Terroropfer

Artikel zu: Terroropfer

Monika Model überlebte das Selbstmordattentat an der Blauen Moschee in Istanbul 

Istanbul Martina Model überlebt im Urlaub einen Anschlag – und kämpft bis heute mit der Angst

Martina Model: "Ich hatte einen dünnen Mantel an, der mit Federn gefüllt war. Im Nachhinein ist mir dann klar geworden: Die Jacke hat mir das Leben gerettet. Die Jacke war hinterher total zerfetzt. Die Federn hingen da überall raus. Ich geh davon aus, wenn ich eine normale Jacke angehabt hätte, hätte es mir sicherlich den ganzen Rücken ... wie bei den anderen im Prinzip auch. Wobei ich beim Attentat eigentlich mitten unter den Leuten gestanden hab. Da stand nämlich meine Handtasche."
Istanbul, 12. Januar 2016: Martina Model und ihr Mann wollen die Blaue Moschee besichtigen als sich ein Attentäter inmitten ihrer Touristengruppe in die Luft sprengt. Martina Model und ihr Mann wollen am 12. Januar 2016 die Blaue Moschee in Istanbul besichtigen als sich ein Attentäter inmitten ihrer Touristengruppe in die Luft sprengt. Zwölf Menschen sterben, 16 werden verletzt. Ein Splitter durchschlägt Martina Models Unterschenkel. Ihr Mann verliert einen Großteil seines Gehörs. Bis heute ringt die 67-jährige Dresdnerin mit der Angst und mit ihrer fehlenden Erinnerung an den Anschlag.
Martina Model: "Wenn man das nur hört und das nicht erlebt hat, sagt man, ja, das ist schlimm. Und dann hakt man es ab. Aber wenn Sie es erlebt haben. Bei jedem Attentat – egal was war, ob es Nizza war, ob es Brüssel war – ist man wieder mittendrin. Ist ja jetzt Straßburg schon wieder gewesen. Dann kommt alles erst einmal wieder. Sicherlich bei mir nicht die Erinnerung, was gewesen ist. Aber was man hinterher so hatte. Wie man sich doch auch quält, um ein relativ normales Leben zu führen."
Wann macht sich die Angst besonders bemerkbar?
Martina Model: "Einmal hatte mein Mann einen wichtigen Termin, wegen seines Gehörs und da bin ich einmal mit der Straßenbahn zur Traumatherapie. Ist eigentlich für mich überhaupt kein Thema. Ich steige fast vorm Haus in die Straßenbahn ein, fahre bis zur Therapie und dann wieder zurück. Aber zurück habe ich es nicht geschafft. Ich habe es hingeschafft und habe dann mit der Therapeutin die ganze Zeit nur über diese Fahrt geredet. Ich habe mich ganz vorne beim Fahrer hingesetzt, so dass ich nicht gesehen habe, wer eingestiegen ist, wer ausgestiegen ist. Ich war schweißgebadet. Das sind so viel Menschen, die einsteigen. Es sind nicht nur Männer vor denen ich Angst habe. Sie checken jeden ab."
Welchen Einfluss hat der Anschlag bis heute auf Ihren Alltag?
Martina Model: "Was uns fehlt, ist ganz einfach, dass man das Leben genießen kann. Also große Sachen, wie zum Beispiel auf der Freilichtbühne im Sommer mit den Kindern zusammen ins Kino zu gehen. Oder Roland Kaiser macht dort ja immer seine Show – da mal hinzugehen. Dort, wo große Menschenansammlungen sind, das vermeiden wir. Das macht uns Angst."
Martina Model lebt mit ihrem Mann in Dresden. Dort hat das Paar seit den frühen 90er Jahren ein Hotel geführt. Nach dem Anschlag von Istanbul fiel es ihnen  zunehmend schwer, den Betrieb aufrecht zu erhalten. Im Spätsommer 2018 haben sie das Hotel mit hohen Verlusten verkauft.
Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz: Russel Schulz hat überlebt

Terror am Breitscheidplatz Russell Schulz überlebt um Haaresbreite: "Er wollte Berlin zerstören – das ist ihm nicht gelungen"

Russell Schulz: "Wir waren ausgelassener Stimmung. Wir haben uns unterhalten und viel gelacht und ... Und dann haben wir Unfallgeräusche gehört. Peter stand am nächsten zu der Marktgasse, die der Lkw hinunterkam. Und er drehte sich um. Etwas Lustiges war gerade passiert, und Peter hatte ein sehr lautes Lachen, und er lachte. Da hörte er die Geräusche und drehte sich um. Und dann ... Was dann passiert ist, weiß ich nicht mehr."


19. Dezember 2016:


Der abgelehnte Asylbewerber Anis Amri fährt mit einem Lkw in den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz. Russell Schulz ist gerade mit seinem Freund Peter und dessen Partner dort. Seit Jahren treffen sie sich immer in derselben Glühweinbude. Der Lkw trifft die Glühweinbude mit voller Wucht. An diesem Abend sterben zwölf Menschen, mehr als 70 werden verletzt.


Russell Schulz: "Ich war voller Blut. Mein Mantel war voller Blut. Meine Hosen waren voller Blut und ... Als ich aufstand, war der Glühweinstand weg. Er war komplett zerstört. Und als ich aufstand, sah ich vor mir auf dem Boden einen Mann liegen – genau dort – der tot war."


Russell Schulz überlebt den Anschlag mit einer gebrochenen Hand. Sein Freund Peter gerät unter den Sattelzug und ist sofort tot. Peters Lebensgefährte wird schwer verletzt.


Wie ging es Ihnen in den Monaten nach dem Anschlag?


Russell Schulz: "Die erste Stufe war das Trauma und unglaublich große Angst. Ich hatte entsetzliche Angst vor lauten Geräuschen. Das Trauma war Trauma ... Es war einfach sehr traumatisch für mich. Ich konnte nicht mehr klar denken. Ich bin vor lauter Stress, Terror und Traurigkeit immer wieder in Tränen ausgebrochen. Dann kam die Depression. Gleichzeitig fühlte  ich mich schuldig dafür, überlebt zu haben. Vielleicht haben Ihnen andere Überlebende davon auch erzählt. Die Ungerechtigkeit dessen, was passiert war, hat mir sehr zu schaffen gemacht. Ich war kein besserer Mensch als die, die getötet worden sind. Und auch kein schlechterer. Wir waren einfach Menschen. Eine Frau hatte direkt neben mir gesessen – genau hier – und sie war tot. Und ich nicht. Das war sehr problematisch für mich. Peter war tot."


Wie hat der Anschlag Sie persönlich verändert?


Russell Schulz: "Ein Terroranschlag birgt die Möglichkeit, Dinge zu verändern. Die Freiheit, die damit einhergeht, um Haaresbreite alles verloren zu haben, ermöglicht, eine neue Art zu denken. Schon oft habe ich gesagt: ‚Das schiebe ich nicht auf. Das mache ich jetzt.’ Aus zwei Gründen: Wegen des Terroranschlags, und weil ich 74 Jahre alt bin. Vieles, das ich früher schon mochte, habe ich ganz neu zu schätzen gelernt."


Im Jahr nach dem Anschlag sind Sie wieder auf dem Weihnachtsmarkt gegangen. Warum?


Russell Schulz: "Weil es Anis Amri die Macht nimmt. Er wollte uns zerstören. Er wollte mich zerstören. Das war seine Absicht. Er hat sie verfehlt. Er hat Berlin nicht zerstört. Nicht die Kultur. Nicht die Dinge, die wir lieben. Wir machen weiter. Er hat verloren. Er war nicht erfolgreich. Trauriger-, unfairer- und tragischerweise war er in einer Sache erfolgreich: Er hat Menschen umgebracht."


Wie ehren Sie das Andenken ihres toten Freundes?


Russell Schulz: "Ich tue, was er sich von mir gewünscht hätte. Dass ich ein gutes Leben lebe. Ich versuche, großzügig zu sein. Ich versuche, laut zu lachen. So wie er es immer getan hat."


Der Komponist Russell Schulz lebt weiter in seiner Wahlheimat Berlin. Die Gedenkstätte für die Opfer des Anschlags besucht der 74-Jährige regelmäßig. Vergangenes Jahr hat er sich an Peters Geburtstag mit dessen Lebensgefährten getroffen. Sie haben ihm zu Ehren Champagner getrunken.
stern Logo

News von heute Moderator Walter Freiwald ist tot

Walter Freiwald ist tot +++ Türkei nimmt Anwalt der deutschen Botschaft fest +++ Woidke erneut Brandenburgs Ministerpräsident +++ Die News von Mittwoch im stern-Ticker.