Survivors: Terroropfer Russell Schulz überlebt das Attentat auf dem Breitscheidplatz
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Terror am BreitscheidplatzRussell Schulz überlebt um Haaresbreite: "Er wollte Berlin zerstören – das ist ihm nicht gelungen"
Russell Schulz: "Wir waren ausgelassener Stimmung. Wir haben uns unterhalten und viel gelacht und ... Und dann haben wir Unfallgeräusche gehört. Peter stand am nächsten zu der Marktgasse, die der Lkw hinunterkam. Und er drehte sich um. Etwas Lustiges war gerade passiert, und Peter hatte ein sehr lautes Lachen, und er lachte. Da hörte er die Geräusche und drehte sich um. Und dann ... Was dann passiert ist, weiß ich nicht mehr."
19. Dezember 2016:
Der abgelehnte Asylbewerber Anis Amri fährt mit einem Lkw in den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz. Russell Schulz ist gerade mit seinem Freund Peter und dessen Partner dort. Seit Jahren treffen sie sich immer in derselben Glühweinbude. Der Lkw trifft die Glühweinbude mit voller Wucht. An diesem Abend sterben zwölf Menschen, mehr als 70 werden verletzt.
Russell Schulz: "Ich war voller Blut. Mein Mantel war voller Blut. Meine Hosen waren voller Blut und ... Als ich aufstand, war der Glühweinstand weg. Er war komplett zerstört. Und als ich aufstand, sah ich vor mir auf dem Boden einen Mann liegen – genau dort – der tot war."
Russell Schulz überlebt den Anschlag mit einer gebrochenen Hand. Sein Freund Peter gerät unter den Sattelzug und ist sofort tot. Peters Lebensgefährte wird schwer verletzt.
Wie ging es Ihnen in den Monaten nach dem Anschlag?
Russell Schulz: "Die erste Stufe war das Trauma und unglaublich große Angst. Ich hatte entsetzliche Angst vor lauten Geräuschen. Das Trauma war Trauma ... Es war einfach sehr traumatisch für mich. Ich konnte nicht mehr klar denken. Ich bin vor lauter Stress, Terror und Traurigkeit immer wieder in Tränen ausgebrochen. Dann kam die Depression. Gleichzeitig fühlte ich mich schuldig dafür, überlebt zu haben. Vielleicht haben Ihnen andere Überlebende davon auch erzählt. Die Ungerechtigkeit dessen, was passiert war, hat mir sehr zu schaffen gemacht. Ich war kein besserer Mensch als die, die getötet worden sind. Und auch kein schlechterer. Wir waren einfach Menschen. Eine Frau hatte direkt neben mir gesessen – genau hier – und sie war tot. Und ich nicht. Das war sehr problematisch für mich. Peter war tot."
Wie hat der Anschlag Sie persönlich verändert?
Russell Schulz: "Ein Terroranschlag birgt die Möglichkeit, Dinge zu verändern. Die Freiheit, die damit einhergeht, um Haaresbreite alles verloren zu haben, ermöglicht, eine neue Art zu denken. Schon oft habe ich gesagt: ‚Das schiebe ich nicht auf. Das mache ich jetzt.’ Aus zwei Gründen: Wegen des Terroranschlags, und weil ich 74 Jahre alt bin. Vieles, das ich früher schon mochte, habe ich ganz neu zu schätzen gelernt."
Im Jahr nach dem Anschlag sind Sie wieder auf dem Weihnachtsmarkt gegangen. Warum?
Russell Schulz: "Weil es Anis Amri die Macht nimmt. Er wollte uns zerstören. Er wollte mich zerstören. Das war seine Absicht. Er hat sie verfehlt. Er hat Berlin nicht zerstört. Nicht die Kultur. Nicht die Dinge, die wir lieben. Wir machen weiter. Er hat verloren. Er war nicht erfolgreich. Trauriger-, unfairer- und tragischerweise war er in einer Sache erfolgreich: Er hat Menschen umgebracht."
Wie ehren Sie das Andenken ihres toten Freundes?
Russell Schulz: "Ich tue, was er sich von mir gewünscht hätte. Dass ich ein gutes Leben lebe. Ich versuche, großzügig zu sein. Ich versuche, laut zu lachen. So wie er es immer getan hat."
Der Komponist Russell Schulz lebt weiter in seiner Wahlheimat Berlin. Die Gedenkstätte für die Opfer des Anschlags besucht der 74-Jährige regelmäßig. Vergangenes Jahr hat er sich an Peters Geburtstag mit dessen Lebensgefährten getroffen. Sie haben ihm zu Ehren Champagner getrunken.
Russell Schulz ist mit Freunden auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz, als der Attentäter den Lkw mitten in die Marktstände steuert. Der 74-Jährige überlebt mit viel Glück, sein Freund Peter stirbt unter dem Sattelzug. Im Interview spricht er über sein Leben nach dem Überleben.
Breitscheidplatz, 19.12.2016: Der Weihnachtsmarkt gehört nicht zu den idyllischsten, aber er mag ihn. Jedes Jahr trifft Russell Schulz sich hier mit Freunden zum Glühweintrinken. Immer in derselben Bude. An diesem Adventsfreitag 2016 ist die Stimmung ausgelassen. Die drei Männer sind beim zweiten Glühwein, als der Sattelzug mitten in den Weihnachtmarkt rast.
Russell Schulz kann sich selbst aus den Trümmern des Glühweinstands befreien. Einen seiner Freunde hat der Lastwagen erfasst und sofort getötet, den anderen schwer verletzt. Der Anschlag fordert 12 Tote, mehr als 70 Menschen werden verletzt.
Russell Schulz' Handverletzung können die Ärzte gut behandeln. Doch Trauma jenes Abends macht ihm noch lange danach zu schaffen. Er möchte, dass auch etwas Gutes aus dem Terror erwächst. Seit dem Anschlag, sagt er, lebe er bewusster als zuvor.