Tikrit Die "Mutter aller Paläste"

Er war das Heiligtum seiner Herrschaft: Saddams Palast in seiner Heimatstadt Tikrit. Außer ihrer Allmacht besaß Saddams Familie hier vor allem zweierlei: unendlich viele Zimmer und einen abenteuerlich schlechten Geschmack.

Als wir vor einem halben Jahr ausnahmsweise einmal nach Tikrit durften, um den organisierten Jubelfeiern anlässlich des Referendum zu Saddams nächster Amtszeit beizuwohnen, erhaschten wir einen Blick auf grüne Ziegeldächer von weiter Ferne: Saddams Palast in seiner Heimatstadt Tikrit, das Heiligtum seiner Herrschaft, sozusagen die Mutter aller Paläste. Ihm auch nur nahe zu kommen, war schon deswegen unmöglich, weil allein die Gärten mehrere Quadratkilometer messen, die Mauern hoch und die ganze Stadt kaum für westliche Journalisten zugänglich war.

Palast im maurischen Stil

Bis gestern. Bis Tikrit als letzte irakische Stadt den amerikanischen Truppen fast kampflos in die Hände fällt und wir, zusammen mit staunenden Gis, durch das drei Stockwerke hohe, mit Türmchengiebeln, speerwerfenden, von Raketennachbildungen flankierten Reiterstatuen dekorierte Haupttor treten. Saddams Palast. Das heißt, was sich darbietet, ist nicht ein Palast, sondern fünf, umgeben von Dutzenden Nebengebäuden, Wachtürmen, angelegt an künstlichen Seen und umgeleiteten Nebenläufen des Tigris. Ein Palast im maurischen Stil, dessen grüne Dachziegel wir Monate zuvor erblickt hatten, einer mit gigantischer Dachkuppel und Seeterrasse.

Doch beim Erkunden zeigt sich, dass Saddams Familie außer ihrer Allmacht vor allem zweierlei besaß: unendlich viele Zimmer und einen abenteuerlich schlechten Geschmack. Überall stehen dieselben mit Blattgoldimitat angemalten Rokokoverschnitt-Sessel, aus Sperrholz zusammengetackerten Beistelltischchen, die pompösen Betten mit Schnörkeln, und an den Wänden hängt derselbe Kitsch, wie man ihn in den wenigen Touristenläden Bagdads findet: Landschaftsbilder mit Palmen und Bötchen, Bazarszenen, Altstadtgassen, sozusagen die irakische Antwort auf röhrende Hirsche vor Bergkulisse. In den Regalen ungelesene Lexika, in den Badezimmern zwar Marmorwannen, aber keine goldenen Wasserhähne, sondern grünspangesprenkelte Messing-Armaturen.

Raffgierige Plünderer und hilfsbereite Gis

Doch die anderen Besucher stört derlei überhaupt nicht. Im Gegenteil: Hunderte von Plünderern raffen begeistert auf mitgebrachte Wägelchen, geklaute Servierwagen und eingeschmuggelte Autos, was sich tragen lässt. Halb Tikrit scheint auf den Beinen, um sich schadlos an seinem Ex-Diktator zu halten, zerrt Sessel hinter sich her, wuchtet Klimaanlagen durchs Gras und versuchte, chinesisch Billig-Vasen bruchfrei auf dem Fahrrad zu balancieren. Zwei alte Mütterchen überheben sich an einem blausamtenen Sofa, bis ein hilfsbereiter GI mit Hand anlegt.

Ein alter Bauer zieht einen Servierwagen voller Geschirr und unglaublich hässlicher Vasen die Uferpromenade des künstlichen Sees entlang und flucht übers Wasser: "Nicht mal Tomaten konnten wir uns leisten! Nicht mal Tomaten! Und diese Hurensöhne haben so gelebt! Ha, aber jetzt ist Schluss damit!" Und wieder von vorn: "Nicht mal Tomaten...", und so zieht er von dannen, schleppt seine Beute über die nie zuvor derart belebten Wege des kilometergroßen Palastareals, um seine Lehmhütte ein wenig zu saddamisieren. Eines immerhin kann man der vorherigen Besitzerfamilie bei allem Mangel an Geschmack zugute halten: Nicht eines der ansonsten in jedem öffentlichen Büro, jedem Platz, jedem Laden herablächelnde Porträts Saddam Husseins war in seinen eigenen Palästen zu finden.

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Christoph Reuter