Propaganda-Schlacht in Libyen Gaddafis schöne Scheinwelt

  • von Markus Götting
Das Gaddafi-Regime kämpft an allen Fronten: Internationale Journalisten sollten sich selbst ein Bild machen von der Unterstützung für den Revolutionsführer. Doch nicht alles lief nach Plan.

Wir sind in Misurata gewesen. Da fahren wir nicht mehr hin. Nette Leute da, muss man schon sagen; hatten ein Zelt aufgebaut, und es gab Brot und Tee und Mango-Saft, leider keine Diet Coke, wie die Kollegin von der Nachrichtenagentur Reuters völlig zu Recht bemängelte. Musik war auch und Tanz auf der Straße.

Sie haben grüne Fahnen geschwenkt und sangen, dass sie für ihr Leben nicht mehr brauchen als Allah und Muammar und Libyen. Dazwischen ein paar schlecht rasierte Gestalten mit gelben Zähnen auf ihren Pferden; eines war sogar in den Farben der grünen Revolution geschmückt, und da muss man schon sagen: Folkloristisch 1a, das Programm, wenn nur nicht diese ewig lange Rückfahrt gewesen wäre. Unzumutbar, ehrlich. Zwei Stunden lang sind wir um die Stadt herum gefahren, gefühlt fast im Tschad gelandet. Und als sich die Kamerafrau aus Frankreich beim Reiseleiter beschwerte, schrie er sie auch noch an: Shut the fuck up.

Man hätte das freundlicher formulieren können, ohne Frage. Ging ja um unsere Sicherheit. Wäre auch zu blöd gewesen, wenn uns die Rebellen wieder beschossen hätten wie am Tag zuvor. Die spanische Kollegin hat später ein paar Schrapnell-Splitter aus ihrer kugelsicheren Weste rausgepuhlt. Und das muss man sich ja immer wieder vergegenwärtigen. Das hier ist ein Kriegsgebiet und nicht der Robinson-Club. Auch wenn sich das gelegentlich so anfühlt. Allerdings mit dem Unterschied, dass sie die allabendliche Theatervorführung hier durch eine Pressekonferenz kurz vor Mitternacht ersetzen. Aber was heißt da schon Unterschied?

Propagandaschlacht gegen die Rebellen

Das Rixos-Hotel in Tripolis ist das Zentrum für die PR-Bemühungen des Gaddafi-Regimes. Alle sind sie hier. Nick Robertson, der Star-Reporter von CNN, die Kollegen der BBC, von der"New York Times", "Washington Post", "Guardian". Italiener, Russen, Chinesen. Keiner fehlt. In der Propagandaschlacht gegen die Rebellen ist dies eine Art Experiment für die Regierung: Ausländische Journalisten reinzulassen, haben sie sich gedacht, richtet weniger Schaden an als nur den Aufständischen die Selbstdarstellung zu überlassen. Man kann nicht sagen, dass Gaddafis Leute erfolgreich sind bei diesem Experiment.

Von außen betrachtet hat die Hotelanlage etwas Bunkerhaftes - sie liegt auch gar nicht weit entfernt von Bab al-Azizia, dem Compound, in dem Bruder Führer sich mit seiner Familie und engen Vertrauten verschanzt. Die Fassade des Rixos besteht aus Millionen von Steinen hinter dünnem Gitter. Eine zeitgemäße architektonische Ästhetik, die hier gleichwohl eine etwas unglückliche Konnotation erfährt. Armeen schützen auf diese Art ihre Stellungen und Checkpoints. Wenngleich ihnen das etwa zwanzig Meter lange Büffet im Restaurant fehlt.

Die Libyer sind Neulinge in der politischen Kommunikation. Man merkt das auch daran, dass sie ihren Lebensrhythmus noch nicht exakt mit den Produktionsbedingungen der Weltpresse synchronisiert haben. Vor zwölf Uhr mittags steht keiner der sogenannten Minder auf – im Prinzip unsere Animateure, nur dass diese hier fürs Unterdrücken zuständig sind und dafür, dass es zu keiner Feindberührung kommt. Also zwischen Journalisten und Dissidenten. Und so schlendern die Reporter über die Marmorböden der etwa 20 Meter hohen Lobby, die im Prinzip ein Marktplatz der Gerüchte ist. Es ist das Wesen der Diktaturen, dass Gerüchte die Wahrheit vertreten müssen.

Das Rixos muss man sich als Fünf-Sterne-Gefängnis vorstellen, mit einem tollen Pool, Sauna und Dampfbad und großzügigem Fitnesscenter, wo man täglich die Muskeln der Bodyguards englischer und britischer Fernsehteams bestaunen kann. Das Gelände schwer umzäunt, was in diesem Fall aber nicht Eindringlinge von außen aufhalten soll – sondern die Journalisten im observierbaren Bereich kasernieren.

Raus kommst du nur mit einem so genannten Fahrer, der in der Regel ein besonders tumber Zivilpolizist ist, und einem vermeintlichen Übersetzer, also Minder, der für ein paar Dinar am Tag dem Regime dazu dient, Kontakte zu echten Libyern zu verhindern. Letztlich ist es wie Nordkorea. Nur mit Palmen im Garten.

Kurzer Moment der Wahrhaftigkeit

Gelingt es dir trotzdem abzuhauen, kannst du schnell so enden wie der nette Kollege von der Londoner "Sunday Times": aufgegriffen von der Polizei, festgehalten mit einem Sack über den Kopf, vier Stunden lang in der Hocke ausharrend, mit einem Ellbogen im Genick.

Es gab einen kurzen Moment der Wahrhaftigkeit in diesen Tagen, und das war als Iman al Obeidi in dieses Hotel rannte, eine verstörte junge Frau, die der Weltpresse davon berichtete, wie sie von Gaddafis Schergen vergewaltigt wurde. Sie schrie und tobte. Und es war exakt jener Moment, in dem diesem System die Maske herunter gerissen wurde. Diese sogenannten Übersetzer und Kellner stürzten sich auf sie und schleppten sie hinaus. Genau seit jenem Tag kämpft auch der Generaldirektor darum, wieder die Hoheit über sein Hotel zu bekommen. Die Zivilbullen taugen nämlich nicht mal als Kellner.

Ausflüge in einem Reisebus

Um solche Situationen zu vermeiden, organisieren unsere Freunde vom Foreign Media Department regelmäßig Ausflüge in einem Reisebus – also das Äquivalent zu Robinson-Exkursionen. Sie zeigen uns Krankenhäuser mit "zivilen Opfern der barbarischen Angriffe der Allianz", Schulen, aus denen fröhliche Kinder strömen und "Allah, Muammar u Libya u bas" rufen und erstaunlich spontan grüne Fahnen schwenken. Mitunter tauchen die gleichen regimetreuen Demonstranten immer wieder auf. Mal als Studentin, dann als Krankenschwester.

Es war auch einer dieser Ausflüge, als sie uns mitten in die Wüste fuhren, um in Mizda, drei Stunden südlich von Tripolis, die Folgen der Nato-Luftschläge zu zeigen. Sie stoppten den Reisebus kurz vor der Stadt und sagten: "Sie werden jetzt ein Flüchtlingscamp sehen. Diese Leute sind gerade vor den Bombenangriffen geflohen." Was wir sahen war: Ein paar Zelte, klapprige Holzhütten und Wäsche, die an Stacheldraht in der Sonne trocknete. Es war ein wenig seltsam: Warum sollten diese Leute flüchten und als erstes ihre Wäsche waschen? Wir stiegen aus und sofort feuerte ein Mann in Nomadengewand eine ordentliche Salve aus seiner Kalaschnikow knapp über unsere Köpfe hinweg, und seinem Gesicht nach zu urteilen, hat nicht viel gefehlt, und er hätte einen halben Meter weiter nach unten gezielt. Hatten sie vergessen, den braven Beduinen vorher Bescheid zu geben und ein Skript zu übermitteln?

"Sorry, guys", sagte einer unserer Regierungsbegleiter. "Ihr müsst das verstehen, dieses Schießen, das meinen die nicht böse, das ist ihre Tradition." Klar, alles okay. Darum geht es ja bei diesen Exkursion: Land und Leute kennen lernen. Und ihre Traditionen.