Atomwaffen gelten als die zerstörerischsten Waffen überhaupt. Dennoch ordnete Wladimir Putin schon zu Beginn des Kriegs in der Ukraine eine erhöhte Alarmbereitschaft der russischen Nuklearstreitkräfte an. Konkrete Pläne über einen Einsatz von Atomwaffen streitet der Kreml jedoch ab, während der US-Auslandsgeheimdienst CIA nun vor einem möglichen russischen Einsatz taktischer Atombomben warnt.
Die Geschäftsführerin der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (Ican), Beatrice Fihn hat in einem Interview mit dem "Tagesanzeiger" darüber gesprochen, wie der Westen auf Putins Drohung reagieren sollte.
"Die Annahme, dass wir uns auf das Konzept der gegenseitigen Abschreckung verlassen können, reicht nicht und ist schlicht falsch", sagt Fihn in dem Schweizer Medium. Präsident Putin spreche mit seiner Drohung den bislang unausgesprochenen Teil über Atomwaffen aus. "Nukleare Abschreckung geschieht immer vor dem Hintergrund, dass man bereit ist, einander anzudrohen, massenhaft Zivilisten zu ermorden, um zu bekommen, was man will."
Fihn fordert gemeinsame Abrüstung von Atomwaffen
Auf die Frage, wie der Westen mit dieser Drohung umgehen soll, erklärt sie: "Zunächst einmal geht es um die Ukraine, und wir müssen alles dafür tun, die Ukraine zu verteidigen." Es gehe um die Hilfe für Flüchtlinge, humanitäre Hilfe. Viele Länder unterstützten die Ukraine auch mit konventionellen militärischen Mitteln. "Außerdem muss eine klare, geeinte Botschaft kommen, dass der Einsatz von Nuklearwaffen nicht akzeptabel ist."
Denn die nukleare Aufrüstung sei "das Schlimmste, was man tun kann". "Glauben Sie, dass man das Spiel mit dem Weltuntergang gegen einen Diktator gewinnen kann?", so die Friedensnobelpreisträgerin von 2017. Die jetzige Lage zeige, wie verwundbar wir sind, solange Atomwaffen existieren.
"Menschen sterben. Putin lässt Krankenhäuser und Schulen bombardieren. Da hilft es nicht, wenn wir nun selbst mit dem Einsatz von Atomwaffen drohen oder aufrüsten", sagt Fihn. Sie ist sich sicher: "Wir sollten uns klarmachen, dass die jetzt im Raum stehende Drohung nicht zum letzten Mal geäußert wird, wenn wir weiterhin an Atomwaffen festhalten." Es sei wichtig, nicht weiter zu eskalieren. Dabei bräuchten wir endlich einen ernst gemeinten Prozess in Richtung Abrüstung, fordert die Ican-Geschäftsführerin.
Sie kritisiert: "Wir vermeiden die Frage nach einer Abrüstung der Nuklearwaffen, weil wir dann natürlich auch selbst dazu bereit sein müssten." Daher fordert Fihn: "Wir brauchen einen systematischen Ansatz, der das Ziel einer Welt ohne Atomwaffen als letzten Schritt beinhaltet." Schließlich müsste man "einen gegenseitig überprüfbaren Prozess der Abrüstung in Gang setzen", wobei es besonders auf die beiden Atom-Großmächte USA und Russland ankomme.
Länder sollten Putins Drohung auf geplanter Konferenz verurteilen
Was Putin gerade mit seiner Drohung vormacht, werde immer wieder passieren. Fihn befürchtet: "Wenn wir die jetzige Lage nicht zum Anlass nehmen, diesen Prozess ernsthaft zu starten, geraten wir irgendwann tatsächlich in einen nuklearen Krieg."
Das große Aufrüsten – diese Länder planen wegen des Ukraine-Krieges ihr Militär zu stärken
Um einen gemeinsamen Abrüstungsprozess in die Wege zu leiten, sollten laut Fihn zuerst alle Staaten, "die ernsthaft an Abrüstung und einem Ende von Atomwaffen interessiert sind, im Juni zu der von den Vereinten Nationen geplanten Konferenz (zum Atomwaffenverbotsvertrag) nach Wien kommen." Es sei die Gelegenheit, damit sehr verschiedene Länder mit unterschiedlichen Abhängigkeiten, manche von den USA, andere von China, wieder andere von Russland, Putins Drohung verurteilen könnten.
Quelle: Tagesanzeiger