Ein Lkw fährt mit hoher Geschwindigkeit mitten in einen Weihnachtsmarkt. Der tonnenschwere Sattelschlepper walzt auf einer Strecke von 50 bis 80 Metern alles nieder, was ihm im Weg steht - Menschen, Weihnachtsbuden, Markststände. Mindestens zwölf Menschen sterben, fast 50 erleiden zum Teil schwere Verletzungen.
IS-Magazin Rumiyah gibt Tipps für Lkw-Anschläge
Der Anschlag von Berlin folgte auffallend genau einer Anleitung des sogenannten Islamischen Staates. In der November-Ausgabe ihrer Propagandazeitschrift "Rumiyah" veröffentlichte die Medienabteilung der Terrororganisation teilweise sehr detaillierte Hinweise für Attentate mit Lastwagen. So beschrieben die Islamisten genau, welche Art von Lkw in Hinblick auf Größe, Aufbau, Geschwindigkeit und Bereifung geeignet seien, um möglichst großen Schaden anzurichten.
Ausdrücklich wies der IS auch auf die verschiedenen Möglichkeiten hin, sich einen Lastwagen zu beschaffen. Dazu gehöre auch das "Carjacking", also das Entführen eines Lkw, hieß es in dem "Rumiyah"-Artikel. Genau das scheint der Attentäter von Berlin nach bisherigem Ermittlungsstand getan zu haben. Das Ziel des Anschlags in Berlin, der Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche, entspricht ebenfalls exakt der Vorgabe der Terroristen, große Menschenansammlungen wie Open-Air-Festivals, Freiluftmärkte oder Paraden ins Visier zu nehmen.
Paradigmenwechsel in der IS-Propaganda
Seit dem verheerenden Anschlag von Nizza, als ein 31-Jähriger mit einem Lkw über die Strandpromenade raste und 86 Menschen in den Tod riss, wirbt der Islamische Staat verstärkt für Terroraktionen mit einem Fahrzeug. "Es ist eine der sichersten und einfachsten Waffen, die man gegen die Kuffar ("Ungläubigen") einsetzen kann", heißt es in dem "Rumiyah"-Text. Schon kurz nach dem Attentat von Berlin forderte ein deutschsprachiger IS-Dschihadist laut "Bild"-Online im Internet zu weiteren Anschlägen auf Weihnachtsmärkte auf.
Auch die Anleitung für Lkw-Attentate gehört zu einer Artikelserie des Magazins über verschiedene Anschlagsmethoden, in der die Islamisten dazu aufrufen, "Leid und Zerstörung über die Feinde Allahs bringen". Die Serie ist ebenso wie das Blatt selbst Ausdruck eines Paradigmenwechsels in der IS-Propaganda. Während das ursprüngliche IS-Sprachrohr "Dabiq" noch um Auswanderer ins Kalifat warb und mit Berichten über das Gesundheitswesen, Altenheime, die Kinderziehung oder die Bestrafung von Kriminellen versuchte, den Eindruck eines funktionierenden Staatswesens zu vermitteln, geht es in dem nach der Stadt Rom benannten "Rumiyah" vorrangig um Krieg und die Rekrutierung sogenannter einsamer Wölfe, die Attentate auf "Ungläubige" im Westen verüben sollen. Welche Länder der IS dabei im Visier hat, zeigt die Bandbreite der Sprachen, in der die noch relativ neue Publikation - bislang sind vier Ausgaben erschienen - veröffentlicht wird: Englisch, Deutsch, Französisch, Russisch, Türkisch und Indonesisch.
Geschuldet ist der Paradigmenwechsel dem wachsenden Zerfall des Islamischen Staates. Nachdem die Terroristen in den letzten Monaten starke Gebietsverluste hinnehmen mussten, verabschiedet sich ihre Propagandamaschinerie mehr und mehr von der Utopie eines Nationalstaates. Stattdessen setzen die Islamisten verstärkt auf Terror im Westen. Die "einsamen Wölfe", die zwar alleine zuschlagen oder Attentate vorbereiten, aber Anweisungen befolgen, stellen dabei eine der größten Gefahren dar. Auch die Attentäter von Ansbach und Würzburg gehörten in diese Kategorie. Ob der Massenmörder vom Berliner Weihnachtsmarkt ebenfalls ein "einsamer Wolf" war, muss sich erst noch zeigen.