Der vor einem Jahr verhaftete frühere irakische Diktator Saddam Hussein ist auf der US-Militärcamp Cropper beim Flughafen von Bagdad inhaftiert. Das erklärte der irakische Minister für Menschenrechte, Baktiar Amin, am Dienstag in Genf. Damit hat zum ersten Mal ein irakischer Regierungsvertreter den Aufenthaltsort Saddams enthüllt, den die Amerikaner bisher geheim gehalten haben. Saddam sei bei guter Gesundheit und habe fünf Pfund zugenommen, sagte Amin, der den Gefangenen im September selbst besucht hatte. Camp Cropper ist Teil des 16 Kilometer außerhalb vom Bagdader Stadtzentrum gelegenen Camp Victory.
Bislang 283 Massengräber entdeckt
Wie der Minister weiter sagte, werden im Irak mehr als eine Million Menschen vermisst. Seit dem Sturz Saddams seien 283 Massengräber entdeckt worden. Amin nahm in Genf an einer Sitzung des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte teil, auf der ein Aktionsplan für den Irak bis 2006 erörtert wurde. Der Irak habe zu wenig Geld, um die Hinterlassenschaft aus der Saddam-Ära von Krieg, Repression, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord zu bewältigen, hieß es.
Die ersten Kriegsverbrecherprozesse gegen Mitglieder des Regimes von Saddam Hussein sollen in der kommenden Woche beginnen. Der irakische Ministerpräsident Ajad Allawi gab bei seiner Ankündigung ferner die Festnahme eines früheren Spitzenberaters von Saddam Hussein bekannt - seines Cousins Iss-Din Mohammed Hassan al Madschid. Er sei in Falludscha gefasst worden und werde sobald wie möglich vor Gericht gestellt, sagte der Regierungschef.
Zwei Mal täglich verlässt Saddam Hussein seine 3,5 auf 4,5 Meter große Zelle, um etwas Bewegung zu bekommen oder sich um seine Pflanzen zu kümmern - sein Häftlingsalltag hält nach Berichten des irakischen Nationalen Sicherheitsberaters Muwafak al Rubaie keine großen Höhepunkte bereit. Und ein Zeitpunkt für den Prozess gegen den Expräsidenten zeichnet sich auch ein Jahr nach seiner Festnahme nicht ab.
Prozess für Anfang 2006 erwartet
Am 13. Dezember 2003 zogen US-Soldaten Saddam Hussein nach Monate langer Suche aus einem Erdloch bei Tikrit. Seitdem ist er an einem geheimen Ort in Haft und wurde von den Amerikanern Ende Juni den irakischen Justizbehörden übergeben. Als der gestürzte Staatschef im Juli erstmals vor einem irakischen Sondertribunal erschien, gingen viele von einem baldigen Prozessbeginn aus. Zunächst hieß es Oktober, November oder Ende des Jahres. Inzwischen wird die Verhandlung nach Angaben Al Rubaies erst für Anfang 2006 erwartet. "Dies wird wahrscheinlich der Prozess des Jahrhunderts, und wir müssen alles richtig machen", erklärt Al Rubaie. "Wir können ihn nicht einfach vor Gericht stellen und zu lebenslanger Haft oder ähnlichem verurteilen, ihn hundertfach hinrichten, wie manche Leute das wollen."
Unbemerkt von den Augen der Öffentlichkeit geht das Sammeln und Auswerten von Beweismaterial weiter. Dies geschehe akribisch und unter Beachtung aller gesetzlichen Vorgaben, betonen die Behörden. Rückschläge bleiben aber nicht aus. So finden sich offenbar nur wenige irakische Juristen, die zur Verteidigung Saddam Husseins oder zur Unterstützung der Staatsanwaltschaft oder Richterschaft bereit sind. Hintergrund sind vor allem Drohungen der Extremisten.
"Mehrmals hatten sie schon eine Reihe von Richtern, die sich dann wieder zurückgezogen haben", sagt Hania Mufti von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Ein praktisches Problem, das den Prozess verzögert - und angesichts der ursprünglichen Erwartung, dass die Festnahme Saddam Husseins den Aufstand eindämmen würde, für Ernüchterung sorgt. Die Behörden gingen davon aus, dass Saddam Hussein für die anhaltende Gewalt mitverantwortlich sei, sagt Al Rubaie. Es gebe Hinweise, dass der Präsident den gewaltsamen Widerstand vorbereitet habe. Spekulationen, wonach die Amerikaner den Prozess vor ihrer Präsidentenwahl politisch nutzen wollten, sind nach dem Urnengang im November nichtig. Auch vor der irakischen Wahl Ende Januar wird keine neue Entwicklung erwartet.
Anwälte fordern Zugang
Bislang hat sich Saddam Hussein noch nicht mit den rund 20 vor allem ausländischen Anwälten getroffen, die sich zu seiner Verteidigung zusammengefunden haben. Zum Jahrestag der Gefangennahme des Ex-Präsidenten beklagen die Juristen in einer gemeinsamen Stellungnahme, dass sie nicht zu ihrem Mandaten vorgelassen würden. "Wir sind äußerst enttäuscht", erklärt Siad al Chasauneh. "Niemand weiß etwas, außer Gott und der amerikanischen Regierung."
Regelmäßigen Besuch erhält Saddam Hussein vom Roten Kreuz, dessen Vertreter auch Briefe seiner Familie übermitteln. Neben Gärtnern und Bewegung versucht der 67-Jährige der Monotonie mit Schreiben Herr zu werden. Er soll an einem Roman arbeiten und hat sich auf das Verfassen von Gedichten verlegt, wie Al Rubaie berichtet. Dem Sicherheitsberater gefallen die Werke allerdings nicht: "Ich kann Ihnen eines sagen - das sind wirklich die schlechtesten Gedichte auf der ganzen Welt."
Obwohl die Brutalität und der Größenwahn Saddam Husseins den Alltag der Iraker fast drei Jahrzehnte lang bestimmt haben, denken viele seiner Landsleute kaum noch an den einstigen Diktator. Das liegt in erster Linie daran, dass ein Albtraum durch den nächsten ersetzt wurde. Denn die Menschen im Zweistromland sind seit der Besetzung des Landes durch die US-Armee vollauf damit beschäftigt, ihr tägliches Leben zwischen Autobomben, Entführungen und Ausgangssperre in den Griff zu bekommen. Dabei ist die Erinnerung an die Schrecken der Vergangenheit schnell verblasst.
"Für mich ist der Mann Geschichte"
Doch hat sicher auch die demütigende Art und Weise, wie die US-Truppen Saddam am 13. Dezember 2003 in der Nähe seiner Heimatstadt Tikrit aus einem Erdloch zogen, dazu beigetragen, dass die Iraker nicht mehr viele Gedanken an den früheren Gewaltherrscher verschwenden. Vorher hatte die frühere Staatspropaganda vom unbezwingbaren Herrscher immer noch so stark nachgewirkt, dass etliche Iraker eine Rückkehr Saddams an die Macht nicht ausschließen wollten. Bei Demonstrationen in den Städten des "sunnitischen Dreiecks" tauchte gelegentlich noch sein Bild auf. "Heute fällt sein Name dagegen nicht einmal mehr bei den Diskussionen der politischen Gruppen, die gegen die Übergangsregierung und die amerikanische Besatzung kämpfen", berichtet ein Beobachter in der irakischen Hauptstadt. "Für mich ist der Mann Geschichte", erklärt ein Fernsehtechniker aus Bagdad.
Ironischerweise bemühen sich inzwischen vor allem frühere Oppositionsgruppen - wie die Kurdenparteien, die Kommunisten und die religiösen Schiitenparteien - darum, das Andenken an die Saddam-Ära wach zu halten. Immer wieder erinnern sie ihre Landsleute an die Gräueltaten des Ex-Diktators. Damit wollen sie denjenigen den Wind aus den Segeln nehmen, die heute mit Sprüchen wie: "Autobomben, Entführungen und Terrorismus gab es im Irak früher nicht", eine gewisse Saddam-Nostalgie pflegen und die meinen, der Preis für den Sturz des alten Regimes sei zu hoch gewesen.
Viele Iraker zweifeln zwar die von den US-Truppen verbreitete Version an, wonach Saddam bei seiner Gefangennahme in dem Erdloch gesagt haben soll: "Ich bin Saddam Hussein, der Präsident des Iraks, und ich will verhandeln" - woraufhin ihm ein amerikanischer Soldat angeblich antwortete: "Präsident Bush lässt grüßen". Auch dass er eine geladene Pistole bei sich gehabt haben soll, die er weder gegen die Soldaten noch gegen sich selbst richtete, glauben nicht alle. Dennoch ist Saddams Ansehen weiter gesunken, seitdem er von den Amerikanern ins Gefängnis gesteckt wurde. Dies konnte er auch durch seinen streitlustigen Auftritt vor dem Haftrichter Anfang Juli nicht wettmachen, als er das Verfahren gegen sich als "Theater" bezeichnete.
Saddam Hussein droht die Todesstrafe
Zu den Anklagepunkten gegen den einstigen Herrscher vom Tigris gehören der von ihm angeordnete Giftgasangriff auf die kurdische Stadt Halabdscha 1988 sowie der Überfall auf das Nachbarland Kuwait 1990. Saddam Hussein droht die Todesstrafe.