Dieses Jahr wird eine militärische Grundausbildung für Schülerinnen und Schüler in Russland verpflichtend. Das Bildungsministerium hatte das Programm bereits im Dezember letzten Jahres beschlossen, ab 1. September wird es umgesetzt. Wer in die achte Klasse kommt, wird mit Handgranaten und Kalaschnikows herumhantieren. Ganz neu ist das geplante Programm nicht. Schon jetzt belegen die Kinder Kurse zum Thema Grundlagen der Lebenssicherheit. Dort lernen sie unter anderem in verseuchten Gebieten zu überleben.
Das Programm geht zurück auf den Unterricht in der Sowjetunion. Damals lernten Schülerinnen und Schüler, wie man mit Waffen umgeht. Bis 1993 war der Wehrkundeunterricht verpflichtend, wurde nach dem Zerfall der Sowjetunion beendet, ehe er 2000 durch einen Erlass von Wladimir Putin – damals noch Interimspräsident – wieder eingeführt wurde. Das Fach sollte das Interesse an der Armee wecken. Seit 2008 herrscht in Russland die Wehrpflicht.
Informationen der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge wird der bisherige Unterricht zu den Grundlagen der Lebenssicherung um das Modul "Elemente des NVP" erweitert. Drill, Militärgruß und Aktionen im modernen Schießkampf stehen ab September für die russischen Teenager auf dem Programm. Zusätzlich werden die Jugendlichen im Umgang mit Waffen geschult. Die russische Nachrichtenagentur Interfax zählt Kalaschnikows und Granaten auf.
Zunehmend "militarisierte Atmosphäre" in Russland
Die Entscheidung ist ein weiteres Indiz dafür, wie die russische Führung versucht, den Nachwuchs an das Land zu binden und für seine Ziele zu gewinnen. Erst im Sommer vergangenen Jahres verabschiedete die Regierung in Moskau ein Gesetz, um die Bildung des Nachwuchses mitbestimmen zu können. Eine "allrussische Jugendorganisation" soll Kindern und Jugendlichen die Linie des Kremls näherbringen, ihnen traditionelle Werte und ein orthodoxes Weltbild vermitteln. (Mehr dazu lesen Sie hier.) Vorbild sind die Jugendorganisationen aus der Sowjetzeit.
"Die Initiativen unterstreichen die zunehmend militarisierte Atmosphäre im Russland der Kriegszeit und sind eine (wahrscheinlich absichtliche) Beschwörung der Sowjetunion", schreibt das britische Verteidigungsministerium in London mit Blick auf die militärische Grundausbildung an den Schulen. Gegner kritisieren die Pläne als unmoralisch.
Befürworter wie der russische Parlamentsabgeordnete Sergej Mironow verteidigen das Programm: "Unter den derzeit sehr schwierigen Bedingungen sollte jeder junge Mann, wenn nötig, in der Lage sein, mit Waffen umzugehen, und verstehen, was eine militärische Erstausbildung ist." Russische Politiker sehen darin außerdem eine Chance für ehemalige Soldaten, die sich nach ihrer Rückkehr von der Front als Lehrer zu verdingen. Offizielle Pläne gibt es dazu aber nicht.
Der österreichische "Standard" berichtet jedoch von einem Video auf dem Onlineportal "Fontanka", das einen Kampfpilot vor einer Schulklasse zeigen soll. Er sei verwundet worden und wolle der Armee mit seiner "patriotischen Arbeit mit Schulkindern" helfen. Psychologen sehen das kritisch. "Natürlich gibt es keinen Grund zu glauben, dass diejenigen, die von der Front zurückgekehrt sind, erfolgreich mit Kindern interagieren und ihnen Wissen vermitteln können; es gibt mehr Gründe zu befürchten, dass sie eine ungesunde psychologische Atmosphäre in die Schule bringen können", sagt Psychologe Dmitri Leontjew.
In Russland wächst derweil die Angst, die Militärausbildung könnte die Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen fördern. Erst im September 2022 waren bei einem Amoklauf an einer Schule in Ischewsk der Hauptstadt der Republik Udmurtien in Zentralrussland fast 20 Schüler getötet und zahlreiche verletzt worden. Parlamentsabgeordnete glauben allerdings nicht, dass die Militärausbildung solche Vorfälle fördert.
Militärische Grundbildung für russischen Machterhalt?
Insgesamt gehen Experten aber davon aus, dass es sich weniger um eine militärische Ausbildung als um eine Erziehung zu Gehorsam, Folgsamkeit und Unterwerfung handeln könnte. Gleichzeitig liest sich das Bildungsprogramm wie eine Rückbesinnung des Staates, seine Bürger als "eine Ressource zur Führung von Kriegen" zu sehen. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges spricht einiges dafür, dass Putin versucht, sein autoritäres Staatsmodell zu stützen und Nachwuchs für künftige Massenmobilisierungen zu generieren.
Nach Einschätzung des Bundesnachrichtendienstes wurden allein im vergangenen Herbst 300.000 Menschen für den Krieg in der Ukraine mobilisiert und rekrutiert. Nachrichtendienstchef Bruno Kahl rechnet mit eine Million Mann, die Putin dafür noch bleiben.
Quellen: Interfax, Britisches Verteidigungsministerium, Bundeszentrale für politische Bildung, "Der Standard", ZDF.de