Kampf gegen Sanktionen "Alles, was wir haben, kommt aus dem Westen!" – Propagandist verliert vollkommen die Nerven

Russland: Moderator Jewgeni Popow außer sich
Was kann Russland gegen westliche Sanktionen unternehmen? Ein Gast der Sendung "60 Minuten" forderte die Verstaatlichung deutscher Autos und Garagen und brachte damit Moderator Jewgeni Popow außer sich. 
© Screenshot Rossija 1
Die westlichen Sanktionen wirken sich zunehmend auf Russlands Wirtschaft aus. Doch was kann Moskau dagegen tun? Mit abstrusen Vorschlägen brachte ein Gast der Sendung "60 Minuten" die Moderatoren an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. 

Von Olga Skabejewa und Jewgeni Popow kann man halten, was man will, aber eins muss man den beiden Propagandisten zugestehen: Sie beherrschen ihr Handwerk. Das Duo moderiert die Sendung "60 Minuten" auf dem Staatssender Rossija 1. Im Studio von Skabejewa und Popow verbreiten die Gäste die krudesten Theorien, sind sich für keine Beleidigung und Schmähung zu schade, um keine noch so dreiste Lüge verlegen. Wie Dompteure beherrschen die beiden Moderatoren jedoch ihre Bühne – zumindest so lange Witalij Tretjakow sie nicht betritt.

Der Autor und Dekan der Fakultät für Fernsehen der Staatlichen Universität Moskau moderiert selbst eine Sendung im Staatsfernsehens. "Was tun? Philosophische Gespräche", heißt sein Format auf dem Sender Kultur. Er ist es gewohnt, wie eine Dampfwalze über seine Gäste zu rollen. Dieselbe Strategie wandte er auch im Studio von "60 Minuten" an.

Russland hat Recht, die Propaganda aber nicht 

"Russland hat immer Recht. Das ist eine Konstante im historischen Bewusstsein", fing er seinen Auftritt in der Abendausgabe am vergangenen Mittwoch an. Bei diesen Worten musste Skabejewa schon schmunzeln. "Eine baldige Wendung in dem Hergang der militärischen Sonderoperation ist unabdingbar. Vielleicht nicht heute oder morgen. Aber auch nicht in einigen Monaten", fuhr Tretjakow fort und meinte den Krieg in der Ukraine. 

Dass es für die Streitkräfte Moskaus gerade rückwärts geht, kümmert ihn nicht. Viel mehr hat er etwas an den TV-Kollegen von Skabejewa und Popow auszusetzen, die "zwischen gedankenlosem Optimismus und unbegründetem Alarmismus" schwanken. Im Zweiten Weltkrieg habe man auch nicht über jeden Zentimeter verlorenen oder gewonnenen Bodens berichtet. "Die Front ist 1200 Kilometer lang. Wozu jeden Tag Informationen herausgeben, die sich oft auch noch widersprechen?", fragte der Dekan, während sich Skabejewa und Popow auf die Zunge bissen.

"Den Namen des ukrainischen Botschafters Melnyk kennt jeder Deutsche!"

Die Rüge ging aber weiter. Russische Medien würden es als Erfolg verkaufen, dass in der Abschlussdeklaration der G20-Staaten Russland womöglich nicht einheitlich als Aggressor benannt wird. "Lasst uns doch unsere Erfolge und Misserfolge nüchtern bewerten! Was ist das für ein Erfolg?"

"Wir müssen anerkennen: Die ukrainische Diplomatie arbeitet sehr dreist, aber sehr gekonnt und effektiv. Jeden Tag schafft Selenskyj einen Anlass für das informative Hintergrundrauschen. Und wir reagieren darauf. (...) Aber wir müssen ihn ignorieren", forderte Tretjakow. Stattdessen müsse die russische Diplomatie eine eigene Agenda auf die Tagesordnung bringen. 

"Fragt mal das Publikum nach dem Namen eines russischen Diplomaten?" Man werde höchstens den Namen von Anatoli Antonow, des Botschafters in den USA, zu hören bekommen. "Den Namen des ukrainischen Botschafters Melnyk kennt dafür jeder Deutsche!", echauffierte sich Tretjakow weiter. 

Verstaatlichen, was Deutsch ist. Aber was? 

"Melnyk ist aber bekannt geworden, indem er Scholz als Leberwurst beschimpft hat", fuhr Skabejewa dazwischen, in dem Versuch die Replik zu unterbrechen. "Soll jetzt Lawrow jemanden anspucken, um bekannt zu werden?" 

"Pervertieren Sie meine Worte nicht", gab Tretjakow zurück und setzte seine Tirade fort – die russische Außenpolitik im Visier. "Wir müssen unsere informative und diplomatische Linie ändern"!

"Was sollen wir ändern? Was?", wollte Popow wissen. Da fiel Tretjakow nichts Besseres als Enteignung ein. In Deutschland habe man die Tochtergesellschaften von Gasprom verstaatlicht. "Aber was hat Russland an Deutschem oder Polnischem verstaatlicht?"

"Es ist nichts mehr Deutsches da", lachte ein anderer Gast im Studio. "Was haben wir an Deutschem, was wir verstaatlichen könnten?", wandte auch Skabejewa ein. Tretjakows Vorschlag: "Nehmt ihnen die Botschaften weg! Sie haben zwei Botschaften."

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"Gut, angenommen die Botschaften sind weg, aber wie konkret sollen wir die generelle Linie unserer Diplomatie ändern?", versuchte Skabejewa noch einmal, ihren Studiogast auf die richtige Spur zu bringen. Doch die Dampfwalze Tretjakow wälzte weiter. Sein nächster Vorschlag: Man nimmt alle europäischen Fahnen runter. 

"Was haben Sie für ein Telefon? Ein amerikanisches? Lasst uns darauf verzichten!", platzte Skabejewa schließlich der Geduldsfaden. "Wer hat welches Auto? Lasst uns darauf verzichten! Wie nehmen die Fahnen runter und verbrennen sie. Aber was sollen wir weiter tun?!", fuhr sie auf. "Nur bitte keinen Populismus! Die Fahnen sind runter? Was dann?!"

Aber Tretjakow machte unbeirrt weiter. "Fangt doch im Kleinen an. Verstaatlicht doch wenigstens ein deutsches Auto! Eine deutsche Garage! Und berichtet uns davon! Und freut euch nicht darüber, dass die Mehrheit der UN auf Toilette gegangen ist und sich bei der Abstimmung enthalten hat!"

Moderator verliert die Nerven 

"Alle teilen doch Ihre Meinung: Wir müssen etwas tun", versuchte Popow die Kurve zu bekommen. Aber was sei zum Beispiel dem Buran nachgefolgt, dem sowjetischen Raketenflugzeug, der seinen ersten und einzigen Raumflug "Buran" im November 1988 im automatischen Modus ohne Besatzung an Bord durchgeführt hat, fragte Popow, wobei Tretjakow ihm immer wieder ins Wort fiel.

Da reichte es dem Moderator. "Jetzt benehmen Sie sich absolut inkorrekt!", rief er. "Es ist klar, dass weder Sie noch ich den Nachfolger des Burans verhindert haben! Aber was lesen wir erst vor Kurzem? Dass in diesem und nächstem Jahr 44 Triebwerke für Flugzeuge produziert werden." 

"Ist doch großartig", fuhr Tretjakow wieder dazwischen. "Großartig? Was ist daran großartig?!", fuhr Popow schließlich aus der Haut. "Wie viele Flugzeuge bedeuten 44 Triebwerke? 22! Pfuh! Wir überleben nicht einmal jetzt ohne sie (den Westen). Lasst uns doch noch alles verstaatlichen! Lasst uns den Deutschen alles wegnehmen! Dann stehen bei uns doch schon morgen die Sapsan-Züge! Womit sollen wir dann fahren?! Wir haben nichts! Das muss man eingestehen!" 

"Alles, was wir haben, kommt aus dem Westen!"

Es sei leicht, eine Verstaatlichung zu fordern. "Aber womit werden wir fahren? Womit werden wir telefonieren? Was werden wir tun? Sind wir dafür verantwortlich? Nein! Wir können sagen: Ziehen wir diejenigen zur Rechenschaft, die dafür gesorgt haben. Ok! Aber das bringt uns keinen neuen Sapsan. Dadurch taucht kein neues Flugzeug auf. Wir haben auch keinen Langstreckenflieger! Ja, alles, was wir haben, kommt aus dem Westen! Wir können jetzt alles nationalisieren und was machen am nächsten Tag? Was sollen wir dann machen?! Eine einfache Frage, aber keine Antwort!" 

"Ja, lasst uns alles verstaatlichen! Lasst uns die diplomatischen Beziehungen abbrechen!", schrie schließlich Popow ganz außer sich.

Einer der anderen Gäste versuchte einen ruhigeren Kurs und merkte an, die russische Wirtschaft müsse erst klären, was vorrangig gebraucht wird, um den Sanktionen entgegenzuwirken. "Aber wir können nichts produzieren! Wir brauchen 1000 Flugzeuge! Aber haben in zwei Jahren nur 44 Triebwerke fabriziert." Eine Tatsache, der auch nicht die Verstaatlichung deutscher Autos Abhilfe schaffen wird. Das ist auch Popow klar.