Terrorismus Die Al-Qaeda-Spur

Böses Erwachen nach den Terroranschlägen von Madrid: Einer der Verhafteten, der Marokkaner Jamal Zougam, wird seit Monaten als Bin-Laden-Anhänger gesucht.

Als das Handy klingelte, hatten Spaniens Ermittler die entscheidende Spur. Das Mobiltelefon, das eine der 13 Bomben hätte zünden sollen, ertönte, als die Polizei den Sprengsatz bereits sichergestellt hatte. Drei Marokkaner und zwei Inder nahmen die Fahnder daraufhin fest. Die fünf Verdächtigen sollen an der Fälschung der Handykarte beteiligt gewesen sein. Auch die spanische Al-Qaeda-Zelle, die zwei Monate nach den Anschlägen vom 11. September 2001 aufgeflogen war, hatte sich neben der Rekrutierung des Terrornachwuchses für die Camps in Afghanistan auf die Herstellung von gefälschten Handykarten im großen Stil und Kreditkartenbetrug spezialisiert. Geführt wurden die Terroristen von "Abu Dahdah", einem Syrer, der mit richtigem Namen Imad Eddin Barakat Yarkas heißt.

Einer der jetzt in Madrid verhafteten Marokkaner, Jamal Zougam, 30, war laut spanischen Gerichtsakten ein Mitstreiter von Yarkas. Aus einem 692-seitigen Dossier des spanischen Ermittlungsrichters Baltasar Garzon, das dem stern vorliegt, geht hervor, dass französische Behörden 2001 in einem Rechtshilfeersuchen baten, den Aufenthaltsort von Zougam zu ermitteln. Seine Wohnung wurde durchsucht, er selbst konnte fliehen. Insgesamt hatten die Fahnder zwar mehr als ein Dutzend Al-Qaeda-Verdächtige festgenommen.

Klare Mission

Bei den Namen der anderen festgenommenen Marokkaner, Mohammed Bekkali, 31, und Mohammed Chaoui, 34, zuckt Marokkos führender Experte in Sachen Islamisten, der Politikwissenschaftler Mohammed Tozy, nur mit den Schultern: "Keiner von denen ist in Marokko bekannt als Anführer oder Prediger. Aber wissen Sie, wie viele Marokkaner es in Spanien gibt? 200 000." Viele kommen als illegale Einwanderer, arbeiten als billige Hilfskräfte auf den Erdbeerfarmen von Almeria, werden als "Mauren" diskriminiert. Tozy: "Fortwährend bilden sich neue Gruppen von Islamisten, die auch gar keine Befehlsstränge mehr brauchen - die ideologische Mission ist ohnehin klar."

Das Internet sorgt dafür, dass jeder auf dem Laufenden ist: Seit Monaten kursiert auf Websites der Bin-Laden-Jünger ein 50-seitiges Traktat "Irak/Dschihad - Hoffnungen und Risiken: Analyse der Realität und Visionen für die Zukunft sowie aktuelle Schritte auf dem Weg des gesegneten Dschihad". Auf acht Seiten wird die Rolle Spaniens auf diesem Weg erörtert, wie die Bevölkerung gegen eine weitere Truppenstationierung aufgebracht werden könne - und wie wichtig die Wahlen am 14. März seien: "Wir glauben, dass die spanische Regierung nicht mehr als zwei oder drei Attacken überstehen könnte, dann wird der Öffentlichkeitsdruck so groß, dass die Regierung sich zurückzuziehen muss." Oder, so die unbekannten Autoren des "Service-Center für die Mudschaheddin" (fast wortgleich hieß einst Bin Ladens Büro in Peshawar), würden bei den Wahlen die Sozialisten gewinnen - die sich ohnehin zurückziehen werden. "Der Rückzug der spanischen Truppen würde mächtigen Druck ausüben auf die Briten, sodass auch Tony Blair nachgeben müsste. Die Dominosteine würden schnell fallen. Das grundsätzliche Problem ist nur: Wie den ersten Stein stürzen?"

Trotz dieses eindeutigen Aufrufs bleiben Widersprüche. Bei Dutzenden Anschlägen der vergangenen Monate brachten sich die Attentäter selbst mit um. Außerdem nutzten sie - auch die zwölf Selbstmordattentäter vergangenen Mai in Casablanca - meistens selbst produzierten Sprengstoff: Triaceton-Triperoxid, den auch die weltbekannt gewordene Al-Qaeda-Ausgründung Ansar al-Islam in ihrem Bergrefugium im kurdischen Nordirak aus handelsüblichen Substanzen wie Nagellackentferner kiloweise herstellte.

Offenbar Sprengstoff aus Spanien verwendet

Die Täter in Madrid aber verwendeten Fernzündungen und Dynamit vom Typ Goma 2 ECO - offenbar industriell gefertigten Sprengstoff aus Spanien. Für die Authentizität der bisher bekannt gewordenen zwei Bekennermeldungen spricht lediglich, dass keine Al-Qaeda-Gruppe sie dementiert hat. Denn die "Abu Hafs al-Masri"-Brigaden sind durch nichts anderes als Bekenntnisse zu allem und jenem aufgefallen, wobei sie im August 2003 die Verantwortung für die "Operation Quick Lightning in the Land of the Tyrants of this Generation" übernahmen - die Stromausfälle im Nordosten der USA und in Teilen Kanadas. Die Lahmlegung der Stromversorgung sei ein "Geschenk ans irakische Volk", ausgeführt "auf Befehl bin Ladens, um die Säulen der US-Wirtschaft zu treffen". Allein: Die maroden Netze waren von ganz allein kollabiert. Und auch der angebliche "Al-Qaeda-Militärsprecher für Europa", Abu Dujan al-Afghani, der in einem Video die Verantwortung übernahm, ist unbekannt.

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Christoph Reuter und Oliver Schröm