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Rechtsruck in Polen Im Rausch der Macht

Seit dem Wahlsieg seiner PiS rückt Parteichef Jaroslaw Kaczynski Polen dramatisch nach rechts. Sogar das Verfassungsgericht haben die Nationalkonservativen jetzt entmachtet. Wo soll das noch hinführen?
Von Tilman Müller

Warum ist Polender modernste Staat der Welt? Weil er von einem Radiosender gesteuert wird. Ein Witz – aber den Sender gibt es wirklich. Er heißt Radio Maryja. Seine Zentrale befindet sich in Torun, auf halbem Wege zwischen Warschau und Danzig. Am zweiten Adventssamstag treffen dort gegen Mittag zahllose Busse mit Gläubigen aus dem ganzen Land ein. Dazu viele schwarze Audis der höheren Preisklasse, in denen Bischöfe, Kardinäle und Regierungsobere sitzen.

Die Menschen strömen in eine riesige Sporthalle, in deren Mitte ein weißer Altar aufgebaut ist, dahinter auf einem rosengesäumten Sockel eine Statue der Muttergottes. Hunderte Würdenträger haben unten Platz genommen, Tausende Gläubige oben auf den Tribünen. "Jaroslaw, Jaroslaw", tönt es von den Rängen. Ein kleiner Herr mit weißen Haaren und schwarzem Anzug schreitet zum Podium: Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzender der rechtspopulistischen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), der seit der Parlamentswahl vom 25. Oktober alle Zügel der Macht fest in seinen Händen hält.

Polen eines von vier EU-Ländern mit rechter Regierung

Mit dem Triumph seiner Bewegung reiht sich Polen ein in die Liste jener Länder Europas, in denen Rechtspopulisten an Stimmen und auch an Macht hinzugewonnen haben. Nur das Mehrheitswahlsystem verhinderte am vergangenen Wochenende, dass der Front National in Frankreich eine der Regionen erobern konnte. In vier Mitgliedsstaaten der EU sind klar rechte Parteien mittlerweile an der Regierung beteiligt: in Finnland, Ungarn, der Slowakei – und nun auch in Polen.

In der Sporthalle von Torun sollte an diesem Tag eigentlich das 24jährige Bestehen des fundamentalkatholischen Medienimperiums gefeiert werden; Radio Maryja, das ist mittlerweile mehr als nur ein Radiosender. Von Torun aus werden TV-Stationen, Websites und Zeitungen gesteuert. Doch jeder im Saal weiß, dass es hier um Höheres geht. Selig schauen die Ordensbrüder hinauf zu Kaczynski. Der breitet die Arme aus. Genießt den Moment. "Ohne Radio Maryja", ruft er, „hätte es unseren Sieg nie gegeben.“

Fanatiker und Dunkelmänner Mit dem Auftritt in Torun scheint in Polen endgültig eine neue autokratische Ära angebrochen. Noch im Wahlkampf hatte sich Kaczynski zurückgehalten und seiner Spitzenkandidatin – und jetzigen Ministerpräsidentin – Beata Szydlo die Bühne überlassen. Doch nach dem Sieg war er es, der die neue Regierung aufstellte und per "Blitzkrieg" (so Warschauer Zeitungen) die Schaltstellen der Macht mit Getreuen besetzte. Innig umarmt er nun in der Sportarena den wegen rassistischer Äußerungen umstrittenen Redemptoristen-Pater Tadeusz Rydzyk. Der Chef von Radio Maryja sagte einmal, „die Juden" würden mit der Aufarbeitung des Antisemitismus "Milliarden ergaunern". Der Vatikan hält Rydzyk strikt auf Distanz. Doch Kaczynski schart Männer wie ihn um sich, eine alte Garde aus religiösen Fanatikern und nationalistischen Dunkelmännern. Früher ging es gegen den Kommunismus, heute gegen Abtreibung, Homosexuelle. Gegen den liberalen Westen und seinen freizügigen Lebensstil.

"Halleluja und vorwärts"

"Halleluja und vorwärts", rufen die Ordensleute im Messgewand. Die halbe PiS-Regierung, vorn nahe am Altar, jubelt mit. Auch Antoni Macierewicz, 67, der neue Verteidigungsminister. Früher war er Mitglied der ultrakonservativen "Liga der polnischen Familien", später Chef des Militärgeheimdiensts. Ein Verschwörungstheoretiker, besessen davon, das Flugzeugunglück nahe der russischen Stadt Smolensk, bei dem im April 2010 Präsident Lech Kaczynski umkam, Zwillingsbruder von Jaroslaw, sei "ein Attentat" der Russen gewesen. Tatsächlich verursachten Nebel und Pilotenfehler den Crash.

Lech Kaczynski war damals mit Regierungsmitgliedern auf dem Weg nach Katyn, um die dort 1940 von den Russen ermordeten polnischen Offiziere zu ehren. Wie Sprengstoff in den Präsidentenflieger gekommen sein soll, können die Polen nun bald im Kino sehen. "Smolensk" heißt der Propagandastreifen, der gerade in den "Chelmska"-Studios entsteht, Polens Hollywood-Fabrik bei Warschau. Regisseur Antoni Krauze, 75, steht im Schneideraum vor einer großen Leinwand, auf der eine dunkelblonde Frau im Regenmantel zu sehen ist. "Das ist unsere Hauptdarstellerin", sagt er, "eine Journalistin, die anfangs an ein Unglück glaubt, aber dann herausfindet, wer hinter dem Absturz steckt."

Erhebt der Film Anspruch auf historische Wahrheit? "Es ist zwar ein Spielfilm", sagt Krauze, "zugleich aber auch eine Rekonstruktion der tatsächlichen Ereignisse." Im Jahr 2011, sagt Krauze, habe er in einem Interview mit einer Radio-Maryja-Zeitung erwähnt, vielleicht einen Smolensk-Film machen zu wollen. "Darauf sind jede Menge Spenden bei mir eingetroffen." Die PiS soll nach ihrem Sieg noch umgerechnet 1,1 Millionen Euro dazugegeben haben. Der Film soll schnell fertig werden. Spätestens zum sechsten Jahrestag der Katastrophe im kommenden April.

Denn das Flugunglück, so will es Kaczynski, soll zum Gründungsmythos eines neuen Nationalstaats werden. Wieder einmal sollen die Polen die Opfer und die Russen die Täter sein. Um 8.41 Uhr, dem genauen Zeitpunkt des Absturzes, tauchte er vor ein paar Tagen mit Getreuen vor dem Präsidentenpalast auf. Zu Ehren von Lech, der hier einst residierte. An jedem 10. des Monats findet die Zeremonie statt. An diesem Donnerstag zieht der Bruder abends ein zweites Mal zum Palast, mit großer Anhängerschar. Viele haben Holzkreuze dabei, jemand auch ein Plakat: "Putin, Verbrecher." Kaczynski greift zum Mikrofon: "Die Aufklärung der Schande von Smolensk steht unmittelbar bevor."

"Die Flüchtlinge bringen alle Arten von Parasiten"

Sieben Wochen sind erst seit dem Machtwechsel vergangen, aber Parteichef Kaczynski trägt eine bedrückende Selbstherrlichkeit vor sich her. Bei Parlamentsdebatten sitzt er auf seinem Stuhl wie ein mürrischer Diktator, dem jegliche Debatte zuwider ist. Vor der Wahl ging er mit abstruser Demagogie ("die Flüchtlinge bringen alle Arten von Parasiten nach Polen") auf Stimmenfang. Jetzt im Parlament schmettert er einen Antrag der Opposition ab, die noch einmal über die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts sprechen will – die Regierung hatte gleich nach der Wahl ihr genehme Verfassungsrichter ernannt, obwohl ihr dazu die Gesetzesgrundlage fehlte. Der PiS-Chef hebt die Hand, danach seine gesamte Fraktion, also abgelehnt. Immerhin, noch steht die EU-Flagge im Saal, hinten in einer Ecke.

Nebenan, im Dienstsitz von Premierministerin Beata Szydlo, ist das Europabanner schon entfernt. Und in ihrem Kabinett hängt dort, wo früher eine Wanduhr war, ein Kreuz. Die frommen Nationalisten verteilen derzeit Wahlgeschenke – mehr Kindergeld, höherer Mindestlohn und früherer Eintritt in die Rente; hatte doch vor allem das Versprechen, Niedrigverdiener besserzustellen, den Sieg der PiS herbeigeführt. Die Flüchtlingsfrage hingegen war nicht wahlentscheidend. Hängt der Rechtsruck etwa in Frankreich auch mit der Ablehnung der von Angela Merkel propagierten Flüchtlingspolitik zusammen, wollte in Polen schon die liberale Vorgängerregierung vermeiden, Hilfesuchende aufzunehmen.

Doch das Polen dieser Ägide war wenigstens immer Europas verlässlicher Anker im Osten gewesen. Der droht nun verloren zu gehen. Bald will die Regierung ein neues Mediengesetz durchbringen. Ausländische Verlage sollen "re-polonisiert" und vom "kommerziellen Fluch" befreit werden, fordert die eng mit Radio Maryja verbandelte PiS-Expertin Barbara Bubula. Auf ihrer Facebook-Seite hat sie eine vielsagende Grafik gepostet. Die zeigt eine Spinne mit deutscher Flagge auf dem Rücken, an den Beinen Verlagsnamen wie Burda oder Springer. Auch Gruner + Jahr, der Verlag in dem der stern erscheint, ist aufgeführt. Schon einmal, von 2005 bis 2007, zur Zeit der "eineiigen" Republik der Kaczynski-Zwillinge, stand Deutschland am Pranger. Kommt das jetzt wieder?

Obi-Baumärkte, Rossmann- und Deichmann-Läden, Filialen von Carrefour und Auchan – überall entlang der Schnellstraßen am Rande von Warschau sind ausländische Einkaufszentren zu sehen, die westlichen Konsum verheißen – den sich allerdings längst nicht alle Polen leisten können. Sobald man die Hauptstadt verlässt, ist zu spüren, dass es den Menschen an Geld fehlt. Es ist ein idealer Nährboden für den Rechtspopulismus.

Das eine und das andere Polen In Marki, einer Kleinstadt nordöstlich von Warschau, hat das PiS-nahe Blatt „Gazeta Polska“ in einer Schule eine Versammlung organisiert. Es spricht der Historiker Jerzy Robert Nowak. Sein Thema: "Ungarn – Polens Vorbild". Premier Viktor Orbán, sagt der Professor, habe die ausländischen Banken kräftig besteuert und kontrolliere die Medien. "Das ist der Weg, den wir jetzt einschlagen müssen, je schneller desto besser." Die Zuhörer nicken.

Weiter im Osten hat die PiS noch mehr Zulauf. Von Marki führt der Weg dorthin über die "Via Baltica", eine von der EU geförderte Fernstraße mit modernsten Lärmschutzanlagen. Mit zwölf Milliarden Euro wird Polen jährlich aus Brüssel unterstützt. In den Dörfern allerdings beginnt eine andere Welt. In Kobylin-Borzymy etwa, 250 Einwohner, einstöckige Holzhäuschen um eine gewaltige Backsteinkirche. 94 Prozent haben hier wie in den umliegenden Orten für Kaczynski gestimmt.

"Die Bauern versprechen sich eben von der PiS bessere Renten und höhere Subventionen", sagt Henryk, ein fliegender Händler, der an der Straße gerade seinen Klapptisch aufbaut. Auch die Sankt-Stanislaw-Gemeinde im Ort liegt voll auf PiS-Linie. In der Kirche hängen Fotos über die Entwicklung von Embryos. Die Überschrift: "Die Wahrheit über das Leben." Darunter: "18 Millionen Menschen starben in Europa im Zweiten Weltkrieg, 17 Millionen ungeborene Kinder wurden zwischen 2003 und 2009 in Europa umgebracht."

In Warschau macht sich das liberale Bürgertum Sorgen

Im anderen Polen, dem der Großstadt Warschau, macht sich das liberale Bürgertum zusehends Sorgen. Bis zu 50 000 Demonstranten, meist jüngere Leute, zogen am vergangenen Samstag durch die Hauptstadt. Viele von ihnen dürften bei den Wahlen den Urnen ferngeblieben sein – die Wahlbeteiligung lag bei gerade einmal 50 Prozent. Die Warschauer sind genauso wenig von Herrn Kaczynski begeistert wie die Pariser von Madame Le Pen, haben indes den Rechtspopulismus auf dem Land schlichtweg unterschätzt. Aber nun scheinen viele Polen aufgewacht. Mit EU-Flaggen ziehen sie durch die Straßen; aus den Boxen tönt John Lennons "Imagine" und die Europahymne aus Beethovens 9. Sinfonie.

"Mehrheit bedeutet nicht Diktatur" ist einer der Slogans der Organisatoren. Namhafte Künstler und Intellektuelle machen bei den Kundgebungen mit. "In unserem Land sind dramatische Dinge passiert", sagt der Schriftsteller Wojciech Kuczok, "äußert man nur leise Kritik, ist man sofort ein Verräter, der das eigene Volk bespuckt." Im Gefühl des Siegs seien bei den Rechten alle Schamgrenzen gefallen, sagt er. "Sie glauben, dass sie sich jetzt alles erlauben können: Intoleranz, Fremdenhass, Antisemitismus."

Der 43-jährige Kuczok, Autor von Romanen voll tiefgründigem Humor, hat das selbst erlebt. Im Frust über den Sieg der PiS schrieb er in der liberalen "Gazeta Wyborcza", statistisch gesehen lese jeder Pole nur ein Buch im Jahr, trinke aber 50 Flaschen Wodka – da dürfe man eben nicht allzu viel erwarten. "Jüdischer Bastard" lautete eine der harmloseren Beschimpfungen dafür – seine Frau, eine Journalistin, stammt aus einer angesehenen jüdischen Familie. "In Worten", sagt Kuczok, "herrscht in Polen schon Bürgerkrieg. Womöglich kommt es bald auch zu Übergriffen und Gewalt."

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