar und ihrem Schal zu sehen ist und darauf schließen lässt, dass sie getroffen wurde. Dann fällt sie in sich zusammen, und unmittelbar darauf wird ihr Fahrzeug von einer gewaltigen Explosion erschüttert. Die Regierung hat mitgeteilt, Bhutto sei nicht von Kugeln getroffen worden.
Geheimnisvolles Dossier
Ein Berater der Politikerin teilte am Dienstag mit, Bhutto habe sich am Abend ihres Todestages mit Abgeordneten aus den USA treffen wollen, um ihnen ein Dossier über Vorbereitungen auf Wahlfälschungen zu übergeben. Der PPP-Abgeordnete Latif Khosa sagte, er habe den 160-seitigen Bericht selbst erstellt. Bhutto habe ihn persönlich Senator Arlen Specter und dem Abgeordneten Patrick Kennedy übergeben wollen. Khosa warf der Wahlkommission unter anderem vor, absichtlich drei Millionen Wahlberechtigte nicht in das Wählerregister aufgenommen zu haben.
Bhuttos Sohn studiert weiter
Unterdessen traf der neue Vorsitzende der PPP, der 19-jährige Sohn von Benazir Bhutto, wieder in Dubai ein. Bilawal Bhutto Zardari wurde auf dem Flug in die Vereinigten Arabischen Emirate von seinen zwei Schwestern begleitet. Der Student der Oxford University will den Vorsitz nur in seinen repräsentativen Aufgaben übernehmen, die politische Leitung liegt offenbar bei Asif Ali Zardari, dem Witwer von Bhutto. An der pakistanischen Börse führte die politische Unsicherheit nach der Ermordung Bhuttos zu hohen Kursverlusten. Der Karachi 100 Stock Index brach am Montag um 4,7 Prozent ein. Es war einer der größten Tagesverluste in der Geschichte der Börse.